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ist. Dieser Abnahme der Betriebe steht nun in den übrigen Handwerken eine Zunahme von 146 972 gegenüber; sie umschließen die Hauptzweige des Handwerks, wie Bäcker, Metzger, Schneider, Friseure, Bauhandwerker, und weisen auch eine Vergrößerung in den einzelnen Betrieben auf. So ist das Ergebnis nicht so ungünstig, wie es vielfach dargestellt worden ist; im ganzen betrachtet hat das Handwerk trotz der gleichzeitigen mächtigen Entwicklung des Großbetriebes eine zähe Lebenskraft bewiesen. Es sei hier indessen noch der Einwurf Sombarts erwähnt, daß die Art der Ermittlung zu ungenau sei, weil die blanke statistische Zahl nicht hinreiche, um die quantitative und qualitative Bedeutung eines Gewerbebetriebes auszudrücken. Nach der quantitativen Richtung belehrt uns die Statistik nur über die Berufsangehörigkeit einer Person, nicht aber über den Umfang ihrer Berufstätigkeit. Nach der qualitativen Richtung klärt sie uns nicht auf, ob der Gewerbetreibende noch ökonomisch selbständig tätig ist oder bereits in irgendeinem Abhängigkeitsverhältnis zu einem kapitalistischen Unternehmen steht, wie das heute bei zahlreichen Handwerkern, besonders bei Bäckern, Bauhandwerkern und Möbeltischlern der Fall ist; in der Schneiderei sind die kleinen Handwerker vielfach nichts anderes, als Lohnarbeiter im Dienste eines kapitalistischen Unternehmers. Die Ergebnisse der Berufs- und Gewerbestatistik von 1907 bewegen sich in derselben Richtung. (Vergleiche unten S. 349.)

Nachdem auch noch die Erfahrungen einer von der Regierung zum Studium der Handwerksorganisation nach Österreich entsandten Kommission vorlagen – Österreich hatte 1883 die Gewerbefreiheit und für 47 Gewerbe den Verwendungsnachweis, eine Art Befähigungsnachweis, eingeführt –, kamen bei den deutschen Behörden zwei Gesetzesentwürfe zur Ausarbeitung. Der eine, im preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe ausgearbeitet, verwertete die Berlepschen Vorschläge, der andere, im Reichsamt des Innern entstanden und als Bötticherscher Entwurf bekannt, befaßte sich nur mit der Einrichtung von Handwerkskammern. Letzterer wurde vom Reichstage abgelehnt, ersterer 1896 von dem neuen preußischen Minister für Handel und Gewerbe (Brefeld) vorgelegt. Dieser neue Entwurf sah Zwangsorganisation in Innungen mit Handwerkskammern vor, aber im Gegensatz zu den Berlepschen Vorschlägen nur für die Handwerker; vom Befähigungsnachweis war abgesehen. Nachdem die Handwerkerverbände dazu Stellung genommen hatten, wurde er auf Veranlassung des Bundesrats, in dem besonders die süddeutschen Regierungen der obligatorischen Zwangsinnung widersprachen, umgearbeitet und die obligatorische durch die fakultative Zwangsinnung ersetzt. Am 15. März 1897 konnte der Reichskanzler, Fürst Hohenlohe, diesen abgeänderten Entwurf dem Reichstage zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung vorlegen; er wurde mit einigen weniger wichtigen Abänderungen und Neuerungen angenommen und als Gesetz betr. die Abänderung der Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 veröffentlicht. –

Das Handwerkergesetz.

Das Handwerkergesetz vom 26. Juli 1897 umfaßte in 9 Artikeln gesetzliche Vorschriften über die Organisation des Handwerks (Innungen, Innungsausschüsse, Handwerkskammern und

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/342&oldid=- (Version vom 20.8.2021)