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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

dahin. Der Hahn der Büchse ist gespannt. Da – eine leise Drehung des Körpers verräth es – wir sind bemerkt! In demselben Augenblick knallt der Schuß. Harmlos prallt die Spitzkugel ab vom harten Panzer des Kopfes. Mit einem gewaltigen Satze stürzen die Thiere hinein in die schützende Fluth und sind unsern Blicken entschwunden.

An einem Tage wiederholte sich dasselbe Schauspiel wohl drei- bis viermal. Obwohl keine eigentliche Jagd, war es die einzige Abwechselung auf der monotonen langweiligen Flußfahrt. Nur ganz ausnahmsweise glückt es, sich dem Krokodile unbemerkt so weit zu nähern, um mit der Kugel sicher die kleine Augenöffnung zu treffen. Die Eingeborenen bedienen sich beim Fange einer Leine mit Haken, woran ein Köder befestigt ist.

In der Provinz Pasuruan, im Osten Javas, liegt lieblich am Fuße des Gebirges ein kleiner See, der See von Grati genannt. Mit dem Meere oder einem Flusse steht der See in keiner ersichtlichen Verbindung. Demungeachtet ist er der Aufenthalt einer zahlreichen Krokodilencolonie. Wie die Legende lautet, hat der See sein Entstehen einem Strafacte der Götter zu danken. Hier stand vor Zeiten ein blühendes Dorf. Reichthum und Völlerei führten zur Sünde und erregten den Zorn der Götter. Das Dorf versank in die Tiefe. Die grüne Fluth verschlang Haus und Hof, nebst allem was lebte. Es entstand der See. Die sündhaften Bewohner wurden zu Krokodilen.

Das nahe Dorf Grati hatte unter den Versunkenen viele Verwandte gehabt, was eine gewisse Anhänglichkeit der die Fluth bewohnenden Amphibien zu den Menschen in Grati erklärt. Speciell umschließt ein inniges Freundschaftsband die beiden ältesten Repräsentanten des Vorgeschlechts. Sobald der Ruf ertönt des Alten aus Grati, kommt Krokodil-Patriarch angeschwommen. Fremde, welche Pasuruan besuchen, versäumen nicht die kleine Excursion zum See zu machen. Der Alte ist sofort bei der Hand, mit einem kleinen Floß zusammengebundener Baumstämme. Auf dem Floß befindet sich ein Hühnchen oder eine Ente mit gebundenen Füßen. Der Alte besteigt ein ganz leichtes Canoe und rudert mit dem Floß hinein in den See. Auf seinen Ruf: Kjahi! Kjahi! (Großväterchen) kommt Großvater alsbald aus der Tiefe emporgetaucht, nähert sich dem Flosse und schnappt dankbar die dargebotene Gabe herunter. Es passirt jedoch manchmal, daß trotz alles Bitten und Rufens seines alten Freundes der Gerufene nicht erscheint. Dann heißt es: Kjahi schläft, oder: Kjahi ist unpäßlich, oder wohl gar: der fremde Besuch ist ihm nicht genehm; was jedoch den Alten durchaus nicht abhält, die Bitte an den fremden Besucher zu richten um ein kleines Almosen, im Interesse der gemeinschaftlichen zwei- wie vierbeinigen Menage.

Man sieht, schöne Seelen finden sich – im Grindelwaldthal, wie am Gratisee.




Blätter und Blüthen.


Noch einmal Bakunin. (S. Nr. 4 dieses Jahrgangs.) Einsender dieses war zur Zeit von Bakunin’s Flucht in Sibirien und wundert sich heute nicht zum ersten Male über das abenteuerliche Gewand, in das diese Flucht wiederholt eingekleidet worden ist. Bakunin hat in Sibirien, in Irkutzk (er führte dort den Spitznamen König von Sachsen) und Tschita, sehr gemächlich gelebt und ist schließlich ganz offen als Agent der Amurhandelscompagnie und als Tourist den Amur hinab gefahren nach Nikolajewsk, hat daselbst wiederum mit der dortigen Gesellschaft im freundlichsten Verkehr gestanden und sich schließlich in der Bai de Castries von einem russischen Kriegsschiff, auf dem er Gast war, auf ein amerikanisches Handelsschiff übersetzen lassen, auf dem er noch den russischen Posten in der Bai Olga besucht hat, um dann weiter auf demselben Schiffe nach Japan und Californien zu fahren. Die Behörden hatten keinen besondern Auftrag, auf ihn aufmerksam zu sein, und so hat man ihn in Folge einer gewissen Gemüthlichkeit entkommen lassen. Die Gouverneure der betreffenden Provinzen sind freilich später, da er zur Zeit des polnischen Aufstandes wiederum als Agitator auftrat, zur Verantwortung gezogen worden. Die Geschichte von der einsamen Flucht durch die Einöden Sibiriens ist wohl nur erfunden, um den Personen, die sein Entkommen befördert haben, keine Unannehmlichkeiten zu bereiten. Jetzt ist man allerdings vorsichtiger und den politischen Verbannten ist es nicht erlaubt, sich im Amurlande aufzuhalten.

