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ADB:Fries, Jakob

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Artikel „Fries, Jakob Friedrich“ von Heinrich von Eggeling in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 73–81, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fries,_Jakob&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:00 Uhr UTC)
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Fries: Jakob Friedrich F., geb. zu Barby am 23. Aug. 1773, † zu Jena am 10. Aug. 1843. Von Fries’ Vorfahren wird zuerst der kaiserliche Oberst Siegesmund Eberhard von Fries genannt, welcher in der Mitte des 17. Jahrhunderts Commandant von Höchst war. Dessen Sohn Heinrich Siegesmund fiel 1683 bei Ofen. Seine Wittwe verlor den größten Theil ihres Vermögens, und hierdurch sah ihr Sohn Konrad sich veranlaßt, auf den Adel verzichtend, das Geschäft eines Apothekers zu erlernen, welches er später in Mömpelgard selbständig ausübte. Der jüngste seiner Söhne, Peter Konrad, ward der Vater von J. F. F. Peter Konrad F., welcher Theologie studirt hatte, trat 1757 zu der Brüdergemeinde über. Er heirathete 1763 Christiane Sophie Jäschke, die Tochter eines der ersten Auswanderer aus Mähren, welche sich unter des Grafen Zinzendorf Schutz begeben hatten. Nach mehrjährigen Missionsreisen erhielt Peter Konrad F. 1773 als Beamter der Brüdergemeinde seinen festen Wohnsitz in Barby a. d. Elbe. Da die Interessen der Gemeinde ihm jedoch öfter größere Reisen auferlegten, so übergab er seine beiden Söhne, deren ältester Jakob Friedrich war, schon 1778 der herrnhutischen Erziehungsanstalt zu Niesky. Hier hatte F. in den ersten Jahren viel traurige, einsame Stunden zu verleben. Dem von Natur zarten und zu Kränklichkeit geneigten Knaben ward hier nicht die nöthige Pflege und richtige ärztliche Behandlung zu Theil, unter welcher sein Körper sich hätte gesund entwickeln können. Oft blieb er Wochen lang allein auf dem Krankenzimmer eingeschlossen ohne Buch, ohne Spielzeug, nur auf sich selbst angewiesen. Diese häufige, schmerzlichst empfundene Einsamkeit gewann jedoch insofern Bedeutung für die Entwickelung seines Geistes, als F. in ihr sich zu einer Beschäftigung mit seinem Innern gewöhnte, welcher Gewöhnung er später wohl zum Theil die ihm eigene große Gewandtheit in der Selbstbeobachtung verdankte. Der gut geleitete Unterricht ließ Fries’ reiche intellectuelle Anlagen zu schneller und kräftiger Entfaltung kommen, so daß F. von den Oberen der Gemeinde zum Studium der Theologie bestimmt wurde. Vor Allem fesselten ihn die mathematischen Studien, denen er privatim mit solchem Fleiße oblag, daß er bei seinem 1792 erfolgten Eintritte in das theologische Seminar von den mathematischen Vorträgen dispensirt ward, „weil für ihn darin nichts mehr zu lernen sei“. Philosophische Fragen, welche F. schon während der letzten Jahre auf dem Pädagogium vielfach beschäftigt hatten, traten auf dem Seminar, welchem er von 1792 bis 1795 angehörte, bald in den Vordergrund seines Interesses. Diese Jahre wurden für Fries’ Entwickelung die entscheidendsten; während derselben gewann der frühzeitig von allem Autoritätsglauben freie, allein an das [74] Forum seiner Einsicht und seines Gewissens gewiesene Selbstdenker die festen Grundansichten, deren weiterer Ausbildung und Entwickelung sein ferneres Leben gewidmet war. So wenig Einfluß die häufigen, nur zu geschäftsmäßigen Andachtsübungen der Gemeinde und der darin herrschende pietistische Geist auf F. in der Kindheit gewonnen hatten, so wenig vermochte die ihm später angebotene positive Religionslehre sein intellectuelles Bedürfniß zu befriedigen. Von der Philosophie erhoffte er die Beantwortung der Fragen, welche die Theologie ihm unbeantwortet gelassen hatte. Durch Garve’s anregenden Unterricht lernte F. zuerst Kant’s Lehre kennen; bald studirte er eifrigst Kant’s Werke: „nicht um seine Ansichten aufzufassen, sondern um mich von ihm leiten zu lassen in der Entwickelung meiner eigenen Einsicht in die philosophische Wahrheit“. Schon hier beschäftigte F. die früh gefundene Lebensaufgabe, welche darin bestand, den Kant’schen Kritiken eine allgemeine psychologische Grundlage zu geben, durch welche die großen von Kant gemachten Entdeckungen sicher gestellt würden; schon hier auch bildete sich die ihm eigene Weltansicht