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seinen Handelsverpflichtungen nachzukommen. Ja, wenn sich diese relative Moralität unter den gegenwärtigen Verhältnissen, unter denen die Bereicherung und abermals die Bereicherung das einzige treibende Moment ist, sich entwickeln kann – können wir da zweifeln, daß die Moralität außerordentliche Fortschritte machen wird, sobald die Aneignung fremder Arbeit nicht mehr die Basis der Gesellschaft bildet?

Ein anderer überraschender Zug, der besonders unsere Generation charakterisiert, spricht noch mehr zugunsten unserer Ideen. Es ist das ständige Umsichgreifen von Unternehmungen, die ihren Ursprung der Privatinitiative und der wunderbaren Entwicklung von freien Gruppierungen aller Art verdanken. Wir werden davon des Längeren in den Kapiteln, die der „Freien Vereinbarung“ gewidmet sind, sprechen. Es genüge uns hier, zu sagen, daß diese Gründungen so zahlreich und alltäglich sind, daß sie eigentlich das Wesen der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ausmachen. Die Schriftsteller des Sozialismus und der bürgerlichen Politik ignorieren es freilich und ziehen es vor, uns ständig von den Funktionen der Regierung zu unterhalten. Diese freien, unendlich variierenden Organisationen sind ein so natürliches Entwicklungsprodukt, ihre Anzahl wächst so rapid, ihre Bildung vollzieht sich mit so außerordentlicher Leichtigkeit; sie sind ein so notwendiges Resultat der ständig wachsenden Bedürfnisse des zivilisierten Menschen, und sie ersetzen endlich in so vorteilhafter Weise jegliche Einmischung seitens einer Regierung, daß wir in ihnen einen immer wichtigeren Faktor des gesellschaftlichen Daseins erblicken müssen.

Wenn sie sich noch nicht über die Gesamtheit der Lebenskundgebungen ausdehnen, so liegt das daran, daß sie einem unübersteiglichen Hindernisse in dem Elend des Arbeiters, in dem Kastengeist der gegenwärtigen Gesellschaft, in dem Monopolbesitz und dem Staate begegnen. Beseitigt diese Hindernisse, und ihr werdet sie die unermeßliche Domäne der Tätigkeit der zivilisierten Menschen ausfüllen sehen.

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Die Geschichte der letzten fünfzig Jahre hat den schlagendsten Beweis dafür geliefert, daß die repräsentative Regierung ohnmächtig ist, den Funktionen, die man ihr andichten wollte, gerecht zu werden. Man wird einst das neunzehnte Jahrhundert als das Datum der Fehlgeburt des Parlamentarismus zitieren.

Aber diese Ohnmacht wird für Jedermann, so einleuchtend die Mangel des Parlamentarismus, die fundamentalen Schwächen des repräsentativen Prinzips werden so offenkundig, daß einige Denker, welche es kritisiert haben (J. S. Mill, Lederdays), nur der allgemeinen Unzufriedenheit haben Ausdruck geben können. Man sieht mehr und mehr ein, wie absurd es ist, einige Männer zu wählen und zu diesen zu sagen: „Macht uns für alle Betätigungen unseres Lebens Gesetze, auch wenn keiner von Euch eine Ahnung von ihnen hat.“ Man beginnt zu begreifen, daß die Herrschaft der Majoritäten ein Ueberlassen aller Geschäfte eines Landes an Diejenigen bedeutet, welche die Majoritäten für sich zu gewinnen wissen, d. h. an „die Kröten des Sumpfes“ in

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/42&oldid=- (Version vom 21.5.2018)