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Stand der Volksbildung.

Das öffentliche Leben hat seinen Ausdruck und sein Organ in der Sitte. Diese hängt ab von und hängt zusammen mit der Höhe der Kultur und dem Stande der Volksbildung überhaupt. Die Grundlage aller Bildung legt – neben dem Elternhaus natürlich – die Volksschule; daher scheint es gerade auch im Interesse der Einheit und Einheitlichkeit unseres Volkes zu sein, daß wenigstens die Grundlage eine einheitliche für alle sei und die Differenzierung nicht schon vom ersten Schuljahr an eintrete. Darauf beruht der Vorzug der öffentlichen Erziehung vor der privaten und darauf der nationale Wert der allgemeinen Volksschule gegenüber den sogenannten Vorschulen, über die gegenwärtig so viel gestritten wird. Die Güte unserer Bildungsanstalten bedingt nicht allein, aber doch bis zu einem gewissen, ziemlich weitgehenden Grad, und je höher hinauf, desto mehr, die Höhe der Kultur und unsere geistige Machtstellung in der Welt. Den Ausländern sind wir nicht nur das Volk des größten Landheeres und einer achtunggebietenden Flotte, sondern auch das Volk der Schulen und der Universitäten. Deswegen kann die Ausländerfrage auf unseren Hochschulen nicht von den deutschen Studenten und nach ihren Bedürfnissen allein geregelt werden; es muß immer auch an den Wert gedacht werden, den der Besuch unserer Universitäten durch Ausländer für unser Ansehen und für unsere Schätzung im Kreise der Völker draußen hat: nicht bloß daß sie deutsche Wissenschaft sich aneignen, sondern daß sie deutsches Volk und Leben, deutsche Art und Sitte kennen und von ihrer besten Seite kennen lernen, ist der Gewinn für uns; und daher haben die deutschen Studenten nicht das Recht, bloß an sich und ihre Bedürfnisse zu denken, sie haben auch die Pflicht, den Fremden diese beste Seite des Deutschtums ihrerseits zu zeigen.

Pflege staatsbürgerlicher Gesinnung.

Noch ein anderes, worauf wir oben schon hingewiesen haben, wird von der Schule erwartet: die Weckung und Pflege staatsbürgerlicher Gesinnung. Für diese hat freilich – man vergißt das oft – in erster Linie der Staat selbst zu sorgen, indem er sich seinen Bürgern lieb und wert macht. Davon war ja schon die Rede. Allein damit ist nicht alles getan. Sie müssen ihn noch vorher kennen lernen, und es muß ihnen zum Bewußtsein gebracht werden, was alles sie ihm verdanken. Daher scheint mir nicht die Belehrung über die staatlichen Einrichtungen an sich – was für eine staatsrechtliche Stellung der Kaiser, der Bundesrat, der Reichskanzler, der Reichstag habe usf. –, auch nicht eine solche über die Rechte des Bürgers im Staat das Erste und Wichtigste zu sein, sondern das Aufzeigen dessen, was der Staat dem modernen Menschen überhaupt und der deutsche Staat speziell uns Deutschen bedeutet und leistet. Das muß man schon der Jugend klar machen. Ob das am besten in besonderen staatsbürgerlichen oder richtiger: staatskundlichen Unterrichtsstunden oder nebenbei, etwa im Geschichtsunterricht geschieht, das soll uns hier nicht kümmern; und ebensowenig, daß es am richtigsten doch wohl erst in den obersten Klassen der höheren Lehranstalten und in den Fortbildungsschulen seine Stelle findet, – in diesen letzteren im Zusammenhang mit der Berufsbildung und mit Beziehung auf das, was dieser oder jener Beruf vom Staat zu erwarten und zu gewinnen und was er ihm Besonderes zu leisten hat. Aber daß die

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/558&oldid=- (Version vom 12.12.2020)