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Volksschulen
Von Dr. Sachse, Geh. Reg.- und Schulrat in Hildesheim


Trotz der großen Bedeutung der Volksschulfragen für die Zukunft des Staates stehen die Kreise der höher Gebildeten der Volksschule doch meist fern. Sie verdanken ihre Bildung im wesentlichen der höheren Schule. Volksschulfragen greifen in ihr wirtschaftliches Leben kaum ein. Auch in der Politik spielen diese Fragen selten, nur wenn die Religion mit in Betracht kommt, eine die Massen bewegende Rolle. Darum hat Kaiser Wilhelm II. auch nur selten Veranlassung gehabt, Volksschulfragen näher zu treten. Aber in einer Entscheidungsstunde ist er es doch gewesen, der das preußische Volksschulwesen vor einer bedenklichen Wendung bewahrt hat, und die großen Ziele seiner Politik sind auch für die Entwicklung des preußischen Volksschulwesens im letzten Vierteljahrhundert maßgebend gewesen und davon ausstrahlend auch für die Entwicklung des Volksschulwesens im übrigen Deutschland.

Soziale Fürsorge.

Kaiser Wilhelm I. hatte in der unvergeßlichen Botschaft vom 17. November 1881 eine große soziale Gesetzgebung zur positiven Förderung des Wohles der hilfsbedürftigen Volkskreise angekündigt. Es war ihm nicht vergönnt, sie durchzuführen. Aber Kaiser Wilhelm II. hat sich vom Beginn seiner Regierung an unumwunden zu den Zielen der Sozialpolitik seines Großvaters bekannt. Im Sinne praktischen Christentums soll der Staat den Schwachen und Bedrängten im Kampfe ums Dasein Schutz gewähren und so die sozialen Gegensätze auszugleichen suchen. Kaiser Wilhelm II. hat mit dem Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetze 1889 die Reihe der von Kaiser Wilhelm I. begonnenen Fürsorgegesetze abgeschlossen und nach den Erfahrungen von mehr als 25 Jahren haben diese Gesetze 1911 eine Zusammenfassung und Erweiterung in der Reichsversicherungsordnung und einen Ausbau durch das Privatangestelltenversicherungsgesetz erfahren. Der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. gehören das preußische Fürsorgeerziehungsgesetz (1900) und das Reichsgesetz über Kinderschutz (1903) an, die die allgemeinen Ideen der sozialen Fürsorge auf die hilfsbedürftige Jugend anwenden. Der Grundzug dieser Gesetzgebung ist der, daß der Staat in seinem eigenen Interesse zum Schutze der Schwachen und Bedrängten mit Anordnungen tatkräftig in Gebiete eingreift, die früher lediglich dem freien Ermessen des Einzelnen oder der Familie überlassen waren. Diesem Grundzuge ist auch die Entwicklung des Volksschulwesens in der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. gefolgt. Das nachzuweisen, soll die Aufgabe der folgenden Blätter sein.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/664&oldid=- (Version vom 31.7.2018)