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Anonym: Edda

85
Fliegendem Pfeil,   fallender See,

Einnächtgem Eis,   geringelter Natter,
Bettrede der Braut,   bruchigem Schwert,
Kosendem Bären   und Königskinde;

86
Siechem Kalb,   gefälligem Knecht,

Wahrsagendem Weib,   auf der Walstatt Besiegtem,
Heiterm Himmel,   lachendem Herrn,
Hinkendem Köter   und Trauerkleidern;

87
Dem Mörder deines Bruders,   wie breit wär die Straße,

Halbverbranntem Haus,   windschnellem Hengst,
(Bricht ihm ein Bein,   so ist er unbrauchbar):
Dem Allen soll Niemand   voreilig trauen.

88
Frühbesätem Feld   trau nicht zu viel,

Noch altklugem Kind.
Wetter braucht die Saat   und Witz das Kind:
Das sind zwei zweiflige Dinge.

89
Die Liebe der Frau,   die falschen Sinn hegt,

Gleicht unbeschlagnem Ross   auf schlüpfrigem Eis,
Muthwillig, zweijährig,   und übel gezähmt;
Oder steuerlosem Schiff   auf stürmender Flut,
Der Gemsjagd des Lahmen   auf glatter Bergwand.

90
Offen bekenn ich,   der beide wohl kenne,

Der Mann ist dem Weibe wandelbar;
Wir reden am Schönsten,   wenn wir am Schlechtesten denken:
So wird die Klügste geködert.

91
Schmeichelnd soll reden   und Geschenke bieten

Wer des Mädchens Minne will,
Den Liebreiz loben   der leuchtenden Jungfrau:
So fängt sie der Freier.

92
Der Liebe verwundern   soll sich kein Weiser

An dem andern Mann.
Oft feßelt den Klugen   was den Thoren nicht fängt,
Liebreizender Leib.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/056&oldid=- (Version vom 31.7.2018)