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bezug auf die Wirkung der Lasten muß man den nationalen und den internationalen Wirtschaftsmarkt auseinanderhalten. Soweit jener in Frage kommt, kann die Belastung durch die Sozialversicherung zu einer Konkurrenzunfähigkeit nicht führen, weil ja alle Wirtschaften im großen Ganzen gleichmäßig mit diesen Unkosten zu rechnen haben. Sicherlich spielen sie bei dem einen oder anderen Gewerbe oder Berufe, je nach dem augenblicklichen Stand und nach individuellen Momenten eine jeweils verschiedene Rolle. Immerhin ist hier der Beurteilung nur die Gesamtheit der in der Volkswirtschaft vorhandenen Betriebe zugrunde zu legen; da wird man sagen dürfen, daß, gewisser Schwierigkeiten unerachtet, die hauptsächlich die Landwirtschaft und der Mittelstand durch die Arbeiterversicherung hat, eine unerträgliche Belastung nicht angenommen werden kann. Nun wird aber betont, die deutsche Volkswirtschaft sei mit der Weltwirtschaft so innig verbunden, daß es auf die internationalen Wirkungen ankommt. Es wird gewiß nicht verkannt werden dürfen, daß, rein äußerlich betrachtet, diejenigen ausländischen Industrien, Handelsunternehmungen usw. zunächst billiger als die deutschen arbeiten, die nicht auch die Lasten der Sozialversicherung oder nur in geringem Maße tragen. Nun gehen aber immer mehr außerdeutsche Staaten zur Nachahmung unserer Einrichtungen in der Sozialversicherung über, so daß die internationale Konkurrenz sich infolge der mit der Zeit annähernd gleichen Belastung durch die Kosten der Sozialversicherung nicht zu ungunsten Deutschlands gestalten kann. Jedoch auch bis dahin bleibt zu beachten, daß nach gewissenhafter Schätzung der Last selbst der Großindustrie diese hinsichtlich der Unfallversicherung nur auf 3 bis 4 vom Hundert des Lohnes kommt. Mit Recht dringt ferner immer mehr die Überzeugung durch, daß beim Fehlen einer Fürsorge im Falle der Krankheit und des Alters, des Unfalls usw. die Arbeiter ihre Lohnforderungen erhöhen müßten, um sich selbst auf solche Fälle einzurichten. Zu beachten bleibt auch, daß die Haftpflichtersatzansprüche, die den Unternehmern von der Unfallversicherung abgenommen werden, bei sozialer Handhabung im Interesse der Arbeiter noch viel belastender sein würden, als die jetzige Versicherung. Das Wichtigste aber ist, daß diese starke Inanspruchnahme des Unternehmertums die außerordentliche Blüte der Industrie und des Handels keineswegs gehindert hat. Ja, es läßt sich mit Leichtigkeit übersehen, daß die Ausgestaltung der sozialen Versicherung und der Aufschwung des wirtschaftlichen Lebens zeitlich zusammenfallen; es kann also die sozialpolitische Belastung bisher nicht zu einem hemmenden Ballast geworden sein. Ohne weiteres ist allerdings zuzugeben, daß diese Erwägungen nur mit einem Aufstieg unseres wirtschaftlichen Lebens rechnen, nicht aber mit großen und dauernden Rückschlägen. Aber auch unter Einschaltung dieses Gesichtspunktes bleibt bestehen, daß es die volkshygienische Wirkung der sozialen Versicherung, über die nicht gestritten werden kann, ist, daß vielleicht in keinem Lande der Welt ein im ganzen so gesunder Arbeiterstamm besteht wie in Deutschland, der außerdem, durch Schule und Heer erzogen, intelligent und bildungshungrig, seine zweifellose Höherentwicklung mit der Fürsorge der Sozialversicherung verdankt. An der erfreulichen Erscheinung der Abnahme der Sterblichkeit sind die versicherten Arbeiter schon wegen ihrer Masse wesentlich beteiligt. Auf 1000 Einwohner kamen im Durchschnitt

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/237&oldid=- (Version vom 31.7.2018)