in ihren Grundzügen aus. Die Opposition, in welcher sich F. gegen die herrnhutische Dogmatik befand, hatte ihm die historische Grundlage seines religiösen Glaubens geraubt, nicht diesen selbst. An der religiösen Wahrheit hatte er nie gezweifelt, und die Erfahrung des Lebens in der Brüdergemeinde hatte ihn die Bedeutung des religiösen Lebens kennen gelehrt. Die hier thätige, selbstlose Liebe, die hier, auch von der Jugend im engen Freundeskreise geübte Hingabe an die Idee hatten in F. ein reiches Gemüthsleben geweckt, in welchem sich das religiöse Empfinden mit der Auffassung des Schönen in Natur und Kunst verband; so entwickelte sich ihm jene Weltansicht, welche er später die religiös-ästhetische nannte. Trotz seines inneren Abfalls von der Gemeinde wollte diese den um seines reichen Geistes und seines reinen Herzens willen von Allen geliebten F. äußerlich unter den ihrigen behalten, wohl in der Hoffnung, daß er dereinst auch innerlich zu ihr zurückkehren werde. So ward ihm im Herbst 1795 eine Lehrerstelle in Fulneck in Nordengland angeboten. F. schlug indeß dieselbe aus und beschloß, in Leipzig Jura zu studiren. Die Vorsteher der Gemeinde entließen ihn mit dem Ausdruck der größten Hoffnungen für seine Zukunft und mit dem Wunsche, daß er nach vollendetem Studium zurückkehren und eine Anstellung in der Gemeinde annehmen werde. Wenn sich auch dieser Wunsch nicht erfüllte, so blieb F. doch stets in freundlicher Beziehung zu der Gemeinde und in enger Freundschaft vielen ihrer Mitglieder verbunden, unter denen er später eifrige Anhänger seiner Lehre fand. – Die juristischen Studien ließ F. schon im zweiten Semester fallen und wandte sich der Philosophie ausschließlich zu. Er begann in Leipzig eigene Untersuchungen niederzuschreiben, welche theils die Ethik, namentlich aber die Theorie des Bewußtseins, den Hauptgegenstand seiner Bestrebungen, betrafen. Einige der hier entworfenen psychologischen Abhandlungen erschienen 1798 in E. Schmid’s psychologischem Magazin. Das an Zerstreuungen reiche Studentenleben, in welches F. von Nieskyer Freunden gezogen wurde, störte ihn indeß zu viel in seinen ernsten Arbeiten; deßhalb siedelte er im Herbst 1796 nach Jena über, welches damals auf dem Gipfel seines Ruhmes stand. Keinem der ausgezeichneten Männer, welche dort lebten und lehrten, kam F. persönlich näher; aber er traf einen kleinen, geistig lebhaft angeregten studentischen Kreis, in welchem er gern verkehrte. Er hörte Fichte, dessen Ruf F. besonders nach Jena gezogen hatte; zugleich aber schrieb er polemische Bemerkungen gegen ihn nieder, welche später den größten Theil der 1803 erschienenen Streitschrift: „Reinhold, Fichte und Schelling“ ausmachten. Da die bescheidenen Mittel, welche ihm von seiner Mutter zur Verfügung gestellt waren, zu Ende gingen, suchte F. ein Unterkommen, welches ihm neben bestimmter Arbeit doch einige Freiheit zur Fortsetzung seiner Studien [75] gewährte. Ein solches fand er im Hause des Hauptmann Sutor in Zofingen in der Schweiz; F. verweilte daselbst als Hauslehrer von 1797 bis zum Frühjahr 1800. In seinen Mußestunden war F. unablässig mit der Aufgabe beschäftigt, „für welche“, wie er an Christlieb Reichel, den frühesten und bleibendsten Freund seines Lebens schrieb, „ich eigentlich geboren und in die Welt gekommen zu sein scheine“. F. war in Zofingen in wissenschaftlicher Hinsicht in eine Wüste verschlagen, in welcher er ungestört seiner nur durch innere Selbstbeobachtung zu lösenden Aufgabe leben konnte. Im Wesentlichen mit dieser Hauptanstrengung seines Geistes für psychische Anthropologie fertig, kehrte F. im Frühjahr 1800 nach Deutschland und im Herbst desselben Jahres nach Jena zurück, um sich zu habilitiren. Seine Schüchternheit hielt F. von jenem Kreise in mannigfacher Beziehung bedeutender Persönlichkeiten fern, welche hier noch immer um Goethe gruppirt waren; ja auch den ihm geistig verwandteren Professoren kam er nur langsam näher. Im Februar 1801 erfolgte Fries’ Promotion und bald darauf die Habilitation; im Sommer begann F. zu lesen. Es war kein glücklicher Schritt, daß F. gerade Jena zum Beginn seiner akademischen Thätigkeit gewählt hatte. Seit 1798 war Schelling hier angestellt und hatte die Jugend so sehr für seine Naturphilosophie begeistert, daß es für F. äußerst schwierig war, neben jenem für seine