F. S. 


Emancipation. Während in Deutschland noch vor fünfzehn Jahren, sobald in Frankreich ein leidlich interessantes Buch auftauchte, eine Schaar von Uebersetzern sich beeilte, dem gläubigen deutschen Publicum die angepriesene ausländische Kost in allerlei Formen vorzusetzen, ist heute das Verhältniß fast ein umgekehrtes geworden, wenigstens ist die Zahl der Uebertragungen aus dem Englischen und Französischen seit einigen Jahren bereits auf Null herabgesunken. Dagegen mehren sich die Uebersetzungen deutscher, namentlich wissenschaftlicher Bücher in sehr bedeutendem Maße, ein schlagender Beweis für die Zunahme der Werthschätzung deutscher Geistesarbeit im Auslande. Als ein Beispiel dafür nennen wir nur das neue, noch gar nicht complet erschienene Buch von Louis Büchner: „Die Stellung des Menschen in der Natur“, das gleichzeitig in deutscher, französischer, italienischer und englischer Ausgabe erscheint. Daß Bock’s „Buch vom gesunden und kranken Menschen“ ebenfalls in’s Englische, Französische, Holländische und Russische, Marlitt’s Romane aber in alle lebende Sprachen der civilisirten Welt übersetzt wurden, theilten wir unsern Lesern bereits früher mit. – Das ist eine Emancipation, der in Deutschland wohl Jeder das Wort reden wird.




Fr. Hecker. Noch immer spukt in deutschen Zeitungen die Nachricht, den alten Agitator von Achtundvierzig plage das Heimweh nach Deutschland, er wolle Alles in Amerika verkaufen und mit seinen Söhnen in’s geliebte Vaterland zurückkehren. Von alledem ist kein Wort wahr. Hecker selbst schreibt dem Herausgeber dieses Blattes darüber scherzend:

„Ich begreife nicht, wie schon wieder die Nachricht aufgetischt werden mag: ‚ich beabsichtigte nach Deutschland zu übersiedeln‘. Was soll ich dorten thun? Etwa Unterthan werden, während ich hier Einer der zwei Millionen Souveraine von Illinois bin? Mit bald sechszig Jahren auf dem Rücken ist man zu steif geworden, um sich zur ‚Unterthanschaft‘ zu bücken und solches Glück als Solches zu würdigen.




Vermißte Landsleute jenseits des Oceans.
(Fortsetzung.)

7) Hermann Köllner, Uhrmacher, aus Meyenburg in der Ostpriegnitz, jetzt sechsundzwanzig Jahre alt, ließ sich 1865 in Luxemburg für die Mexicanische Expedition anwerben, segelte mit einem Regiment (angeblich „Etranger, Nr. 2477“) am 12. November 1865 von Marseille ab. Seine Eltern (der Vater ist Sattlermeister in Meyenburg) drückt schwer die Ungewißheit seines Schicksals.

8) Fritz August Coblenz, aus Leipzig, ließ sich 1856 in Harderwyk, damals einundzwanzig Jahre alt, auf sechs Jahre unter die holländisch-ostindische Fremdenlegion anwerben, trotzdem ihm ein Finger der linken Hand fehlt, und kam so nach Batavia. Obwohl er seiner bekümmerten Mutter mit Hand und Mund versprochen, Nachricht von sich zu geben, ist seit dreizehn Jahren keine Zeile von ihm angekommen, und der Familie ist es unmöglich, bei den holländischen Behörden kostspielige Nachforschungen zu veranlassen.

9) Lebrecht Steyer, aus Erbisdorf hinter Brand bei Freiberg in Sachsen, wanderte im October 1859 nach Comal County, Neu-Braunfels, in Texas aus, schrieb zuletzt am 4. Juli 1864, daß er krank sei; seitdem hat seine in Angst und Sorge um ihn lebende Mutter keine weitere Nachricht erlangen können.

10) Julius Herrmann, Kaufmann aus Dresden, gab seiner Mutter, der Wittwe Frau Caroline Herrmann in Dresden, zum letzten Male im Januar 1868 Nachricht von sich; seitdem blieben alle Briefe unbeantwortet. Vielleicht wird die Nachforschung nach ihm erleichtert durch seine Geschäftskarte: „Pfeifer & Herrmann, Dealers in all kinds of Tobaccos, pipes etc. and Manufacturers of Segars. No. 299. third St. Milwaukee, Wis.“

11) Emil Steger, aus Luckau i. L., segelte im November 1862 mit dem holländischen Schiff „Van Nam“ von Marseille nach Newyork ab, um, versehen mit einem preußischen Officierpatent, in die Unionsarmee einzutreten. Das Schiff kam, ohne Menschenverlust, dort an, aber kein Lebenszeichen Steger’s an seine Verwandten; auch ein Aufruf in der „Newyorker Staatszeitung“ blieb ohne Erfolg.

(Fortsetzung folgt.)



Inhalt: Aus eigener Kraft. Von W. v. Hillern. (Fortsetzung.) – Aus den vier Wänden der römischen Frauenwelt. Mit Abbildung. – Aus den letzten Tagen zwei Verurtheilter. Nr. 1. Ist das Strafe? – Die Sicherheitsapparate der Eisenbahnen. – Kraft und Anmuth in der Mädchenschule. Mit Abbildung. – Unter den Tropen. I. – Blätter und Blüthen: Noch einmal Bakunin. – Emancipation. – Fr. Hecker. – Vermißte Landsleute jenseits des Oceans. (Fortsetzung.)


Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Verlagshandlung.

Im zweiten Quartale kommen, außer vielen anderen interessanten neuen Beiträgen und Fortsetzungen, zum Abdruck:
Der Fels der Ehrenlegion. Novelle von Berthold Auerbach. – Erinnerungen an Spontini. Von Eduard Devrient. – Sieben Jahre bei den Jesuiten. Aus dem Tagebuche eines Geretteten. Von Detmar. – Kraft und Stoff in der Geschichte. Von Louis Büchner. etc. etc.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_208.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)