Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 333 | |
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Angehörig den Angehörigen - wer in der Welt nennt ihre Namen? Sie waren in aller Mund, solange sie selbst ihn offen hatten. Der Tag ist undankbar, er kennt die nicht, die ihm geopfert haben, denn er ist grausam genug, selbst den Tag zu verjagen. Es ist als ob sie sich immer strebend zur Vergessenheit durchgerungen hätten. So unbeachtet lebt kein Genie, wie ein Talent tot ist. Sein Nachlaß ist Nachlassen, intransitiv, sein Wort ein zielloses Zeitwort. Totgeschwiegen werden, weil man tot ist - es möchte kein Hund so länger tot sein.
In mir empört sich die Sprache selbst, Trägerin des empörendsten Lebensinhalts, wider diesen selbst. Sie höhnt von selbst, kreischt und schüttelt sich vor Ekel. Leben und Sprache liegen einander in den Haaren, bis sie in Fransen gehen, und das Ende ist ein unartikuliertes Ineinander, der wahre Stil dieser Zeit.
Der Eros von Wien: Unter dem Vorwand, daß jedes Weibi ein Mandi brauche, hatte er sich ihr genähert, worauf sie nicht umhin konnte: Gehns weg Sie Schlimmer! zu sagen. Nachdem er aber erklärt hatte, daß er viel lieber doder bleibe, ersuchte sie ihn, wenigstens nicht zu nahe an ihre Gspaßlaberln anzukommen, weil ein Pamperletsch die unausbleibliche Folge wäre und das zuhause einen schönen Pallawatsch gäbe. Er aber bat sie, keine Spompernadeln zu machen, denn sie sei mudelsauber und er zu allem eher geschaffen als zum Simandl. Deshalb ließ er sich nicht länger zurückhalten, und Pumpstinazi da wars aus und gschehn. Er sagte ihr infolgedessen, daß sie ein Schlampen sei, und ging dorthin, wo ein Wein sein wird und mir wer’n nimmer sein. Als sie, ihn noch vor Ablauf dieser Frist an seine Pflicht mahnte, dachte er: gar net ignorieren!
Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 333. Die Fackel, Wien 1911, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Fackel_Nr._333.djvu/6&oldid=- (Version vom 8.8.2016)