Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/377

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die Bewegung eines materiellen Punktes. Die Maschine verlangte die Ausdehnung dieser Lehren auf materielle Körper, auf flüssige und gasartige sowohl wie auf elastische. So entstand neben der Hydraulik und Gasmechanik auch die Lehre von der Festigkeit und Elastizität als eine zunächst technische Wissenschaft, deren Ausbildung und Verfeinerung besonders französischen Mathematikern des vorigen Jahrhunderts zu danken ist. Zu den Grundlagen der Festigkeitslehre gehört auch die experimentelle Festigkeitsprüfung, welche in den letzten Jahrzehnten sowohl durch die Tätigkeit amtlicher Prüfungsstellen, als auch durch die in den Hüttenwerken eingeführten Festigkeitskontrollen, großen Einfluß auf die Leistungen der Werke gewonnen hat. Es entstand ein Wettkampf zwecks Erzeugung immer festerer und technisch wertvollerer Metalle, wie sie besonders zum Bau der leichten Motoren für Automobile und Luftfahrzeuge erforderlich sind. So gebührt ein nicht geringer Anteil der Bewunderung, welche die Gegenwart den Erfolgen der Flugtechnik zollt, der stillen Arbeit des Chemikers und des Hüttenmannes, ohne welche die von der Wissenschaft lange geübte Zurückhaltung in bezug auf das Flugproblem noch heute berechtigt sein würde.

Auch auf anderen Gebieten der Maschinentechnik hat das Experiment mehr und mehr fördernden Einfluß gewonnen. Fast in allen Fällen, in denen es möglich ist, die Lehren der überkommenen Wissenschaft einer Nachprüfung zu unterwerfen, ist es Gebrauch geworden, diese Möglichkeit auszunützen. Um die Ingenieure hierfür vorzubereiten, sind an den technischen Hochschulen und an vielen technischen Mittelschulen Laboratorien maschinentechnischer Richtung ins Leben gerufen worden, aus denen schon zahlreiche, zum Teil sehr wertvolle Forschungsarbeiten hervorgegangen sind. Zumeist sind es Dissertationen zur Bewerbung um den Doktor-Ingenieur-Titel, an denen ersichtlich wird, wie das Promotionsrecht – für die preußischen technischen Hochschulen bekanntlich ein Geschenk des Kaisers zur Zentenarfeier der Berliner Hochschule – ein Mittel geworden ist, das Streben nach einem persönlichen Ziel dem Gesamtwohl dienstbar zu machen. Die Fortschritte in der Meßtechnik und ihre Verbreitung haben dazu geführt, daß kaum noch eine größere Maschinenanlage zur Ausführung kommt, ohne daß die im Vertrag ausbedungenen Werte für Leistung und Verbrauch vor der Abnahme einer genauen experimentellen Prüfung unterworfen werden. Die Erfahrungen, welche bei dergleichen „Abnahmeprüfungen“ gemacht werden, bleiben zwar in vielen Fällen der Öffentlichkeit vorenthalten, aber auch im Besitz einer einzelnen Firma oder eines einzelnen Ingenieurs können sie zur weiteren Verbesserung und Vervollkommnung der Maschinen wesentliche Dienste leisten, besonders dann, wenn sie nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten bearbeitet und geordnet werden.

Während hier das geistige Eigentum durch Geheimhaltung geschützt wird, tritt beim Patent der staatliche Rechtsschutz ein, wofür der Erfinder durch Veröffentlichung der Erfindungen einen Beitrag zum allgemeinen Schatze technischen Wissens zu leisten hat, der in den meisten Kulturstaaten durch die Patentschriften der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Ist hiernach auch das Patentwesen zu den Quellen technischen Wissens zu zählen, so bringt es doch der Rechtszweck mit sich, daß der technisch wissenschaftliche Gehalt der Patenturkunden wenig hervortritt, ja in vielen Fällen verschwindet, und

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/377&oldid=- (Version vom 20.8.2021)