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der Lohn an die Eltern oder Vormünder oder nur mit Zustimmung dieser oder nach deren Bescheinigung über den Empfang der letzten Lohnzahlung unmittelbar an die Minderjährigen gezahlt wird, oder daß den Eltern oder Vormündern regelmäßig Mitteilung über die an die Minderjährigen bezahlten Lohnbeträge gemacht wird. Leider ist von diesen Vollmachten bisher wenig Gebrauch gemacht worden.

Gewerbegerichte.−Einigungsämter.

Durch das Gewerbegerichtsgesetz von 1891 ist den Arbeitern eine gerechte, billige und schnelle Rechtsprechung bei allen Streitigkeiten auf Grund des Arbeitsvertrages: Antritt und Kündigung des Arbeitsverhältnisses, Lohn, Arbeitsbuch, Berechnung der Versicherungsbeiträge usw. gesichert. In gleichem Maße wie die Arbeitgeber nehmen sie durch in geheimer und direkter Wahl gewählte Vertreter als Beisitzer unter einem neutralen richterlichen Vorsitzenden an der Rechtsprechung teil, so daß volle Würdigung der berechtigten Ansprüche der Arbeiter gesichert ist. Als besonderen Ruhm können die Gewerbegerichte für sich in Anspruch nehmen, daß etwa die Hälfte aller Streitigkeiten durch freiwilligen Vergleich erledigt werden.

Die Gewerbegerichte können auch als Einigungsämter auf Anrufung der Parteien oder auch aus eigner Entschließung in Streitigkeiten über den noch abzuschließenden Arbeitsvertrag eingreifen, vermitteln und zum Frieden wirken. Endlich können sie als begutachtendes Organ von Gemeinde, Staat und Korporationen usw. in Anspruch genommen werden.

Die Gewerbegerichte haben zum allgemeinen Verständnis und zu einem zweckmäßigen Ausbau des Arbeitsvertrages-Rechts wesentlich beigetragen. Sie haben das Rechtsgefühl gestärkt und erfreuen sich insbesondere auch des vollen Vertrauens der Arbeiter. Auch als Einigungsämter haben sie sich dort bewährt, wo tüchtige Vorsitzende sich dieser Aufgabe mit Verständnis, Klugheit und Nachdruck annahmen.

Da die Gewerbegerichte meistens für den Bereich einer Gemeinde errichtet sind, so können sie im allgemeinen nur in lokalen Streitigkeiten als Einigungsamt eingreifen. Mit der wachsenden Bedeutung der großen zentralen gewerkschaftlichen Organisationen gewinnen naturgemäß auch die Lohnkämpfe weitere, den Bereich der Gewerbegerichte überschreitende Ausdehnung. So drängt das Bedürfnis auf Errichtung eines Reichs-Einigungsamtes, wie es in Anträgen des Reichstages schon mehrfach gefordert ist.

Die gute Wirkung der Gewerbegerichte weckte bei dem Handelsgewerbe den Wunsch nach einer gleichen Einrichtung. So sind durch Gesetz vom 16. Juli 1904 Kaufmannsgerichte eingeführt worden.

Im Jahre 1912 bestanden in Deutschland 948 Gewerbe- und Innungsschiedsgerichte. Von den 120 380 anhängigen Streitigkeiten wurden 48 000 durch Vergleich erledigt. In 309 Fällen wurden sie als Einigungsamt angerufen. Gutachten wurden 18 abgegeben. Bei den 291 Kaufmannsgerichten wurden 25 493 Streitigkeiten ausgetragen, von denen 10 340 durch Vergleich erledigt wurden, 1025 durch Endurteil (Reichsarbeitsblatt 1913, Nr. 8).

Gewerbeaufsicht.

Für die Aufsicht und Durchführung der Arbeiterschutzgesetzgebung war schon durch die Gewerbeordnungs-Novelle von 1878 die Anstellung besonderer Beamter vorgesehen (§ 139 b). Fürst Bismarck war ein scharfer Gegner dieser besonderen Fabrikinspektion, und so war es begreiflich, daß die Anträge auf Vermehrung dieser Beamten im Reichs- und Landtage immer wieder schroffe Ablehnung erfuhren. Erst nach den Februar-Erlassen wurde eine systematische Neuordnung und Verstärkung der Gewerbeaufsicht in die Wege geleitet.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 844. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/407&oldid=- (Version vom 20.8.2021)