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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und Knicken, hinter der Ziegelei Schutz. Dem tapfern Hauptmann von Hennings und dem braven Hauptmann von Binzer schuldet die Nachwelt volle Bewunderung; denn mit zwei furchtbar decimirten Compagnien stürmten sie zweimal die von drei dänischen Bataillonen vertheidigte Ziegelei! Zweimal warfen vierhundert Deutsche dreitausend Dänen mit dem Bajonnete zurück!

Der Kampf war zu ungleich, als daß wir ihn hätten fortführen können. Unsere Compagnie allein hatte ein volles Dritttheil ihrer Leute verloren; es fehlte uns nicht an Muth, wohl aber an Kraft, den Feind zu besiegen. In unserer höchsten Noth erschien das zweite Bataillon unter Hauptmann von Jeß; rasch wurden drei Compagnien als Tirailleure den Jägern zu Hülfe geschickt; die vierte Compagnie ging mit Trommelschlag auf die Ziegelei und das Buchholz vor. Mit lautem Hurrah sprangen die Tirailleure über Knicke und Zäune, und in einem einzigen Anlaufe hatten wir den Feind geworfen. Ein furchtbarer Kampf entspann sich. Mit Kolben und Bajonnet schlugen die Deutschen auf die dichten Massen der Dänen ein; hinter der dänischen Front spielte ihre Brigademusik den „tappern Landsoldat“, aber zum Takte des tappern Landsoldaten zerschmetterten deutsche Hiebe manch dänisches Hirn. Wir verloren in dem ungleichen Kampfe entsetzlich. Bergin, Waltersdorf, Arnstedt waren todt; Hauptmann Jeß fiel schwer verwundet vom Pferde; unser Feldwebel, Vicefeldwebel und neun Unterofficiere lagen entweder todt oder schwer verwundet auf dem Schlachtfelde, fast die Hälfte unserer Jäger war kampfunfähig. Aber auch die Dänen hatten Verluste erlitten! Bei der Ziegelei und im Buchholze war die Erde an einzelnen Stellen mit Todten und Verwundeten bedeckt. Es war nicht möglich, die Verwundeten fortzuschaffen, und wenn auch mancher brave Camerad flehend die Hände erhob und um einen Trunk, eine Aenderung seiner Lage bat, – wir konnten nicht helfen, denn mit neuen Bataillonen drangen die Dänen auf uns ein. Vier Stunden hatte der furchtbare Kampf gedauert, umsonst hatten wir um Hülfe gebeten – endlich kam der General-Major Graf Otto von Baudissin, der bravste und tapferste Mann der ganzen Armee, mit einer Abtheilung des vierten Bataillons zu unserer Unterstützung herbei.

Seine laute, sonore Stimme flößte den erschöpften Streitern neuen Muth ein.

„Uns Grof is do,“ riefen die Leute sich frohlockend zu, „nun man wedder förwarts!“ Ich höre ihn noch, wie er, als ginge es zum Festgelage, inmitten des furchtbarsten Gewehrfeuers seinen Leuten zuredete; ich sehe ihn noch, wie er kühn wie ein Löwe mit seinem Häuflein gegen den Feind stürmte und ihn zum Wanken brachte; ich sehe ihn noch, wie er schwer verwundet zu Boden stürzte und im Fallen seinen Leuten zurief: „Schlagt mit dem Kolben drein, Kinder.“ Ja, und sie schlugen mit dem Kolben drein, die braven, ehrlichen deutschen Jungen! Eine wahre Wuth war über uns gekommen; wir wollten siegen, und wir siegten. Die Dänen wichen unserm Angriff; wir hatten die Ziegelei und das dahinter liegende Gehölz mit Kolben und Bajonnet genommen! Eine Weile ruhte der Kampf – die Verwundeten wurden weggeschafft. Bauerwagen fuhren, von Dragonern mit dem Säbel vorwärts getrieben, in sausender Carriere über das Schlachtfeld und luden die verwundeten Krieger auf, um sie auf den Verbandplatz zu bringen.

Der Zug mit den ächzenden Cameraden kam dicht bei mir vorbei. Da plötzlich redete mich eine bekannte Stimme an; ich schlage die Augen auf und erblicke den ehrlichen Torfbauer, der mit seinem alten Braunen herbeigeeilt ist, um dem bedrängten Vaterland seine schwachen Kräfte zu widmen. „Herr Officier!“ rief er. „Heute danken wir Ihnen, was Sie an uns gethan – de ohle Bruune un ick.“ – Ich drückte dem ehrlichen Manne die Hand und klopfte den alten Braunen auf den Rücken. – Der Ausgang der Schlacht ist bekannt. Wir verließen das Schlachtfeld, als die dänische Armee ihr letztes, aus sechshundert Mann bestehendes Bataillon vorschickte, um ihren Rückzug zu decken.