von allen Spielen der Phantasie freie, aber um so strenger wissenschaftliche Philosophie Gehör zu finden, zumal sie ohne alle rhetorische Decoration vorgetragen wurde. Doch ebenso sehr wie die Verwirrung, welche durch Fichte, Schelling und Schlegel in philosophischen Dingen angerichtet war, gibt F. gegen Reichel seine eigene Verlegenheit und Aengstlichkeit im Vortrag, den er nicht immer der Fassungskraft seiner Zuhörer anzupassen vermöge, als Grund für mangelnden Erfolg an. Glücklicher gelang ihm seine literarische Thätigkeit. Die Streitschrift: „Reinhold, Fichte und Schelling“ wurde sehr beifällig aufgenommen und machte Fries’ Namen in weiteren Kreisen bekannt. Seine Polemik gegen jene Philosophen gipfelte in der Forderung, bei dem von Kant eingeschlagenen regressiven Verfahren zu beharren; nur auf diesem Wege lasse sich Philosophie als feste Wissenschaft ausbilden, während alles unter Vernachlässigung der kritischen Methode geübte progressive Construiren und Dogmatisiren wohl zu einem Spiel mit Worten, aber nicht zur Erkenntniß der Wahrheit führe. Außer dieser Schrift vollendete F. in den Jahren 1801–1803 noch sein „System der Philosophie“, gleichsam das Programm, welches er später ausführte, und seine „philosophische Rechtslehre“. Im Frühjahr 1803 nahm das schon öfter ausgeschlagene Anerbieten des ihm befreundeten A. v. Heynitz an, ihn auf einer längeren Reise durch Oesterreich, die Schweiz, Norditalien und Frankreich zu begleiten. Im August 1804 kehrte er nach Jena zurück, und es glückte ihm jetzt besser. Die Bücher waren gedruckt und wurden gekauft; Schelling war nach Würzburg gegangen; neben F. lehrten Ast, Hegel und Krause. F. las Logik und Metaphysik mit Beifall und gab bald in einem kleineren Werke: „Wissen, Glaube und Ahndung“ eine exoterische Zusammenstellung der Resultate seiner Philosophie. 1805 ward F. zugleich mit Hegel außerordentlicher Professor, und es eröffneten sich Aussichten auf Berufung. Paulus war bemüht, F. nach Würzburg zu ziehen, wo, wie er schreibt, Schelling’s Philosophie den schlimmsten Einfluß namentlich auf die Mediciner übe. Doch ehe diese Sache zur Entscheidung kam, erhielt F. eine Berufung als ordentlicher Professor der Philosophie nach Heidelberg, welcher er Ostern 1805 folgte. Elf Jahre verlebte er an den Ufern des Neckar. In die erste Zeit seines dortigen Aufenthaltes fällt seine Verheirathung mit Caroline Erdmann, der Tochter des Rentamtmann Erdmann in Allstedt, mit welcher ihm eine überaus glückliche, doch kaum 14jährige Ehe beschieden war. F. begann in Heidelberg mit philosophischen und mathematischen Vorlesungen; [76] 1812 ward ihm auch noch die Professur für Physik übertragen. So großen Erfolg er mit seinen Vorträgen über theoretische Physik, Astronomie und später bei dem Umschwung der politischen Verhältnisse in Deutschland mit den Vorlesungen über philosophische Staats- und Rechtslehre hatte, durch die eigentlich philosophische Lehrthätigkeit fand er auch hier nur eine beschränkte Befriedigung; denn es gelang ihm nicht gegenüber der durch ältere Collegen vertretenen Schelling-Schlegel’schen Philosophie für die kritische Philosophie eine allgemeine Theilnahme zu erwecken. Unter den jüngeren Collegen fand F. manchen Freund und treuen Anhänger. Am vertrautesten ward ihm de Wette befreundet, welcher 1807 nach Heidelberg berufen war. Wie sehr de Wette Fries’ geistig schöne und sittlich reine Persönlichkeit liebte, wie hoch er in jenem den Meister verehrte, der ihm die sichere philosophische Basis für seine Glaubens- und Sittenlehre gegeben hatte, zeigt der Nachruf, welchen de Wette dem verschiedenen Freunde widmete (abgedruckt in der von Henke herausgegebenen Biographie von F.). Während seines Lebens in Heidelberg entfaltete F. eine sehr ergiebige literarische Thätigkeit, durch welche er in immer weiteren Kreisen bekannt wurde und die ihn mit den namhaftesten Gelehrten Deutschlands in Verbindung brachte. Von den Philosophen trat ihm besonders Fr. H. Jakobi näher; derselbe suchte F. in Heidelberg auf und blieb fortan mit ihm in sehr freundlicher Beziehung; auch Reinhold in Kiel trat voll lautester Anerkennung seiner Schriften mit F. in brieflichen Verkehr. – Im J. 1807 erschien Fries’ „Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft“ (2. Aufl. 1828), „deren Geburtsstunde“, schreibt F. an Reichel, „in Niesky geschlagen hat“. In diesem Werke legte F. die Hauptarbeit seines Lebens nieder, den vollständigen anthropologischen Nachweis der in der menschlichen Vernunft liegenden philosophischen Wahrheiten, in dessen Besitz er durch Jahre lang fortgesetzte innere Selbstbeobachtung gekommen war. Diesem Werke waren vorangegangen eine neue Streitschrift: „Fichte’s und Schelling’s neueste Lehren von Gott und der Welt“ und ein Aufsatz über „Atomistik und Dynamik“ in Daub’s und Creuzer’s Studien. 