Anonym: Edda | |
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Strophe, die sonst die eilfte bildete, aber beßer hier ihren Platz findet, knüpft an die Thatsache des vollbrachten Mordes schon die Ahnung der Rache. Aber schlimmer als die künftige Rache durch Atli ist das Gericht des eigenen Gewißens, und daß dieß Gunnarn verdammen werde, spricht Gudrun in der eilften Strophe ahnungsvoll aus. Was der Rabe Str. 5 angekündigt hatte, kann erst später ganz in Erfüllung gehen, obwohl schon in diesem Liede Gunnar davon beunruhigt wird. Aber Gudruns Prophezeiung Str. 11, daß Gunnarn böse Geister ergreifen würden, erfüllt sich sogleich hier, zunächst schon in den beiden folgenden Strophen, wo die Reue ihn zu ängstigen beginnt; noch weit mehr aber wird sie, wie uns der Dichter zu ermeßen überläßt, über ihn Gewalt haben, wenn er das Grauenvolle seiner That erkannt hat, die er jetzt noch, der letzten Worte des Raben ungeachtet, für berechtigt halten muß. Ihn darüber zu enttäuschen, ihm die Worte des Raben in ihrer ganzen unheilschweren Bedeutung auszulegen, dienen Brynhildens Worte in den Str. 15 bis 18, die ihn erkennen laßen, daß er gegen Sigurd treulos und um so schlechter gehandelt hat als dieser ihm unverbrüchliche Treue zu bewahren mit rührender Sorgfalt beflißen war. So schließt sich Str. 19 vortrefflich an, die Brynhilds ganzes Benehmen gegen die Giukunge zusammenfaßend eine beßere Stelle nicht finden konnte. Erst muste doch Brynhilds Rede zu Ende sein ehe von deren Wirkung auf die Giukungen berichtet werden konnte.
Nach dieser Ausführung und bei solcher Anordnung der Strophen halten wir dieses s. g. Bruchstück nicht nur für ein Ganzes, sondern für eins der besten und ergreifendsten unseres nordischen Heldenbuchs.
Die Schlußbemerkung, die vielleicht von dem Sammler herrührt, macht auf die abweichenden Berichte über den Ort, wo Sigurd erschlagen ward, aufmerksam. Mit dem Berichte der deutschen Männer, welchem das gegenwärtige Lied folgt, stimmt von den nordischen noch das zweite Gudrunenlied, hier mit Recht als altes Lied von Gudrun bezeichnet, weil es älter ist als das erste, während das folgende Lied, das dritte von Sigurd, Hamdismal und die damit zusammenhängende Aufreizung Gudruns ihn im Bette neben Gudrun erschlagen laßen. Welche Angabe die richtige ist, läßt sich hieraus nicht entscheiden, da sowohl ältere als jüngere Lieder verschiedenen Berichten folgen. Darin werden wir aber dem Sammler beistimmen müßen, daß Sigurds Ermordung im Walde deutscher Sage gemäß ist, und diese mag hier das Ursprüngliche bewahrt haben.
Die Lücke, welche sich zwischen diesem und dem vorhergehenden Liede in der Sage bemerklich macht, und durch die folgenden Lieder von Brynhild
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/443&oldid=- (Version vom 31.7.2018)