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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)


Der Spuk der Geistermaschine bei dem ungebildeteren Volke.
Von Dr. H. Kneusel.

In Nummer 1 der Gartenlaube fand ich zu meiner Freude einen Artikel: „Magier und Geister in Berlin“, von E. Kossak, über die jetzt nicht nur in Deutschland, sondern in fast ganz Europa alle Gemüther verwirrende Geisteskrankheit des sogenannten Geisterklopfens, Geistercitirens oder der Psychographie, wie es mit dem neuern Kunstausdrucke benannt wird. Da aus diesem Artikel hervorgeht, daß der Herr Verfasser noch nicht Gelegenheit gehabt hat, sich mit diesem Geisterspuk, wie er unter dem ungebildeteren Volke eine ernsthafte Wendung zu nehmen beginnt, näher bekannt zu machen, so dürfte es vielleicht für Manchen, der erwähnten Artikel gelesen hat, interessant sein, noch einiges Weitere und Genauere als Fortsetzung dazu zu erfahren.

Ich bin ein Bewohner der Grenzen von Thüringen und dem Osterlande, und kann mich daher nur auf Erlebnisse beschränken, wie ich sie hier und in der Umgegend seit ungefähr sechs bis acht Wochen erlebt habe und, ich muß leider sagen, noch erleben muß.

Die zu besprechende Manie hatte, wie in ganz Europa nach dem Vorgange von Amerika, so auch hier vor sechs bis sieben Jahren seinen ersten Ursprung in dem sogenannten Tischrücken. Da gab es wohl kein Haus und keine Familie mehr, wo nicht ein alter dreibeiniger runder Tisch seine Tanzkunst entwickeln mußte; man brachte ihn sogar durch anhaltende Anstrengungen dahin, daß er durch Klopfen zwar dunkele, aber doch von klugen Leuten zu deutende Orakelsprüche spendete. Auf dem Lande wurden in den Rockenstuben die Spinnräder bei Seite gesetzt und um den runden Tisch eine geheimnißvolle Kette gebildet; in den Kaffee- und Theegesellschaften der Städte war Gegenstand der Unterhaltung und Handlung das Tischrücken. Schade nur, daß das Tischchen nicht zu sprechen und nur Bruchstücke von seiner Weisheit mitzutheilen vermochte. Doch was erfindet nicht Alles der menschliche Scharfsinn! Hatte der Tisch gleich kein Sprachorgan, um zu sprechen, hatte er keine Hände, um schreiben zu können, so hatte er doch drei Beine, die sich vielleicht, wie man schon auch bei Menschen ohne Hände gesehen hatte, zum Schreiben abrichten ließen. Gedacht, versucht. Man baute zur größern Bequemlichkeit ein kleines, rundes Tischchen, einen halben Fuß hoch, einen halben Fuß im Durchmesser, und band an eines der drei Beine einen Dolmetscher des weisheitsvollen Tischchens, d. h. einen gut gespitzten Bleistift. Das damit versehene Tischchen stellte man auf einen Bogen glattes mit vier Nadeln auf einem großen viereckigen Tisch befestigtes Papier, und begann nun damit die gewöhnlichen Operationen des Tischrückens. Man legte Fragen vor, und siehe da, welches Erstaunen, welche Freude, welcher heilige Schauer! Das Tischchen fängt an, sich zu bewegen, der Bleistift fängt an zu schreiben; er schreibt Buchstaben, Zahlen, Wörter, ganze Sätze und steht wieder still. Die Worte, Zahlen, Sätze sind leserlich, wenn auch ein wenig ungelenk. Sie werden gelesen und passen auf die Fragen, daß selbst das Orakel zu Delphi nicht passender hätte antworten können.

Ich selbst habe bei einem Besuche in einer kleinern Stadt, als ich von einem Freunde in eine sehr geachtete Familie zur Abendgesellschaft eingeführt wurde, dieses Manöver mit angesehen. Ich erstaunte natürlich auf’s Höchste, als das um Auskunft befragte, von einer Dame und zwei mit dieser geheimnißvollen Sache noch ganz unbekannten Herren mit den Fingerspitzen berührte Tischchen Antworten gab, die nicht besser passen konnten. Besonders die Damen bekamen auf ihre sich meist auf die Zukunft beziehenden Fragen Antworten, die allgemeine Heiterkeit erregten.

Nur einen Fall will ich erwähnen, der alle Anwesenden in Erstaunen setzte. Es wurde von einer Dame gefragt: „Wo bleibt Herr H., daß er nicht gekommen?“ (Herr H. wohnte, beiläufig bemerkt, in der Nebenstraße, 2. Etage). „Zu Hause,“ war die Antwort. „Was macht er?“ „Geht auf und ab und raucht Pfeife dazu.“ „Wird er noch kommen?“ „Nein.“ Des Spaßes wegen, um sich von der Wahrheit oder Unwahrheit zu überzeugen, erbot sich Einer aus der Gesellschaft, sogleich zu Herrn H. zu gehen und zu sehen, was er mache. Er eilt zu ihm, und siehe da – er spaziert gemüthlich in seiner warmen Stube auf und ab und verbreitet aus seiner Meerschaumpfeife einen dicken Dampf um sich. Auf die Frage, warum er nicht komme, antwortete er, er sei nicht eingeladen; und richtig war die Einladung ihm von der Dienstmagd zu übergeben vergessen worden. Jetzt aber hatte er nichts Eiligeres zu thun, als unsere Abendgesellschaft noch zu besuchen und seine mit dem Ausspruch des Tischchens genau übereinstimmende Thätigkeit zur allgemeinen Belustigung mitzutheilen.

