Seite:Deutscher Dichterwald 196.jpg

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Als Leiche bei dem heißgeliebten Leib,
Sah man verwelken still den edlen Grafen.
Ein Grab zu bauen war sein Zeitvertreib,
Dort brannt’ unausgelöschter Lampenschimmer,

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Dort blühten Blumen, für sein holdes Weib.

Und bei der Sterne trüblichem Geflimmer,
Wo alle Welt des Schlafes Düft’ umwehn,
Fand ihn die Mitternacht am Denkmal immer.
Was dort ihm einst in Einsamkeit geschehn,

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Erzählen Jäger, und wie ich’s vernommen,

Laß ich vor Euch auch das Gebild erstehn.
In tiefem Dunkel fast dahin gekommen,
Wo all sein Lieben lag, auf ödem Wege,
War’s ihm, als sey’n zwei Lichter dort entglommen:

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Ein’s, still herstralend aus dem Buschgehege,

Das in der Gruft schon lang’ ihm wohlbekannte,
Das andr’ im weiten Kreis beständig rege.
Wie ward dir, tapfre Brust? Ob Schauer sandte
Dir wohl der Geisterwelt geheimer Rund,

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Der ewig fremd’ und ewig wohlbekannte?

Ob Schau’r, ob nicht. Mit eig’ner Kraft im Bund,
Gewiß, daß eigner Klarheit sie entstamme,
Tratst du heran zu ungewissem Fund.
Und plötzlich war dir nah die Wandelflamme,

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Nicht Flamme mehr, in menschlicher Erscheinung

Stand’s trüb’ gelehnt am alten Buchenstamme.
Laut rief der Graf: „Wer du? Was deine Meinung?
Mensch oder Geist, wer kömmt zu meinen Klagen?
Wer sucht mit mir im tiefen Schmerz Vereinung?“

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Wie aus entfernter Waldkluft hergetragen

Auf Windesflügeln, klang’s in leisem Laute:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung, Tübingen 1813, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Dichterwald_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)