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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Antheil gehabt, ist gar nicht beim Wartburgfest gewesen und hat in Jena mit der Burschenschaft fast immer in Hader gelebt, – aber nichtsdestoweniger hält die Geschichte die vom Demagogenrichter verhängte Verdächtigung aufrecht! –

Darum lassen wir den Mann reden, der aus eigener Quelle schöpft. Nachdem Münch erzählt hat, wie Follen im Bunde der Schwarzen von Gießen sie mit dem glühendsten Haß gegen das Königthum erfüllt und zu entschiedenen Republikanern erzogen habe, fährt er fort:

In dieser (Gießener) Zeit sprach Follen eine Lehre aus, die wohl auch schon von Anderen verkündigt und in Anwendung gebracht, niemals zuvor aber mit solcher Schärfe und schneidenden Consequenz vorgetragen worden ist, sie hieß später einfach der „Grundsatz“ oder der „Grundsatz der Unbedingten“ und lautet so:

„Dem Menschen, welcher sich selbst achtet, bleibt keine andere Wahl als seine eigene klare und wohldurchdachte Ueberzeugung zur Ausführung zu bringen. Entgegenstehende Meinungen Anderer, Hindernisse aller Art, Opfer – auch die schwersten, die er desfalls zu bringen hat – dürfen ihn nicht beirren, wenn es gilt, Das zu erringen, wovon die ganze Würde des menschlichen Daseins abhängt, nämlich ein freies und veredeltes Volkswesen. Ohne ein solches ist unser ganzes menschliches Treiben werthlos, ja des Bestehens unwürdig; denn wir sind auf den innigsten Verkehr mit anderen Menschen angewiesen.

Es ist freilich das Natürlichste, Menschlichste und dem Gesitteten das Liebste, ein solches Volksleben zusammenzubringen auf friedlichem Wege; aber wenn dies nicht sein kann, so verliert dadurch unsere Verpflichtung nichts an ihrem strengsten Ernste. Es ist am Ende bloße Feigheit oder doch Gefühlsverweichlichung, wenn wir von rechtmäßigen Mitteln zur Erlangung der Volksfreiheit reden wollen, weil ja Niemand ein Recht haben kann, sie vorzuenthalten; wir müssen sie erlangen durch jedes Mittel, welches immer sich uns bietet. Aufruhr, Tyrannenmord und Alles, was man im gewöhnlichen Leben als Verbrechen bezeichnet und mit Recht straft, muß man einfach zu den Mitteln zählen, durch welche, wenn andere Mittel fehlen, die Volksfreiheit zu erringen ist, zu den Waffen, welche gegen die Tyrannen allein uns übrig bleiben. Gegen unser sogenanntes rechtliches Handeln wissen sie vielleicht für immer sich zu schirmen, – sie müssen vor unseren Dolchen erzittern lernen. Wer aus Feigheit oder Selbstsucht eines der genannten Mittel ergreift, ist verächtlich, – wer es mit der innern Gewißheit thut, daß er das eigene Leben und alles Theuerste dem Wohle des Vaterlandes jeden Augenblick zu opfern bereit ist, steht sittlich um so höher, je mehr er nöthigen Falles ein natürliches Gefühl gegen die genannten Thaten in sich niederzukämpfen vermag.“

Den Hörern war es bei solchen Reden mitunter zu Muthe, als ob sie an einem bodenlosen Abgrunde ständen und ihnen geboten würde, den Sprung hinab zu thun. Der Consequenz war nicht zu entgehen und doch sträubte sich das Gefühl dieser gerade so streng an sittlichen Grundsätzen haltenden Jünglinge dagegen.

„Kann diese Lehre recht sein vor dem ewigen Richter?“ sagte Einer derselben.

Chr. S., einer der bereits Ueberzeugten, erwiderte: „Gut, wenn ich wegen einer That, durch welche ich mein Volk errette, ewig verdammt sein soll, so ist es besser, daß ich Einzelner die Verdammniß ertrage, als daß mein ganzes Volk länger in Knechtschaft schmachtet.“

Dies ist wohl die fürchterlichste Logik, welche jemals ausgesprochen worden ist.

Während Follen in Jena (wohin er erst 1818 kam, wo die Burschenschaft schon fest begründet und im Jenaischen Studentenleben alleinherrschend war) mit dem außerordentlichsten Erfolge Pandecten vortrug, galt es ihm natürlich weit mehr darum, für diese seine Grundsätze des politischen Handelns Propaganda zu machen, wobei er indessen auf größere Schwierigkeiten stieß, als er wohl erwartet hatte. Obzwar er unter den besseren der jüngeren und älteren Männer eine edle Freiheitsliebe antraf, die ihm wohl that, fand er wenige geneigt, auf seine praktischen Grundsätze zur Erringung der Freiheit einzugehen. Außerdem fand er in Fries (dem Philosophen) und Anderen bei Weitem streitgeübtere Gegner, als dies in Gießen der Fall gewesen war. Dennoch wich er aus seiner Stellung auch um kein Haar.

