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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Soldaten beschäftigt. Zuweilen trieb ihn das Bedürfniß der Einsamkeit in die Ferne; er reiste fort und Niemand wußte, wo er war; monatelang war der Fürst wie verschollen.

Den auffallendsten Gegensatz nun zu diesem eigenthümlichen Charakter eines Fürsten des achtzehnten Jahrhunderts bildete die Landgräfin Caroline aus dem Hause Pfalz-Birkenfeld. In der Hauptstadt ihres Landes weilend, theilte sie ihre Zeit zwischen den Regentensorgen, deren Last sie zu großem Theile ihrem Gemahle abgenommen, und jenem Gedankenleben, jenem ernsten Streben nach vollendeter Geistesbildung, welche ihr ein tiefes Seelenbedürfniß waren. Sie versammelte um sich, was die Residenz an aufgeklärten und gelehrten Männern besaß. Mit Begeisterung folgte sie der frischen, Großes verheißenden Entwickelung der jungen Literatur jener Tage. Die ersten Gesänge des Messias, die damals erschienen waren, rissen sie zur Bewunderung hin. Sie sammelte emsig die Oden und Elegien Klopstock’s, so wie sie einzeln in den Journalen erschienen; ja, sie veranstaltete im Jahre 1771 die erste Ausgabe derselben in 34 Exemplaren, welche sie an die ihr nahestehenden Verehrer des Dichters vertheilte. Es bildete sich so eine geistige Atmosphäre um Caroline von Hessen, in welcher stets mannichfach anregende Erscheinungen in buntem Wechsel auftauchten, um wieder neuen zu weichen, in welcher nacheinander alle schöpferische Genien der Epoche erschienen. Durch Merk’s Vermittelung stand die Fürstin in geistigem Verkehre mit Herder, der sie „die große Landgräfin“ nannte, und mit Wieland, der nur einen Augenblick Herr des Schicksals zu sein wünschte, um Caroline von Hessen zur Königin von Europa erheben zu können.




In jenen Tagen wurde an den Thoren einer Residenz noch genaue Controlle geführt; der „Passagier-Zettul“ wurde jeden Morgen regelmäßig den Durchlauchtigen Herrschaften zu Händen gebracht und wenn die Landgräfin am Morgen unter dem Verzeichniß der am gestrigen Tage durch das Frankfurter Thor Einpassirten den Namen:

Dr. Juris Wolfgang Goethe, logirt in des Kriegszahlmeister Merk’s –“

(nämlich Haus) gelesen hatte, so war das Räthsel gelöst, wie sie den jungen Mann, von dessen Dichten und Trachten in ihrem Kreise so viel die Rede gewesen, erkannt hatte.

Der Landgraf war seit einiger Zeit in seiner Hauptstadt anwesend. Er beabsichtigte, sich von hier aus nach Ems zu begeben, das er jährlich besuchte. Bei der Tafel war er heute sehr liebenswürdig, und nach Tische lud er seine Gemahlin ein, mit ihm nach dem Lustschloß Kranichstein zu fahren. Er war heiter gestimmt und erklärte auch seiner Gemahlin den Grund dieser Heiterkeit – man hatte einen trefflichen Burschen, ein wahres Pracht-Exemplar von einem stattlichen Grenadier, an sein Regiment abgeliefert. Die Landgräfin nahm an solchen kleinen Freuden ihres Herrn keinen Theil. Die Art und Weise, wie man sich in jener Zeit Rekruten zu verschaffen wußte, war ihr ein Gräuel; aber sie konnte nichts daran ändern und so begnügte sie sich damit, keinen Theil daran zu nehmen und sich nicht darum zu kümmern. Trotzdem aber wurde ihre Aufmerksamkeit in hohem Grade rege, als der Landgraf hinzusetzte:

„Haben’s dem Allgeyer zu verdanken! Der hat ihn eingestellt; Ew. Liebden vermelden ihm wohl, wenn Sie ihn sehen, unsere Gnad’ und Zufriedenheit?“

„Dem Allgeyer?!“ rief die Landgräfin, überrascht aufblickend, aus.

„Dem Hofgärtner Allgeyer – so ist es!“

„Der hat den Rekruten eingeliefert?“

„Ja; der Bursche hat sich ungebührlich in seinem Hause betragen, mit der Minette, dem hübschen Ding, geliebelt, ist dabei unnütz geworden – was weiß ich – kurz, da er nicht hiesig, sondern ein Fremder ist, hat ihn der Allgeyer beim Kragen gefaßt und die Wache holen lassen, und nun ist er Rekrut!“

Der Landgraf klopfte vergnügt auf den Deckel seiner goldenen Tabatiere und nahm eine mächtige Prise. Dann setzte er hinzu:

„Haben wir die Ehre, von Ew. Liebden nach Kranichstein begleitet zu werden?“

„Mein Gott,“ fiel die Landgräfin ängstlich ein, „wie heißt der Mensch?“

„Wer, der Rekrut?“

„Wie heißt er?“

„Ist mir unbewußt,“ versetzte der Landgraf. „Das gehört in die Muster-Rolle.“

„Und es ist ein auffallend schöner, stattlicher Mensch?“

„So besagt der Rapport. Werden selben morgen gleich in Augenschein nehmen.“

„Es ist ein Fremder – er hat Unfug in Allgeyer’s Hause angestellt, mit Minetten geliebelt? – in der That, das läßt ja keinen Zweifel übrig,“ sagte die Landgräfin für sich und sehr erschrocken; „der Hofgärtner wird ihn in meiner Grotte gefunden, vielleicht für einen Liebhaber Minettens gehalten haben; es ist zu Streit und Hader zwischen ihm und dem bösen Alten gekommen, der um so zorniger geworden sein wird, weil er ein schlechtes Gewissen hatte … kein Zweifel, dieser stattliche neue Rekrut ist Goethe, – er muß so grausam dafür büßen, daß Allgeyer und die Dirne ihre Wächterpflicht vergaßen! – Oder hätte er in der That dem hübschen Lärvchen des Gärtnermädchens nachgestellt? … diese Herrn Poeten sind freilich unberechenbar in solchen Dingen; aber dem sei, wie es wolle, es ist eine schreckliche Geschichte, die einen Nachhall in ganz Deutschland haben wird, wenn es mir nicht gelingt, ihn noch heute aus den Händen meines Mannes zu befreien!“

Dies war die Gedankenreihe, welche augenblicklich in der edlen Fürstin aufstieg und wobei ihr die Sorge, daß es unmöglich sein würde, die Freilassung des Rekruten von ihrem Gemahle zu erlangen, centnerschwer auf’s Herz fiel. Auch machte diese Angst es ihr unmöglich, lange über die klügste und zweckmäßigste Weise nachzudenken, wie sie Ludwig den IX. dazu bewegen könne, das Unerhörte zu thun und einmal einen Rekruten frei zu geben, den er bereits in seinem „zweierlei Tuche“ stecken hatte. Sie platzte augenblicklich mit dem Ausrufe heraus:

„Wissen Ew. Liebden, wer der Rekrut ist? Das ist der junge Goethe, des kaiserlichen Raths Dr. Goethe in Frankfurt Sohn, und wenn Ew. Liebden sich nicht ärgerlichen Zerwürfnissen mit der freien Reichsstadt aussetzen wollen, möchte ich unmaßgeblich gerathen haben, denselben augenblicklich wieder auf freien Fuß zu stellen!“

„Goethe?“ sagte der Landgraf. „Nun, was verschlägt’s? Daß solch’ ein mißrathenes Söhnlein noch zu der Ehre kommt, hessischer Grenadier zu werden, kann ja dem Herrn kaiserlichen Rathe, denk’ ich, nur eine Freude sein!“

„Aber Ew. Liebden, das ist kein mißrathener Sohn – es ist ein ganz hervorragendes und wegen seiner mancherlei Versuche in der Dichtkunst bereits viel gepriesenes Talent.“

„In der Dichtkunst?“ fragte der Landgraf sehr kühl.

„Er hat eine vortreffliche Tragödie von Ritter Götzen von Berlichingen mit der eisernen Hand geschrieben!“

Der Landgraf schüttelte den Kopf.

„Ich will nichts gegen diese Leute sagen, denn Ew. Liebden sind nun einmal ihre großgünstige Gönnerin. Aber so viel ich von ihnen weiß, sind es unsichere Cantonisten allzumal und einige Jahre Militairdienst werden dem jungen Musjeh Goethe nichts schaden!“

„Ew. Liebden,“ fuhr die Landgräfin fort, „wenn meine Bitten irgend etwas bei Ihnen vermögen, so lassen sie diesen jungen Mann frei!“

Der Landgraf zog seine Stirn in Falten.

„Woher wissen Sie denn so sicher, wer der Rekrut ist?“ fragte er.

„Ich habe den jungen Mann, der von auffallend schöner Statur ist, heute Morgen im Hause des Allgeyer’s gesehen, als ich meinen Spaziergang durch die Anlagen machte.“

„Und kennen ihn?“

„Weil er mir genau von seinen Freunden beschrieben wurde und der Nachtzettel seinen Namen hat.“

„Nun,“ versetzte der Landgraf, „um Ihres Interesses für denselben willen, und weil er wohl mit der Feder umzugehen weiß, könnten wir ihn ja als Unterofficier einstellen, sobald er das Exercitium kennt, und nachhero vielleicht gar zum Feldweibel befördern – dann kann er doch wohl zufrieden sein?“

„Mein theurer Gemahl, halten Sie mir zu Gnaden, daß ich so ungestüm bin, aber ohne daß Ew. Liebden mir die Freiheit des jungen Mannes gewähren, werde ich nicht aufhören, Sie zu bestürmen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_102.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)