Seite:Die Edda (1876).djvu/244

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Anonym: Edda

73
Auf den Block sie zu legen   lockte sie die Kleinen;

Die wilden scheuten,   doch weinten sie nicht:
„Auf der Mutter Schooß hier   was sollen wir beide?“

74
„Muß ich es melden?   Ermorden will ich euch;

Mich lüstete längst   euch das Leben zu nehmen.“

75
„Schlachte die Söhne denn,   es schützt uns niemand;

Doch lange währt der Zorn nicht   läßest du ihn aus
An der muntern Kindheit.“   Die kampfgeübte Frau
Vollbracht es alsbald,   lös’te beiden den Hals.

76
Oft frug Atli,   ob beim Spiel

Die Söhne seien?   er sehe sie nicht.


Gudrun.
77
Ich eilte mich, Atli,   dir Antwort zu sagen.

Die That verhehlt dir nicht   die Tochter Grimhilds.
Nicht freut es dich freilich,   wenn du alles erfährst;
Auch mir schufst du scharfe Pein:   du erschlugst mir die Brüder.

78
Selten schlief ich   seit sie gefallen sind.

Ich dräute dir heftig;   gedenkst du daran?
Morgen ists, sprachst du:   mir gedenkt es wohl;
Nun kam der Abend,   da künd ich dir Gleiches.

79
Du verlorst die Söhne,   wie dich nicht verlangte;

Als Becherschalen   stehn ihre Schädel hier;
Im Becher bracht ich dir   ihr Blut, das rothe.

80
An den Spieß gesteckt   schmorten ihre Herzen,

Ich gab sie dir zu kosten   für Kälberherzen:
Du aßest sie allein   und ließest nichts übrig,
Hast gierig gegeßen   mit guten Malmzähnen.

81
Du kennst deiner Knaben Schicksal,   kaum giebts ein schlimmeres.

Mein Looß erfüllt ich   und lache nicht drob.


Atli.
82
Grimm warst du, Gudrun,   da du gegen dein Herz

Der Gebornen Blut mir   in den Becher mischtest,

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/244&oldid=- (Version vom 31.7.2018)