Mit den Zahlen, die das Tischchen stets sehr bereitwillig angab, war dasselbe, so wie sich schon die besten Rechner verrechnet haben und auch die besten Prophezeiungen berühmter Propheten nicht immer auf’s Jahr eingetroffen sind, nicht so genau. Nachdem es schon oft mit Zahlen geantwortet hatte, machte ich mir den Spaß und fragte: „Welche Nummer der Leipziger Lotterie wird in der nächsten letzten Classe das große Loos gewinnen?“ Kaum hatte ich die Frage beendet, als auch schon der verhängnißvolle, jetzt Glück in Ueberfluß andeutende Tischbeinbleistift ganz deutlich die Zahl 1080 auf’s Papier schrieb. Wir Alle schauten einander erstaunt an, und die drei erwähnten Leiter des Tischchens waren die ersten, welche den Vorschlag machten, des Spaßes wegen diese Nummer zu spielen. Sie hatten sich dieselbe, wie ich später erfuhr, wirklich noch aus Leipzig zu verschaffen gewußt, und als die letzte Ziehung, vielleicht unter Herzklopfen der Spielenden, gekommen war, wurde gehofft und geharrt; und siehe da, die gespannten Spieler erhielten schon am Tage nach dem Schlusse der Ziehung die mit Blitzeskraft zerschmetternde Nachricht: Nummer 1080 – eine Niete. Sie erlassen mir wohl, alle die merkwürdigen Fälle mitzutheilen, die da erzählt und wiedererzählt wurden.

Man mußte sich den Anschein geben, als wenn man es glaubte, wenn man die Erzähler nicht dadurch, daß man sie für Lügner oder Betrogene hielt, schwer beleidigen und sich als Ungläubiger bei ihnen nicht verhaßt machen wollte. – Als Merkwürdigkeit muß ich noch erwähnen, daß das Tischchen – ich weiß nicht, warum – wenn ich in lateinischer, französischer oder sonstiger fremder Sprache fragte, zwar anfing, sich zu bewegen, aber anstatt Buchstaben über den ganzen Bogen Papier einen langen Querstrich machte.

War das bloße Tischrücken die erste Periode jener die Köpfe verwirrenden Manie gewesen, so war dieses Tischfragen und Tischschreiben die zweite Periode. Jetzt aber ist, wie schon im vorigen Aufsatz erwähnt worden, besonders, wie es scheint, durch den glücklichen, vielgepriesenen Einfall des Herrn Hornung und auf Grund eines in Leipzig im Druck erschienenen Büchleins, eine dritte Periode eingetreten. Ich habe das Büchlein nicht selbst in den Händen gehabt, hielt es auch nicht für der Mühe werth, davon Einsicht zu nehmen, sondern kenne es nur vom Hörensagen. Sein Titel ist, wie mir mitgetheilt worden: „Ehestandsbüchlein vom Geisterklopfen. Unumstößlicher Beweis der Seelenfortdauer nach dem Tode.“

Es ist jetzt durch dieses Buch in unserer Gegend, besonders auf dem Lande, eine Verwirrung der Geister und Gemüther eingetreten, die Einen wahrhaft anwidert. Die ganze Sache, die bisher nur zur Unterhaltung und in Familienkreisen getrieben wurde, fängt jetzt an, einen religiösen, schwärmerischen Charakter anzunehmen. Wo man nur hinkommt, bildet dieser Geisterspuk das gewöhnliche Gespräch; es geht Einem ein unheimliches Grauen, ja ein Ekel an, wenn man von weiter nichts, als von derartigen wunderbaren, mit größtem Ernste und unter stillster Aufmerksamkeit erzählten Geisteroffenbarungen hören muß, deren Jeder einen ziemlich großen Vorrath auszukramen weiß.

Die Einrichtung des Instruments, womit diese Geistercitation – denn eine solche ist es jetzt wirklich, da die Geister von Verstorbenen persönlich erscheinen und durch das Instrument zu den Sterblichen reden – jetzt betrieben wird, der „Geistermaschine“, wie man sie nennt, ist die im vorigen Artikel beschriebene storchschnabelartige. Diese Geistermaschine wird nach Vorschrift jenes Büchleins auf einen Bogen weißes Papier, ein Bret oder dergleichen gestellt. Das Papier oder Bret ist mit verschiedenen Hieroglyhen beschrieben. Oben an steht: „††† Gott mit uns“. Es folgt die erste Hälfte des Alphabets. Darauf die Worte: „Im Namen des Vaters“ …. u. s. w. Dann die zweite Hälfte des Alphabets. Hierauf die Worte: „Gott wende von uns ab alle bösen Geister.“ Schließlich folgen die Zahlen 1–0.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_152.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)