1811 erschien das „System der Logik“ (2. Aufl. 1819, 3. Aufl. 1837), ein wegen seiner Klarheit und Schärfe allgemein geschätztes Lehrbuch, und in demselben Jahre in Daub’s und Creuzer’s Studien zwei größere Aufsätze unter dem Titel: „Tradition, Mysticismus und gesunde Logik“, worin F. seine neue Ansicht von der Geschichte der Philosophie als der Entwickelung des Bewußtseins um die in jeder menschlichen Vernunft auf die eine und gleiche Weise liegende philosophische Wahrheit aussprach. In der 1812 herausgegebenen kleinen Schrift: „Von deutscher Philosophie, Art und Kunst. Ein Votum für Fr. H. Jakobi gegen Schelling“ ist das so vielfach mißdeutete Verhältniß von F. zu Jakobi klar dargelegt. F. hat, von Kant ausgehend, sein Philosophem ganz selbständig entwickelt, ohne von Jakobi etwas aufzunehmen. Wenn Beide gegen Kant geltend machen, daß der Beweis nicht das letzte Begründungsmittel der Urtheile sei, sondern daß es ein unmittelbar Gewisses in der Vernunft geben müsse, so ist F. doch ganz selbständig hierauf geführt und die „unmittelbare Erkenntniß“ hat bei ihm eine ganz andere Stellung als das unmittelbar Gewisse bei Jakobi. In den letzten Jahren des Heidelberger Aufenthaltes erhielt Fries’ Thätigkeit noch eine andere Richtung, welche für sein Leben verhängnißvoll wurde. Schon im Jünglingsalter hatte er, angeregt durch die erschütternden Ereignisse am Schlusse des 18. Jahrhunderts, den öffentlichen Angelegenheiten den Blick zugewandt und er war ihrer Entwickelung mit steigender Spannung gefolgt. Die Niederlage des Vaterlandes hatte ihn mit Jammer erfüllt. 1811 führte er in einem philosophischen Romane „Julius und Evagoras“, welcher 1814 erschien, seine politischen und sittlichen Ideale für eine gesunde Gestaltung des Völkerlebens aus. Als 1813 die Erlösung brachte, da trat [77] F. mit kräftigem Wort in Rede und Schrift für Wiederbelebung ächt deutscher Sitte, Vernichtung alles Scheinwesens und Neugestaltung des öffentlichen Lebens unter alleiniger Herrschaft der Wahrheit und der Gerechtigkeit ein. Seine weit verbreiteten Flugschriften erwarben ihm die Anerkennung und den ermunternden Zuruf der Besten; seine Worte fesselten die akademische Jugend an ihn. – Mancherlei widrige Verhältnisse hatten F. den Aufenthalt in Heidelberg verleidet. Aussichten auf Berufung nach München und Leipzig hatten sich wieder zerschlagen. Nach Fichte’s Tode eröffnete sich neue Aussicht in Berlin; F. war dort neben Hegel, jener für practische, dieser „für speculative Philosophie primo loco vorgeschlagen. Ehe jedoch eine Entscheidung getroffen wurde, ließ Carl August F. nach Jena berufen „in der Hoffnung, daß F. daselbst die Philosophie neu begründen werde“. F. folgte gern dem Rufe des Fürsten, der zuerst von allen seinem Lande die verheißene Verfassung gegeben hatte. So lieb ihm auch die Beschäftigung mit der Mathematik und den Naturwissenschaften war, so freute er sich doch, jetzt der philosophischen Lehrthätigkeit ganz wiedergegeben zu sein. Mit den besten Hoffnungen siedelte F. im Herbst 1816 nach Jena über, wo er auf das Freundlichste aufgenommen ward. Die akademische Jugend hing bald mit begeisterter Liebe an F., angezogen durch seine philosophischen Vorlesungen und fast mehr noch durch seine lebendige patriotische Gesinnung. „Deutschlands Jünglingen“ war die soeben erschienene Schrift „Vom deutschen Bund und deutscher Staatsverfassung“ gewidmet, in welcher F., auf dem Boden historischer Wirklichkeit stehend, seine Gedanken für die Neugestaltung deutschen Lebens entwickelte. Die Jenenser Jugend war bereit, die auf die edelsten Ziele gerichtete Belehrung zu hören. Patriotische Begeisterung und eine damit verbundene tief gehende sittliche Erregung hatten in Jena zur Gründung der deutschen Burschenschaft geführt. Mit großem Vertrauen und schönen