Der Zusammenhang zwischen ihnen wäre demnach der gleiche wie mit allen sonstigen menschlichen Betätigungen, an denen die Umfärbung des Religiösen nur an deren Basis oder deren Gipfel noch die ursprüngliche Grundfarbe erkennen läßt. Besonders eng verknüpft erscheint das Sexuelle den religiösen Phänomenen aber insofern, als das Schöpferische seines Vorgangs so früh, im Leiblichzeugerischen, sich schon durchsetzt, und dadurch dem rein körperlichen Taumel bereits seinen Charakter einer Allgemeinsteigerung gibt: etwas wie eine vorweggewährte Geistigkeit. Und hat so, zum sexuell Affektiven, der Geist seine Gehirnreize herzuleihn, so sind andrerseits in der religiösen Inbrunst, wie in jedweder starken psychischen Tätigkeit, die tonischen Reize des Körpers mitwirksam: zwischen beiden liegt die gesamte menschliche Entwickelung ausgebreitet, dennoch klafft nichts, – ihre Vielheit schließt sich von Einheit zu Einheit, und Anfang und Ende umfassen einander darin. Denn auch religiöse Inbrunst existierte nicht, ohne die sie tragende Ahnung, daß das Höchste, was wir träumen, aus unserm irdischesten Erdboden hervorkeimen kann. Deshalb verbindet der Religionskult der Vorzeit sich dem Sexualleben noch so viel länger und tiefer, als den übrigen Lebensäußerungen, und selbst in den sogenannten Geistesreligionen („Stifterreligionen“) überlebt dieser Zusammenhang stets noch irgendwo.
Allein religiöse und erotische Inbrunst laufen außerdem noch in einer besondern Art parallel, an der aller beider Wesen sich ziemlich weitgehend verdeutlicht: und zwar nach Seite ihrer gedanklichen Auslassungen.
Wie vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist, so könnte man, mit allem schuldigen Respekt und Staunen vor den Gedankenleistungen der großen Religiösen, finden,
Lou Andreas-Salomé: Die Erotik. Frankfurt am Main 1910, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Erotik_(Andreas-Salome).djvu/33&oldid=- (Version vom 17.8.2016)