Anonym: Edda | |
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2 Urds Brunnen gemeint ist, der unter ihrer zweiten Wurzel lag. Es steht nicht entgegen, daß er zuvor neun Hauptlieder von Bölthorns weisem Sohne gelernt haben soll, denn nach D. 6 ist Odhin selbst Bölthorns Sohn oder Enkel, und die von ihm noch an der Weltesche erfundenen Runenlieder hatten seine Geburt, die Lösung von ihrem Zweige, befördert. Daß er vom Spieß durchbohrt, und sich selber geweiht war, erinnert zunächst daran, daß sich Altersschwache oder Todkranke mit dem Spere ritzen ließen, um zu Odhin zu kommen, der in seiner Himmelshalle nur solche aufnahm, welche Wunden vorzuzeigen hatten. Dann war Odhin als Hângatyr auch der Gott der Gehängten, Menschenopfer wurden ihm an Bäumen aufgehängt, nicht ohne vorher, wie wir aus der Wikarssage sehen, vom Sper durchbohrt zu werden. Als Frucht des Weltbaums, von dem er sich erst noch lösen soll, hängt er am Stiel, und dieser, oder was dem bei menschlicher Frucht entspricht, kann hier dem durchbohrenden Spieß verglichen sein.
In welchem Verhältniss zu den Runen standen aber die Str. 141 gemeinten, in den Str. 147–165 nach ihren zauberischen Wirkungen näher beschriebenen Runenlieder? Ohne Zweifel wird dieses Verhältniss durch die Liedstäbe vermittelt, etwa so, daß die den geschüttelten Zweigen oder Stäben eingeritzten Runen als Reimstäbe des Liedes dreimal wiederkehren musten, wie Skirnisför 36 beweisen kann, wo die Zeile, welche das Einritzen des Thurs (Th) begleitet, zugleich diese Runen zu Liedstäben hat: Thurs rist ek thér ok thrjá stafi. Doch mögen die eingeritzten Runen den Inhalt des Liedes noch näher vermittelt haben, da alle Runen Namen führten, z. B. die Rune M führt den Namen Madr, der Mann, und das Zeichen selbst ist aus der Gestalt eines Mannes mit zwei Armen entstanden (Gr. G. der deutschen Spr. 158) wie in den uns erhaltenen Gedichten über die Runen (Wilh. Grimm über deutsche Runen 218–252) jede Strophe mit dem Worte beginnt, das die Rune benennt. In dem einfachsten dieser Lieder über die Runenzeichen, dem nordischen, finden wir über jede Rune nur eine, unsern Fibelsprüchen verwandte, Langzeile mit drei Stäben, von welchen der dritte nach dem allgemeinen Gesetz als Hauptstab in der zweiten Hälfte der Zeile steht, zugleich aber von dem Namen der Rune, oder was gleichbedeutend ist, von der Rune selbst gebildet wird. In dem ältern angelsächsischen besteht die Strophe aus mehrern Langzeilen und nur die erste nimmt in den Stäben auf die Rune Bezug. In unsern ältesten Segenssprüchen, welche wir als Nachklänge der in unserm Liede gemeinten zauberischen Runenlieder zu denken haben, treffen wir gleichfalls
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/390&oldid=- (Version vom 31.7.2018)