Hoffnungen blickte F. auf den in der Studentenschaft lebendig gewordenen Geist. In Berlin und Wien jedoch sah man bald die von Jena her auf andere deutsche Universitäten sich verbreitenden Bestrebungen als höchst staatsgefährlich an. Das Wartburgsfest gab den ersten Anlaß, gegen dieselben einzuschreiten. F. war nebst Schweitzer, Kieser und Oken der Einladung der Burschen nach der Wartburg gefolgt und hatte dort einige Worte zu ihnen gesprochen. In Folge davon ward Carl August durch den Fürsten Hardenberg und den Grafen Zichy veranlaßt, eine Untersuchung gegen F. anstellen zu lassen. Das Jahr 1818 verlief jedoch noch ruhig. In demselben erschien Fries’ Ethik: „Ich reiche Euch das Beste, was ich weiß, das Beste, was ich habe“, so schrieb er in dem Vorwort „an die deutschen Jünglinge, zunächst die Freunde von der Wartburg“. Carl August ließ F. „viel Freundliches“ über dieses Werk sagen und seine Freunde riefen ihm zu, daß er hiermit alle hämischen Anklagen verstummen machen würde. Indeß seine von ihm nicht gerade glimpflich behandelten Widersacher gaben sich nicht die Mühe, aus seinen Werken und seinem Leben den Geist genauer kennen zu lernen, in welchem er auf die Jugend einwirkte. – Der Beginn des Jahres 1819 brachte den bittersten Schmerz in Fries’ Leben; am 22. Januar d. J. verlor er seine über Alles geliebte Caroline. Sie hinterließ ihm drei Söhne und zwei Töchter, für deren Pflege nun Fries’ verwittwete Schwester sorgte, welche kurz vorher zu ihm gezogen war und auch bei ihm blieb, als er später deren Freundin Eleonore Leporin aus Herrnhut als zweite Gattin in das Haus führte. Das Jahr 1819 brachte F. noch anderes schweres Leid. Die politischen Machthaber Deutschlands blickten mit großem Mißtrauen auf das burschenschaftliche Treiben, dem man eine übertriebene Bedeutung beilegte. Die Folge war, daß der in der Burschenschaft herrschende, ursprünglich gute Geist immer mehr ausartete, so daß diejenigen, welche anfangs mit frohen Hoffnungen auf denselben geblickt hatten, bald nicht mehr im Stande waren, [78] ihn bei seinen reinen Zielen zu erhalten. Es bildeten sich geheime Verbindungen, welche bestimmte politische Zwecke verfolgten; im März 1819 ward Kotzebue von Sand ermordet. Diese verwerfliche Handlung eines unglücklichen Fanatikers brachte jene demagogischen Untersuchungen in Gang, in welche auch F. bald verwickelt werden sollte. In den Taschen gefangener Studenten hatte man einen Brief gefunden, in welchem F. einen ihm befreundeten Studenten vor der Theilnahme an geheimen Verbindungen warnte. Der auf boshafte Weise entstellte Brief ward der Mainzer Untersuchungs-Commission vorgelegt und auf Grund desselben Fries’ Absetzung und Entfernung von Jena gefordert. Carl August mußte den Mächtigeren nachgeben; es geschah in schonendster Weise. Der edle Fürst ließ F. unter Belassung seines Gehaltes das Schlößchen Tieffurth bei Weimar zum Wohnsitz anbieten. F. zog es jedoch vor, der Einladung eines jüngeren Freundes nach Salzungen zu folgen, wo er die ersten Monate seiner Verbannung verlebte. Während der folgenden vier Jahre, in welchen er öfter zu seinen Lieben in Jena zurückkehren durfte, die übrige Zeit auf Reisen verlebend, blieb F. unausgesetzt mit der weiteren Darstellung seiner Lehre beschäftigt. Außer einigen kleineren Schriften erschienen in dieser Zeit drei größere Werke: „Die psychologische Anthropologie“, „Die mathematische Naturphilosophie“ und das „System der Metaphysik“. – Die Weimarische Regierung rehabilitirte F. 1824, indem sie ihm die erledigte Professur für Mathematik und Physik übertrug. Auf dringende Bitten einiger Studenten erhielt er bald darauf auch die Erlaubniß, in seinem Zimmer vor einer beschränkten Zahl von Zuhörern philosophische Vorträge zu halten; erst 1838, als die Beschwerden des Alters sich ihm schon recht fühlbar gemacht hatten, ward ihm die volle Lehrfreiheit zurückgegeben. Die wiedergewonnene Lehrthätigkeit, in welcher er während der letzten 19 Jahre seines Lebens segensreich wirkte, erfreute ihn wohl; doch schmerzlich war es ihm, durch die seiner Thätigkeit auferlegten Schranken verhindert zu sein, in entscheidender Weise seine Lehre zur Anerkennung zu bringen. Es galt ihm nicht, eine Partei oder eine neue philosophische Schule zu gründen; allein im Interesse der Wahrheit, deren Dienste er sich von