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Bevölkerung bewohnten Landesteile. Zwar in Westpreußen konnten die Einrichtungen der Staats- und Selbstverwaltung in derselben Gestaltung wie in den übrigen Provinzen eingerichtet und aufrechterhalten werden; in Posen dagegen war nach Lage der Verhältnisse eine erhebliche Modifikation der allgemeinen Verwaltungseinrichtungen – sie erfolgte durch Gesetz von 1889 – erforderlich: die Polizei auf dem platten Lande wird in dieser Provinz durch rein staatlich ernannte Beamte, die Distriktskommissare, verwaltet und für die Einrichtungen der Selbstverwaltung der Provinz wie der Kreise mußte statt der reinen Wahl ein staatliches Ernennungs- (Kreisausschuß) oder Bestätigungsrecht (Provinzialrat, Provinzialausschuß, Bezirksausschuß) vorbehalten werden.

Zur Durchdringung der polnischen Landesteile mit deutschen Elementen wurde seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts (1886) in großzügiger Weise von Staats wegen eine Ansiedelung deutscher Bauern und Arbeiter in diesen Gebieten in die Wege geleitet. Das Werk konzentriert sich unter Aufsicht des Staatsministeriums in der Ansiedelungskommission (1908), die durch Ankauf von Gütern, insbesondere aber Parzellierung von Großgrundbesitz deutsche Dorfansiedelungen herzustellen in angestrengter Arbeit und mit gutem Erfolge bemüht ist; im Verlaufe von 27 Jahren wurden 21 000 deutsche Familien auf dem Lande angesiedelt, große Flächen dauernden deutschen Besitzes festgelegt (2300 qkm), und etwa 200 000 Deutsche dem Lande zugeführt; erhebliche Summen (bis 1912 726 Millionen Mark) wurden hierfür von Staats wegen wiederholt (1886, 1898, 1902, 1908, zuletzt 1913) bereitgestellt und als äußerstes Mittel behufs Weiterführung des großen Werkes seit 1908 die gesetzliche Möglichkeit der Enteignung gegen volle Entschädigung von hierfür geeignetem Grundbesitz im Gesamtumfang bis zu 70 000 ha ausdrücklich vorgesehen. Daß es sich bei diesen Enteignungen um „Gründe des öffentlichen Wohles“ im Sinne der Verfassungsurkunde, nämlich um den Schutz und die Stärkung des preußischen und deutschen Nationalstaates handelt, kann einem Deutschen nicht zweifelhaft sein.

Der Gedanke der Festigung und Stärkung des Deutschtums in Verbindung mit dem Gedanken der Förderung des Kleingrundbesitzes fand weiterhin 1912 auch gesetzliche Ausprägung für die „national gefährdeten Teile“ der Provinzen Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Schleswig-Holstein; die als „national gefährdet“ zu betrachtenden Bezirke wurden durch Königliche Verordnung vom 12. März 1913 bestimmt; der Staat stellte für diese Gebiete 1912 die Summe von 100 Millionen Mark bereit zur Förderung des Kleingrundbesitzes durch deutsche Landwirte und Arbeiter; zugleich wurde in dem Gesetz Fürsorge dahin getroffen, daß der mit diesen Mitteln zu errichtende deutsche Kleingrundbesitz als solcher dauernd rechtlich gesichert bleibe in der Form von Rentengütern mit Anerbenrecht nach Maßgabe der hierfür erlassenen besonderen Gesetze.

Eine weitere gesetzliche Vorschrift zum Schutze des Deutschtums erging ferner 1904 dahin, daß bei Gründung neuer Ansiedelungen in den Provinzen Posen, Westpreußen, Schlesien, Ostpreußen sowie für die pommerschen Regierungsbezirke Stettin und Köslin, endlich für den brandenburgischen Regierungsbezirk Frankfurt a. O. die Genehmigung des Regierungspräsidenten für notwendig erklärt wurde; diese Genehmigung ist zu versagen, wenn die beabsichtigte Ansiedelung in Widerspruch steht mit den Gesetzen zum

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/189&oldid=- (Version vom 4.8.2020)