Ich habe Segeberg wieder gesehen, den Freund auf der Haide aufgesucht und mit ihm Milch und Buchweizengrütze gegessen. Er und seine Frau haben mir die Hand darauf gegeben, daß Hannes ein Jäger werden und für das Vaterland kämpfen soll, wenn er ein Mann ist. Der alte Braune ist todt und wird tief betrauert von seinem Freunde und Herrn.




Auch ein Hausmittel, das man aber nicht im Hause haben kann.

Etwa vor 20 Jahren war ich einmal recht ernstlich erkrankt. Monatelang vorher unterleibskrank, vergällt und hypochondrisch, wurde ich im November von einem hitzigen Gelenkrheumatismus (sogenannter goutte volante) befallen, welcher mich bis zum Frühjahr an das Zimmer fesselte und bis in den Sommer hinken machte. Ich war so lahm, daß ich nicht den kleinsten Hügel ersteigen konnte.

Es wurde beschlossen, daß ich „etwas Ordentliches thun“, d. h. nach Karlsbad zur Cur gehen sollte. Es geschah. Damals fuhr man noch mit der Eilpost durch’s Gebirge, Tag und Nacht; letztere war bitterkalt. Mit Vergnügen ergriffen die Passagiere jede Gelegenheit, wenn es bergauf ging, auszusteigen und sich die erstarrenden Füße zu „vertreten“. Auch ich versuchte dies. Und siehe da, es ging! Selbst größere Berge hinauf gelang es. Ja, am folgenden Tage bestieg ich schon mit einem jugendlichen Reisegefährten die Felsenruine Neudeck und führte Nachmittags denselben auf den „Hirschensprung“ hinauf und dann auf die jenseitige Höhe des „Kreuzberges“ von Karlsbad. Ich war mobil geworden und ward es in den ersten Wochen immer mehr. Aber in den letzten wurde ich so elend und so hypochondrisch, daß ich rasch abreisen mußte. Zu Hause stellte sich dann nach und nach wieder Ordnung in meinem Organismus her. Aber eine Lehre entnahm ich mir aus diesem Erlebniß: daß ich eigentlich den Hauptschritt zur Genesung gethan hatte, bevor ich einen Becher Brunnen trank; – daß die Reise, die Körperbewegung, die Geistesanregung, die Nöthigung mir selbst zu helfen, mich schon vor der Cur auf die Beine gebracht hatten, – ohne damit zu leugnen, daß die Karlsbader Diät und Mineralquelle für Unterleib und Stoffwechsel manche nützliche Wirkung gehabt haben mögen.

Diesem Wink folgend, machte ich im nächstfolgenden Sommer eine kleine Bergreise, im zweitfolgenden eine größere, im dritten eine weite Reise nach Skandinavien, in späteren Sommern immer anderswohin alljährlich. – Und in gleicher Weise habe ich hundert Andere auf Reisen geschickt, Hunderte unterwegs kennen gelernt, welche dieselbe „peripatetische Cur“ (Wandercur) mit gleichem Nutzen als Schutz- und Heilmittel gegen allerlei Krankheiten gebrauchten. Ich bin daher wohl im Stande, über den Werth und richtigen Gebrauch dieses „meines liebsten Hausmittels“ (um mit College Bock zu reden) – welches freilich nicht zu Hause zu haben ist – ein paar Worte mitzutheilen.

Wir sprechen zuerst von den gewöhnlichen kürzeren Wandercuren, besonders in den Bergen des lieben Vaterlandes ausgeführt; dann wollen wir über die größern des Klimawechsels wegen nach Süd oder Nord oder über Meer gerichteten Gesundheitsreisen ein paar Worte hinzufügen.


1. Wander-Curen.

Der geplagte Schüler und sein noch viel geplagterer Lehrer, der Student und seine Professoren, der Rechtsanwalt und der Richter, – sie alle haben ihre jährlich zum bestimmten Tag wiederkehrenden Ferienwochen, die sie zum Wandern verwenden können. Andere Staats- und Privat-Diener nehmen sich Urlaub. Der Kaufmann, der Gewerbtreibende, der Arzt etc. machen sich selbst jährlich auf ein paar Wochen geschäftsfrei, um zu reisen, NB. wenn Letzterer so gescheidt ist, eine gefestigte Gesundheit, dem Gelderwerb vorzuziehen, und wenn er so glücklich situirt ist, daß er einige kleinere Geschäfts-Einbußen (die jeden Abwesenden betreffen) leicht verschmerzen kann.

So ein paar Wochen Freiheit, welche man, in Land und Flur herumstreifend, am besten in den Bergen umherkletternd, zubringt, – das ist eine Medicin, köstlicher und heilsamer als irgend eine aus der Apotheke!

Zunächst unterliegt dabei Geist und Körper einer allgemeinen Umwandlung, welche man mit dem sogenannten Fruchtwechsel beim Feldbau vergleichen kann. Man genießt eine andere Kost, als die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_055.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2020)