Jugend auf in ununterbrochener, ernster Geistesarbeit gewidmet hatte, wünschte er der kritischen Philosophie und dadurch jener klaren Verständigung und jener fest in sich abgeschlossenen Weltansicht, welche er sich selbst erworben hatte, zum Siege zu verhelfen. Seine Stellung auf der Universität war ausgezeichnet durch eine allgemeine Liebe und Verehrung, welche Studirende und Collegen ihm entgegenbrachten. Viele der Letzteren waren ihm eng befreundet; einen Feind hatte er nicht, denn Alle, die ihn kannten, auch solche, welche in wissenschaftlicher Beziehung ihm fern standen, würdigten und verehrten in F. eine Persönlichkeit, deren ganzes Leben unter der alleinigen Herrschaft der reinsten sittlichen Ideale gestaltet war. Gern folgte die akademische Jugend dem oft auch ernst ermahnenden Worte des geliebten Lehrers. Der Umgang mit der Jugend war ihm Bedürfniß; so war denn beständig ein Kreis besonders strebsamer Jünglinge um ihn geschlossen, die im Verkehre mit dem Meister die reine Lehre der Weisheit zu erfassen strebten. F. lebte unter ihnen wie ein echter Weiser des Alterthums; unermüdlich suchte er mit ihnen die Wahrheit zu erforschen, jeden Einwurf prüfend; nicht Philosophie wollte er lehren, sondern richtig zu philosophiren. Dieselbe Ruhe und Gründlichkeit, mit welcher F. solche philosophischen Erörterungen zu führen wußte, ohne jemals ein leidenschaftliches Gegeneinanderstellen unbewiesener Behauptungen zuzulassen, charakterisirt auch seine besonders gegen die Identitätsphilosophie gerichtete Polemik. War sie auch oft mit bitterer Ironie gewürzt, so blieb sie doch rein sachlich; vom eigenen Standpunkt vornehm über Gegner abzusprechen, war F. völlig fremd; stets ging er gründlich auf die fremden Ansichten ein und deckte die [79] Unzulänglichkeit ihrer Grundlagen und ihre inneren Widersprüche auf, eine Art Polemik, welche seiner Lehre nie zu Theil wurde. – Auch in diesem letzten Abschnitte seines Lebens blieb F. litterarisch sehr thätig. Für die physikalischen Vorlesungen gab er 1826 das von Autoritäten sehr anerkannte „Lehrbuch der Experimentalphysik“ heraus. Außer einer großen Anzahl kleinerer Schriften theils physikalischen oder mathematischen, theils philosophischen Inhalts erschienen dann noch 1832 „Die Religionsphilosophie und philosophische Aesthetik“ und 1837 „Die Geschichte der Philosophie“, mit welchen Werken F. der langen Reihe seiner größeren philosophischen Arbeiten den Abschluß gab. Aus seinem litterarischen Nachlaß ward von Apelt später noch „Die Politik oder philosophische Staatslehre“ herausgegeben. – Nachdem F. 1842 auch seine zweite Gattin verloren hatte, erlitt er selbst am Neujahrstage 1843 einen Schlaganfall, von welchem er sich nicht wieder ganz erholte; am 10. Aug. d. J. endete ein neuer Schlaganfall sein Leben. – Es war F. die Freude beschieden gewesen, eine größere Anzahl treuer Anhänger durch Wort und Schrift in seinem Sinne wirken zu sehen. Außer De Wette sind die bekanntesten unter ihnen: Calker in Bonn, H. Schmid in Heidelberg, Franke in Rostock, Mirbt und Apelt in Jena, ferner F. G. Schulze, der Botaniker M. J. Schleiden, dessen Bruder H. Schleiden und Grapengießer in Hamburg. Unerschütterlich fest blieb ihnen allen die Ueberzeugung, daß es allein auf dem von F. verfolgten Wege gelingen könne, die Philosophie von einem Kampfplatz der Meinungen in feste Wissenschaft zu verwandeln, und daß seiner Art zu philosophiren schließlich der Sieg zufallen müsse; treu bewahrten sie die Erinnerung an den geliebten Meister, dem sie in Bezug auf Weisheit und Reinheit und Lauterkeit des Charakters keinen anderen Menschen zur Seite zu stellen wußten! Von solcher Gesinnung erfüllt, errichteten Fries’ Nachkommen und Freunde auf dem Fürstengraben zu Jena seine eherne Colossalbüste, welche am 23. August 1873 feierlich enthüllt ward. – Ausgehend von Kant’s Grundforderung, das speculative Unternehmen auszusetzen, bis eine gründliche Untersuchung dargethan habe, welches Vermögen zur philosophischen Wahrheit die menschliche Vernunft überhaupt besitze, sah F. seine Aufgabe darin, die Kantische Kritik d. V. zu einer auf innere Erfahrung gegründeten Theorie der Vernunft fortzubilden und so die angebahnte subjective Wendung der Speculation zu vollenden. Indem F. in einer meisterhaft geübten inneren Selbstbeobachtung, welche