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welcher auch die Städte sich neu rekrutieren können. Gegenüber den Bestrebungen der Demokratie, jede menschliche und göttliche Autorität zu beseitigen, hat sie in erster Linie die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Gottesfurcht und Königstreue erhalten wird, denn hierin liegt der letzte Damm gegen die Elemente des Umsturzes.

Wo sollen wir kolonisieren?

Wenn wir weiter fragen: „Wo sollen wir kolonisieren?“, so ergibt sich von selbst, daß wir zunächst diejenigen Gegenden ins Auge zu fassen haben, in welchen der Großgrundbesitz zu stark massiert ist. Auszuschließen von der Kleinbesiedlung sind alle diejenigen Flächen, welche einen zu schweren Boden haben, welcher der Arbeit des Kleinbesitzers einen zu schweren Widerstand entgegensetzt, und ebenso diejenigen mit zu leichtem Boden. Ausgeschlossen sind selbstverständlich auch die großen Forstflächen, die im Besitz des Großgrundbesitzes oder im staatlichen und kommunalen Besitz bleiben müssen. Dringend wünschenswert wäre es, die leider vor einem Jahrhundert geteilten bäuerlichen Forsten und Weiden wiederum nach altem Brauch in den Gemeinden zusammenzulegen.

Schwierigkeiten der Beschaffung.

Selbstverständlich wird die Schwierigkeit der Beschaffung der nötigen Flächen für die Aufteilung immer mehr wachsen. Heute ist aber in den meisten Provinzen noch ein reichliches Angebot vorhanden; wenn wir damit rechnen müssen, daß dasselbe allmählich nachläßt, so wird nur übrigbleiben, daß wir dem Staat Rechte zur Erwerbung von Grundbesitz geben, welche über das, was wir heute haben, hinausgehen. Leider besitzen wir kein Agrarrecht im deutschen Sinne; der Grundbesitz ist zur Ware geworden und wir wissen, daß es große Mengen von Gütern gibt, welche heute – wie man das nennt – im Markte schwimmen und in kurzen Zeitabschnitten immer wieder zum Verkauf kommen. Dieser Besitz hat seine nationale Aufgabe verfehlt, und er ist der erste, welcher dazu bestimmt sein muß, zur Aufteilung zu gelangen. Deshalb würde es durchaus gerechtfertigt sein, wenn durch die Gesetzgebung dem Staate ein Vorkaufsrecht für denjenigen Grundbesitz gegeben würde, welcher, abgesehen von Erbübergängen, in bestimmter kurzer Frist mehr als einmal in andere Hände übergeht. Eine solche Bestimmung würde auch für die national gefährdeten Provinzen von erheblicher Bedeutung sein. Erhalten wir daneben ein Ansiedlungsgesetz mit den nötigen Handhaben, dann dürfte für alle Fälle vorgesorgt sein, dann würde auch der Streit über die Enteignung vollkommen hinfällig werden.

Nun wird an manchen Stellen ein besonderer Wert darauf gelegt, die staatlichen Domänen zu parzellieren. Gewiß mag ein Teil derselben heute entbehrlich sein; sie haben ihre Aufgabe erfüllt, die darin lag, Musterwirtschaften zu schaffen. Wo, wie z. B. in Neu-Vorpommern, der Domänenbesitz und der gebundene Besitz mit den Gütern der Städte und Stiftungen so außerordentlich überwiegt, da mag vielleicht der Domänenbesitz in erster Linie zur Aufteilung berufen sein. Aber auch hier gilt es, sich von Übertreibungen frei zu halten. Fürst Bismarck hat einmal gesagt: „Den preußischen Leutnant macht uns kein Volk nach.“ Ich möchte behaupten: „Den altpreußischen Großgrundbesitzer

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/53&oldid=- (Version vom 20.8.2021)