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Seite:Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat.djvu/27

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Besitzgut, und von ihr hängt das Gedeihen oder das Mißlingen seines Daseins ab. Der Bauer fühlt sich nicht als Eigentümer seines Bodens, sondern als Besitzer; er sitzt darauf mit denen, die viel weniger seine machtunterworfene Familie als seine in gegenseitiger Verpflichtung verbundenen Helfer sind. Wohl hat das Priestertum auch in der Bauernschaft den Geist der Autorität hochzüchten können, so daß bei der Beharrlichkeit des bäuerlichen Denkens die Grundsätze der ehelichen Gebundenheit und der Vaterhoheit, zumal in ihrer geschickt gefädelten Verquickung mit den Regelungen des Familien- und Erbrechts die Welterneuerung auch auf dem Lande noch genügend Vorurteile der Macht zu überwinden haben wird. Dennoch hat hier der kommunistische Anarchismus nicht das unzugänglichste, sondern das dankbarste Feld seiner Zukunft zu erkennen.

Die Bauernschaft nämlich ist bis auf zeitliche Erschütterungen durch politische Bearbeitung, die sich jedoch auf Erregung von Mißverständnissen zur Stimmengewinnung beschränken mußte, auch nur verhältnismäßig geringe Massen der Bauernbevölkerung überhaupt erreichte, gegen das Eindringen nationalistischer Einflüsse stets giftfest geblieben. Grade die tiefe Verwurzelung mit der Heimat schließt das Vaterlandsgefühl im Landvolk ganz aus, das ihm mit dem Vorgeben zugemutet wird, die Heimat erstrecke sich über das ganze jeweils staatlich beherrschte Land, welches, dem heimischen Acker gleich, innerhalb der geltenden Staatsgrenzen zu lieben sei, wobei vor und nach Kriegen das mit solcher Liebe zu umfangende Gebiet in neuen, engeren oder weiteren Grenzen ins Heimatgefühl einbezogen werden müsse. Der bäuerliche Geist kennt weder eine seelische Zusammengehörigkeit mit Menschen, zu denen gar keine gemeinsamen Lebenswege laufen, mögen diese Menschen immerhin innerhalb der gleichen Staatsgrenzen wohnen, noch kennt er Haß und Geringschätzung gegen Fremde, die nicht schädigend in seine Kreise einzudringen suchen, mögen diese Fremden diesseits oder jenseits eines Gebirgszuges hausen, mögen sie eine Hautfarbe, eine Kopfform, eine Ahnenreihe haben wie sie wollen. Dagegen sträubt sich die Natur des Bauern aufs heftigste gegen alles, was ihm die Selbstbestimmung in seinem Schaffensbezirk schmälern will, was den Geist der gegenseitigen Verständigung auf dem Lande durch obrigkeitlichen Befehl zu ersetzen sucht, gegen jedes Dreinreden einer Zentralstelle in seine Angelegenheiten, gegen Beamtentum und Bürokratie, gegen den Staat, wo das Dorf in Frage steht, gegen das Gesetz, wo Verträge möglich sind. Jeder Bauer ist, ohne es zu wissen, Anarchist, und der kommunistische Anarchismus hat die größte Anwartschaft, einmal von Bauern verwirklicht zu werden, da der Gedanke, daß in voller Gleichberechtigung und unter Ausschließung des zentralen Gebotes jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten, jeder nach seinem Bedarf verbrauchen soll, den Naturwillen enthält, wie er bei aller Verleugnung durch menschliche Machtveranstaltungen unverlierbar fortbesteht und wie ihn die Bauern in allen Ländern und Gegenden im Gefühl am Leben wissen. Das Bauerntum hat kein Staatsbewußtsein und wird keins lernen, denn es hat das Bewußtsein der eigenen Kraft, das ist das Bewußtsein der Persönlichkeit und der föderativen, bündnishaften Gemeinschaft von Persönlichkeiten zur Versorgung der gesellschaftlichen Geschäfte. Die Anarchie wird ihre Stätte zuerst auf dem Lande finden, weil das Land nie ganz aufgehört hat, in Anarchie zu leben und zu wirtschaften.

In Anarchie leben, in Anarchie wirtschaften heißt aber dem Leben und der Wirtschaft die Ordnung der Freiheit schaffen. Das nämlich ist die Erkenntnis der anarchistischen Lehre: es gibt keine Ordnung ohne Freiheit, und Staat und Zentralismus, Autorität und Macht sind nicht allein unvereinbar mit aller Freiheit, sie sind auch unvereinbar mit aller wirklichen Ordnung im lebendigen Gesellschaftsgeschehen. Was im vorigen als die Wesensform des Föderalismus zu bestimmen versucht wurde, kann im allgemeinen zugleich als die Organisation freiheitlicher Ordnung gelten. Unter Ordnung versteht der Sprachgebrauch die Innehaltung einheitlicher Gesichtspunkte im gesellschaftlichen Handeln. Wo Zentralismus, also die Regelung der Dinge nach obrigkeitlichen Anweisungen, waltet, unterliegen die Gesichtspunkte des gesellschaftlichen Handelns den wechselnden Nutzzwecken der Macht; ihre Einheitlichkeit ist daher nicht verbürgt. Das Ineinandergreifen der schaffenden Kräfte, die das einzige Merkmal lebendiger Ordnung ist, wird zur mechanischen Geschäftigkeit, zum Zwangsdienst zusammenhangloser Leistungen verdorben. Zusammenhanglosigkeit aber ist das Gegenteil von Ordnung, nämlich Unterordnung, Drill, Zucht, Unfreiheit, Knechtschaft. Eine geordnete Gesellschaft besteht durch verbundenen Willen der Menschen zur Erfüllung einheitlich erkannter, gemeinsamer Aufgaben, setzt also Gleichheit, Gegenseitigkeitsverpflichtung und soziales Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen voraus. Mit einem Wort: Ordnung im Sinne anarchistischer

Empfohlene Zitierweise:
Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Fanal-Verlag Erich Mühsam, Berlin 1933, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Befreiung_der_Gesellschaft_vom_Staat.djvu/27&oldid=- (Version vom 31.7.2018)