stets den in Mathematik und exacten Naturwissenschaften geschulten Forscher erkennen läßt, sich zu einer Theorie des inneren Lebens erhob, gab er den Kantischen Untersuchungen die ihnen fehlende Einheit und hob die in ihnen stehen gebliebenen Mängel, in welchen die Gefahr eines Rückfalls aus dem Kriticismus in den Dogmatismus lag. Am wichtigsten für Fries’ Speculation sind die von ihm gegebenen Aufklärungen über das Vermögen der Selbsterkenntniß, in welchen er zeigte, wie sich dieses vom inneren Sinn bis zur vollständigen Reflexion fortbildet. Die menschliche Vernunft ist eine receptive Spontaneität, welcher die drei qualitativ verschiedenen, und deshalb nicht mehr auf einander zurückführbaren Thätigkeiten des Erkennens, Fühlens und Wollens gehören. Zur Aeußerung ihrer Thätigkeit bedarf sie der Anregung; die fremdher angeregte Aeußerung der Selbstthätigkeit im Erkennen ist die sinnliche Erkenntniß. Diese gibt allen Gehalt in die Erkenntniß, welcher durch die reine Spontaneïtät der Vernunft zur Einheit der Erkenntniß verbunden wird. Die ursprüngliche reine Selbstthätigkeit im Erkennen ist also eine synthetische, durch welche Einheit und alle Verbindung und kraft ihrer Beharrlichkeit jede nothwendige Bestimmung an die menschliche Erkenntniß kommt. Der unmittelbaren Erkenntniß steht nun die Selbsterkenntniß oder das Bewußtsein um unsere Erkenntniß zur Seite, welchem das reine Selbstbewußtsein zu Grunde [80] liegt. Wie das Vermögen der Erkenntniß überhaupt, so steht auch die Selbsterkenntniß unter einem Gesetz der sinnlichen Anregung. Der innere Sinn aber nimmt nun die in jedem Augenblick lebhaftesten inneren Thätigkeiten wahr, ohne den Zusammenhang und das Ganze unserer inneren Lebensthätigkeit uns zum Bewußtsein zu bringen. Ueber das sinnlich gegebene Bewußtsein erhebt uns die Reflexion, die Thätigkeit des Verstandes, indem sie vermittelst ihrer allgemeinen Vorstellungen in einem Bewußtsein überhaupt sich auch jener inneren Vorgänge bemächtigt, welche vom inneren Sinn nicht wahrgenommen werden. F. weist also den Verstand als das höhere Vermögen des Bewußtseins auf. Durch ihn erst werden wir uns der allgemeinen und nothwendigen Bestimmungen bewußt, in welchen die reine Selbstthätigkeit der erkennenden Vernunft das in ihr liegende Gesetz der Wahrheit der ganzen Erkenntniß zu Grunde legt. Der Verstand bringt also keine neue Erkenntniß hervor, sondern er hellt nur diejenige auf, welche dunkel in uns liegt. Hiermit erhielt F. nun auch eine ganz andere Ansicht über die Begründung der Erkenntniß. Er zeigte, daß die Erkenntniß, d. h. das Vorstellen vom Dasein der Gegenstände oder vom Bestehen der Gesetze, unter welchen das Dasein der Gegenstände steht, ein Factum aus innerer Erfahrung ist. Wohl läßt sich erklären, wie aus der unmittelbaren Erkenntniß sich die übrigen zum Erkennen gehörenden Thätigkeiten entwickeln: das Entstehen der Bilder der Einbildungskraft und der allgemeinen Vorstellungen, das unwillkürliche Spiel der Association und die willkürlich gehandhabte Reflexion; wie aber in der unmittelbaren Erkenntniß zur Vorstellung das Object hinzukomme, darüber läßt sich gar nichts Erklärendes sagen. Die unmittelbare Erkenntniß besitzt objective Gültigkeit kraft des Selbstvertrauens der menschlichen Vernunft zu ihrer eigenen Wahrhaftigkeit. Sie ist dem Irrthume nicht ausgesetzt; nur der die dunkeln Verhältnisse der unmittelbaren Erkenntniß aufhellende Verstand ist des Irrthums fähig; sein Urtheil ist wahr, sofern es mit der unmittelbaren Erkenntniß übereinstimmt. Die der unmittelbaren Erkenntniß gehörenden Formen der Einheit und der Verbindung, in welche die menschliche Vernunft den mannigfachen Gehalt der Erkenntniß faßt, diese höchsten Principien unseres Erkennens sind also eines Beweises ihrer objectiven Gültigkeit weder fähig noch bedürftig. Eine Begründung oder Rechtfertigung derselben ist nur dadurch möglich, daß man aus einer Theorie der Vernunft ableitet, welche ursprüngliche Erkenntniß wir nothwendig haben und was für Grundsätze daraus nothwendig in unserer Vernunft entspringen müssen. Diese Rechtfertigung, für welche F. den Namen Deduction beibehielt, hat er für alle Formen der Einheit in unserer Erkenntniß geliefert. In jener Deduction nun wird gezeigt, daß der Vernunft die mathematische Anschauung, Kategorie und transcendentale