Man hielt ihm vor, daß seine Forderungen die eines allzu stolzen Menschen seien, der auf das unvermeidlich Mangelhafte in der Welt und im menschlichen Wesen keine Rücksicht nehme, konnte ihm persönlich aber kaum diesen Stolz verargen, weil er offenbar die höchsten Forderungen immer zuerst an sich selbst stellte und nur darum auch bei Anderen keinen Widerspruch zwischen Erkenntniß, Wille und That dulden wollte. Was man in ihm zu ehren gezwungen war, scheute man sich doch zum Grundsatze des eigenen Handelns zu machen. So konnte Follen nach langem und heftigem Streiten in Jena nur drei Anhänger für seine Lehre gewinnen, unter welchen eine Judasseele war (der zuletzt in ultramontanem Dienst berüchtigte Witt, genannt v. Dörring) und ein trefflicher Jüngling, dessen Name bald genug in den weitesten Kreisen genannt werden sollte.

Im März 1819 erfolgte die Ermordung Kotzebue’s durch Sand. Das darüber fast einstimmig gefällte Urtheil geht dahin, daß es eine in dem wilden Fanatismus oder doch in der jugendlichen Ueberspannung eines sonst edlen Menschen, der sich für ein ausersehenes Werkzeug des Himmels hielt, gereifte That war, daß ein Wahn, um den kein Anderer wußte, den Mörder trieb. Das Letztere wird um so mehr allgemein angenommen, da die schärfste Inquisition nicht im Stande gewesen ist, einen Mitschuldigen oder Mitwisser aufzufinden. Mag man indessen auch die Stimmung und Ansicht, aus welcher jene That hervorging, schwärmerisch nennen, so dürfen die Leser es doch mir glauben, daß die That ebenso kühl ausgedacht war, wie sie mit entschiedenem Willen vollführt wurde, und daß alle Folgen, die sich daran knüpfen sollten, überlegt und berechnet waren, und zwar nicht in Sand’s Innerem allein. Nachgerade „waren der Worte genug gewechselt worden“, sollte es einmal zu Thaten nach Follen’s Grundsätzen kommen. Was war das zunächst Thunliche? Eine Revolution direct zu machen, ging nicht an. Aber einen allgemein als Verräther an der deutschen Ehre und Freiheit gebrandmarkten Menschen in der möglichst auffallenden Weise zu strafen und aus dem Wege zu schaffen, dadurch die ganze Nation zum Gefühl ihrer Schmach mächtig aufzuregen, Tausende anzufeuern, daß sie, dem gegebenen Beispiele folgend, auch ihre Dolche blitzen ließen, wonach dann das Volk zu den Waffen greifen und alle seine Plager todtschlagen würde, das war erreichbar und thunlich und es verstand sich also nach dem „Grundsatze“ von selbst, daß es gethan wurde. Das Falsche in der Berechnung rührt daher, daß Follen bei aller sonstigen Einsicht doch die Masse des Volkes, seine Stimmung und Anschauung nicht kannte. Es verstand die Bedeutung dieser That so wenig, daß es für den Gemordeten viel mehr Mitgefühl als für den zugleich sich selbst opfernden Mörder an den Tag legte und auch den später eingekerkerten sogenannten Demagogen kaum irgend eine Theilnahme bewies. Follen konnte so wenig durch solche Thaten wie durch Worte der großen Menge sich verständlich machen.

Und warum verrichtete Follen die That nicht selbst? Aus reiner Oekonomie; denn der Gedanke der Selbstaufopferung war ihm in der That einer der liebsten. Ihm aber war eine höhere Aufgabe gestellt; seiner konnte die künftige Revolution als eines Führers nicht entbehren – er mußte für das Schwerere, das noch kommen sollte, sich erhalten. Hätte er sich dies nicht selbst gesagt, so sagte Sand es ihm jedenfalls, und er mußte die That dem Freunde überlassen, der eben dafür und nicht für noch Bedeutenderes sich befähigt hielt. Sand hatte Follen’s Ideen vollkommen sich zu eigen gemacht und hielt sich für berufen, den Anfang zu ihrer Ausführung zu machen. So allein wird diese That verständlich, und so sollte sie auf die Nachwelt kommen.

Sand, durchaus religiös und sittlich gestimmt, hatte den „Grundsatz“ zu seinem höchsten Glaubenssatz erhoben, in welchem weder ein langes Schmerzenslager, noch die Todesnähe, weder Zureden, noch Drohung ihn wankend machen konnten. Sein Tod war bei ihm selbst vorausbestimmt; denn als freiwillige Selbstaufopferung sollte und mußte die That erscheinen, nicht als gemeiner Act der Rache, um die beabsichtigte Wirkung auf die Nation hervorzubringen, und es war nicht Mangel an Willen, daß er nicht auf der Stelle todt blieb. Mit der größten Besonnenheit und Ruhe hatte er die ganze lange Reise vollendet, sich das Merkwürdigste in den Städten, namentlich in Darmstadt, angesehen, mit den Freunden verkehrt, dann kühl den rechten Moment gewählt – ist es zu verwundern, wenn er auch in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_723.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)