wiederum Mißgunst und feindlicher Wettbewerb mit der Nachbarorganisation und ihrer zentralen Spitze verbunden ist.
Eine geistig-seelische Zusammengehörigkeit des Menschen mit dem Boden gibt es natürlich, aber nur da, wo Arbeit und Leben unmittelbar aus dem Erdboden wächst. Nur noch der Bauer hat diese innige Berührung mit dem Lande, die es zu einem Stück seiner selbst macht, wie er sich als Bestandteil des von ihm beackerten Grundes empfindet. Aber der Bauer hat deshalb kein Staatsbewußtsein, sondern Heimatliebe. Die Vermengung der Begriffe Heimat und Vaterland gehört zu jenen Umnebelungskünsten, mit denen die Machtzentralisten alles natürliche Denken zu verwirren suchen. Vaterland ist ein vorgestelltes Ideal ohne gedankliche Bestimmbarkeit, sachlich bezogen auf ein genau abgestecktes Ländergebiet, dessen Zusammenhalt einzig in gemeinsamen, von einer zentralen Regierung diktatorisch oder demokratisch erlassenen, auf die Machtverhältnisse und Eigentumsrechte zugeschnittenen Gesetzen ruht. Die Grenzen dieses Ländergebietes sind veränderlich, und um sie zum Zwecke der Machtvergrößerung verändern zu können, ist die Vaterlandsidee in die von religiöser und familiärer Ueberlieferung hinlänglich zur Aufnahme autoritärer Einflüsse vorbereiteten Gemüter hineingesenkt worden. Vaterlandsgefühl ist ein künstlich hervorgebrachtes, in der seelischen Veranlagung der Menschen nicht ursprünglich begründetes, machtbetontes Geltungsbedürfnis, gleichbedeutend mit Staatsbewußtsein, das nichts anderes ist als Wissen um die Zweckmäßigkeit staatlicher Macht für die Machthaber im Staate. Es kann kein Vaterlandsgefühl geben, das nicht seine Nahrung zöge aus der Feindseligkeit gegen andere Vaterländer. Die Erziehung der Jugend geschieht von früh auf im Geiste der nationalen Ueberhebung, indem das eigene Land an Hand der Machtgeschichte der Vergangenheit als das einzige zur Machtausübung berufene Vaterland vorgeführt wird. Der von Kirche und Familie gepflegte Geist der Unterordnung unter die Autorität wird hier ergänzend auf die Einbildung abgerichtet, Zugehörigkeit zu einem Volke, Staatsbürgertum innerhalb der eigenen Staatlichkeit berechtige zum Herrschen über andere Völker. Solcher Staatsbürgerdünkel wird zur sittlichen Pflicht gemacht, dadurch aber, daß jede Staatsmacht den Dünkel für die eigene Nation heischt, daß jede Rasse sich als die einzig auserwählte, des Vorrechtes werte ausgibt und niemandem erlaubt wird, sich beim Vergleich der Werteigenschaften für eine andere Nation als die eigene zu entscheiden, wird neben der für die Erhaltung jeder Staatsmacht notwendigen Feindschaft zwischen den Völkern die haltbarste Stärkung des Autoritätsgedankens erreicht; geglaubt wird nicht was in selbständigem Urteil erkannt wird, sondern was zu glauben Vorschrift ist.
Heimatliebe hat mit Vaterlandsverehrung nichts zu schaffen. Daß sich die Vaterlandsprediger auf Heimatsempfindungen beziehen, hat seinen Grund eben darin, daß der naturnahe Mensch naturmäßige Hinweise braucht, um naturfremde Wertsetzungen ins Gefühl aufnehmen zu können. Heimatliebe hat der Mensch, dessen Wachstum aus landschaftlichen und klimatischen Reizen gefördert wurde. Jedes nicht aus seiner natürlichen Umgebung gerissene Tier empfindet Heimatliebe, ohne sie je in Vaterlandsgefühl umzudeuten, ohne je für seine Heimat erweiterte oder umpanzerte Grenzen zu wünschen. Ein Tier ohne Heimat wird füglich auch keine Heimatliebe spüren, höchstens Sehnsucht nach Heimat. Nicht anders ist es beim Menschen. Kann der mangelhaft ernährte, in einem ungesunden Kellerloch aufwachsende junge Mensch seine trübe Kindheitsumgebung als lockendes Heimatbild über seinem Lebensweg leuchten lassen? Kann er – und dies ist doch wohl das Erkennungszeichen der Heimatliebe – in der Ferne vom Verlangen bewegt werden, vom Dunstkreis seiner Herkunft wieder umfangen zu werden? Wessen Jugend kein Heim hatte, wessen Heim keine Freude barg, der hatte auch keine Heimat, mit der ihn eine Liebe verbinden könnte. Eine Pflicht zur Liebe aber gibt es nicht, und daß man Heimatliebe zur Pflicht erhebt, indem man dem, dessen Fuß nie ein heimatliches Stück besonnten Landes berührt hat, von einem Vaterlande zu überzeugen vermochte, das seine Hingabe, seine Liebe, seinen Heldensinn, sein Blut und sein Leben fordern dürfe, das zeigt, bis zu welchem Grade der Verzerrung der Autoritätswahn die menschliche Seele hat verunstalten können.
Der Bauer, soweit er nicht schon als Ausgebeuteter, dem Großgrundbesitz und der Staatskasse Verschuldeter oder auch selbst zum kapitalistischen Ausbeuter Erniedrigter dem bäuerlichen Naturgefühl entfremdet ist, hat Heimatliebe, weil er wirkliche Heimat hat. Ein bestimmtes Stück Land umfängt ihn, ernährt ihn, ist ihm in Sorge und Freude vertraut; seine Arbeit verschmilzt mit seinem ganzen persönlichen Leben, seine Scholle ist sein Nest, die Natur, ganz gebunden an die Landschaft, ist sein
Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Fanal-Verlag Erich Mühsam, Berlin 1933, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Befreiung_der_Gesellschaft_vom_Staat.djvu/26&oldid=- (Version vom 31.7.2018)