Idee mit gleicher Nothwendigkeit gehören. In den schematisirten Kategorien oder höchsten Naturgesetzen und in den transcendentalen Ideen besitzt die menschliche Vernunft zwei gleich nothwendige Principien für die Auffassung der Welt. Jene sind die Principien unserer wissenschaftlichen Erkenntniß, die also auf unantastbar gewisser Basis ruht. Indeß durch den mathematischen Schematismus ihrer Principien ist ihr der Charakter der Unvollendbarkeit unauslöschlich aufgeprägt. Der in der Deduction als das höchste objective Princip der Vernunft ausgewiesene Grundsatz der Vollendung aber fordert für das Wesen der Dinge Vollendung und deshalb für unsere Auffassung desselben Negation der unserem Wissen anhaftenden Schranken; hier ist der Ursprung der obersten oder idealen Formen der Synthesis, der transcendentalen Ideen, auf denen die Ueberzeugung unseres Glaubens ruht. Dieser metaphysische oder religiöse Glaube ist jedoch wol zu unterscheiden von dem logischen Glauben; während dieser eine unsichere, ist jener gerade die festeste Ueberzeugung, welche der Mensch besitzt. Auf dem Gebiete der wissenschaftlichen [81] Erkenntniß sind die transcendentalen Ideen von schlechthin gar keiner Anwendung; denn der Natur ihrer Principien gemäß führt uns jene stets in Reihen mit unendlichem Regressus, nie aber zur Totalität der Bedingungen, zum Absoluten selbst. F. verwarf also auch den regulativen Gebrauch, welchen Kant den Ideen des Absoluten auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Erkenntniß zuerkannt hatte. Der Gegensatz zwischen der auf den schematisirten Kategorien beruhenden natürlichen Ansicht und der auf den Ideen des Absoluten beruhenden idealen Ansicht der Dinge findet seine Lösung in der Lehre des transcendentalen Idealismus, welche behauptet, daß wir mit dem Wissen nur die Erscheinung der Dinge zu fassen vermögen, während wir uns im Glauben zu dem wahren Wesen der Dinge erheben. Diese wichtige Lehre von der Unerkennbarkeit der Dinge an sich, welche F. fester als Kant, nicht auf die subjective Beschaffenheit der mathematischen Anschauung, sondern allein auf die objective Beschaffenschaft unserer wissenschaftlichen Erkenntniß gründete, gab ihm die Mittel, zu einer klaren Verständigung über den Streit der verschiedenen Weltansichten zu führen; sie ward ihm auch der Stützpunkt für die ihm ganz eigenthümliche Weltanschauung, welche er die religiös-ästhetische nannte. Der transcendentale Idealismus ordnet den Glauben dem Wissen über: in diesem fassen wir nur die Erscheinung der Welt als ein in jeder Beziehung Unvollendbares; zu dem Vollendeten selbst, dem Uebersinnlichen erheben wir uns im Glauben. Hier fehlt uns alle positive Bestimmung; keine wissenschaftliche Erklärung kann aus dem Gebiet unserer sinnlich eingeleiteten Welterkenntniß hinüberführen in das Gebiet des Glaubens an die übersinnliche Welt; eine Ableitung des wissenschaftlich erkannten Unvollendbaren aus dem nur in der Idee gefaßten Vollendeten selbst bleibt ganz unmöglich, zeigt nun aber, daß neben jenen beiden Arten der Ueberzeugung, dem Wissen und dem Glauben, noch eine dritte im menschlichen Geiste lebt, welche nicht durch Begriffe, sondern durch das Gefühl das Unvollendbare dem Vollendeten unterordnet. Diese Art der Ueberzeugung ist die Ahnung. Sie lebt in der ästhetischen Betrachtung der Welt. In der Auffassung der Formen des Schönen und des Erhabenen bezieht die Ahnung vermittelst des Gefühls die erscheinende Welt auf die übersinnliche Wahrheit des Glaubens. F. faßt diese seine Weltanschauung in den Worten zusammen: Wir wissen um das Endliche, wir glauben an das Ewige und wir ahnen das Ewige im Endlichen. – Auf der sicheren Basis seiner Speculation ruht Fries’ praktische Philosophie, deren Aufgaben ihm als die wichtigsten und höchsten galten. Auch hier schloß sich F. seinem großen Lehrer an. Seine Untersuchungen und Ausführungen, welche sich auf alle Aufgaben der praktischen Philosophie erstrecken, sind gleich ausgezeichnet durch Klarheit und Schärfe des Gedankens, wie durch Adel und Hoheit der Gesinnung; sie reihen sich würdig dem Besten an, was je auf diesem Gebiete geleistet ward.

Vgl. Henke’s Biographie von Fries, in welcher sich auch ein vollständiges Verzeichniß von Fries’ Schriften findet; ferner Apelt, Epochen der Geschichte der Menschheit, II. Bd.