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b) Hektarerträge:
1885−1889
dz
1908−1912
dz
Zunahme
 %
Weizen 15,1 20,7 37,1
Roggen 11,8 17,8 50,8
Gerste 15,0 20,1 34,0
Hafer 14,1 19,0 34,7
Kartoffeln 101,8 133,4 31,0
Wiesenheu 32,7 42,1 28,7

Die Ernteerträge sind also in diesem 25jährigen Zeitabschnitt auf der gleichen Fläche bei Weizen, Gerste und Hafer um mehr als ein Drittel, bei unserer Hauptfrucht, dem Roggen, um mehr als die Hälfte, bei Kartoffeln um 31% und bei Heu um 29% gestiegen.

Das bedeutet, da auch die Anbauflächen im ganzen sich erheblich vergrößert haben, beim Getreide eine Gesamtsteigerung unserer Getreideernten von annähernd 48%. – Beim Brotgetreide allein um über 5 Millionen Tonnen oder um etwa 53%.

Hieraus aber ergibt sich für die Getreideversorgung Deutschlands folgendes:

Würde diese gewaltige Ertragssteigerung nicht erzielt worden sein, so würde unsere Getreideernte, welche die amtliche Reichsstatistik beispielsweise für 1912 auf über 28 Millionen Tonnen berechnet, in diesem Jahre nach dem Durchschnitt der Periode 1885–1889 berechnet nur rund 17,8 Millionen Tonnen betragen haben. Unser Einfuhrüberschuß an Getreide betrug in 1912 4,7 Millionen Tonnen – unser Gesamtverbrauch also 28+4,7=32,7 Millionen Tonnen, wovon rund 14,5% durch Einfuhr gedeckt wurden. Ohne die erzielte Ertragssteigerung aber wären von 32,7 Millionen Tonnen Bedarf nur 17,8 Millionen=54% durch Eigenbau gedeckt worden; und es hätten 14,9 Millionen =46% durch Einfuhr gedeckt werden müssen. Anstatt 14,5% hätten wir heute 46% unseres Getreidebedarfes durch Einfuhr zu decken.

Kann wirklich jemand ernstlich behaupten wollen, daß es bei solchen Verhältnissen, mit welchen wir den heutigen englischen Zuständen sehr nahegekommen sein würden, um unsere Volksernährung oder unsere gesamte Volkswirtschaft besser bestellt sein würde als heute, behaupten, daß, wenn wir im letzten Jahrzehnt für Getreide jährlich 1–1½ Milliarden mehr an das Ausland zu zahlen gehabt hätten, daß unsere Industrie auch dann für ihre so riesenhaft gestiegene Produktion einen gleich aufnahmefähigen Inlandsmarkt gefunden hätte, auf welchen sie – trotz der Verdoppelung unserer Ausfuhr – doch immer mit mehr als 80% ihrer gesamten Produktion angewiesen ist? Kann jemand behaupten wollen, daß unsere jährlich um etwa 450 000 Köpfe steigende Arbeiterschaft auch dann die gleichlohnende Arbeitsgelegenheit und einen um etwa 30% gestiegenen Arbeitsverdienst gefunden haben würde? Daß wir auch dann imstande gewesen sein würden, für unsere Arbeiterversicherung jährlich etwa 1 Milliarde aufzuwenden? – Nein! – Die Steigerung unserer landwirtschaftlichen Gütererzeugung war nicht eine erfreuliche Nebenwirkung des allgemeinen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/41&oldid=- (Version vom 20.8.2021)