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ADB:Oken, Lorenz

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Artikel „Oken, Lorenz“ von Arnold Lang in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 216–226, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oken,_Lorenz&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 12:54 Uhr UTC)
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Oken: Lorenz O. (eigentlich Okenfuß) wurde am 1. August 1779 als Sohn eines Bauern in Bohlsbach bei Offenburg (Baden) geboren, erhielt seinen ersten Unterricht beim Lehrer und beim Pfarrer seines Dorfes und ging 1793 nach dem Tode seiner Eltern an das Franciskaner Gymnasium zu Offenburg, wo er bis 1798 blieb. 1799 trat er in die Stiftsschule der Stadt Baden ein und im Herbst 1800 bezog er die Universität Freiburg i. Br., wo er Medicin studirte und wo es ihm vergönnt war, mit bedeutenden Männern Umgang zu haben. Im Sommer 1804 bestand er sein medicinisches Doctorexamen. Während seiner Studienzeit beschäftigte sich O. mit Vorliebe mit Philosophie und Naturwissenschaften. Nur wider Willen befliß er sich der Medicin, die seinen Neigungen wenig entsprach. Schon 1802 hatte der junge Student einen fertigen „Grundriß des Systems der Naturphilosophie“, den er unter dem Schriftstellernamen Oken publicirte. Unter diesem Namen, den er von nun an beibehielt, „um den Spöttereien über den ganzen auszuweichen“, ließ er sich im November 1804 in Würzburg immatriculiren, wo er u. a. bei Döllinger hörte. In Würzburg entstand seine Schrift über „die Zeugung“. 1805 habilitirte sich O. in Göttingen, wo er kümmerlich und in bedrängter Lage lebte. Den Winter 1806/7 brachte er auf der ostfriesischen Insel Wangerooge zu. Die wenigen selbständigen Untersuchungen, die O. anstellte, fallen auf den Göttinger Aufenthalt. Hier entstanden seine Arbeiten über die Bildung des Darmcanals im Embryo der Säugethiere, die wesentlich zur Begründung seines wissenschaftlichen Rufes beitrugen. O. sah sich schon vor die Nothwendigkeit gestellt, in Ermangelung von Subsistenzmitteln der akademischen Laufbahn zu entsagen, als er im Juli 1807 als außerordentlicher Professor der Medicin nach Jena berufen wurde. Die Programmschrift, die er beim Antritt der Professur veröffentlichte, behandelte die Bedeutung der Schädelknochen und enthält seine bekannte Wirbeltheorie des Schädels. O. blieb in Jena bis 1819. Während dieser Jenenser Zeit entstanden die hauptsächlichen naturphilosophischen und naturgeschichtlichen Arbeiten Oken’s, auf diese Zeit fällt überhaupt die regste, eifrigste Thätigkeit desselben. In Jena entwickelte er sein außergewöhnliches Lehrtalent. „O. war ein glänzender und ungemein geistig anregender Docent; er erregte in Jena für Naturgeschichte einen solchen Eifer, daß seine Vorlesungen bald die besuchtesten an der Universität wurden“ – sagt Ecker, Oken’s sorgfältigster Biograph. In Jena veröffentlichte O. sein Lehrbuch des Systems der Naturphilosophie, seine Grundzeichnung des natürlichen Systems der Erze und sein erstes umfassendes Lehrbuch der Naturgeschichte. Für Geschichte und insbesondere für Politik hatte O. das regste und wärmste Interesse. Die schlimmen politischen Verhältnisse Deutschlands gingen ihm sehr zu Herzen und nicht weniger als die Besten seiner Zeit empörte er sich gegen den fremden Druck, der auf Deutschland lastete, dessen Größe und Einigkeit er träumte. Er gab sogar im J. 1814 eine kleine politisch-militärische Schrift „Neue Bewaffnung, neues Frankreich, neues Deutschland“ heraus, die in vielfacher Beziehung höchst merkwürdig war. Im ersten Theile dieser Schrift macht er mehrfache Vorschläge zur Förderung der Wehrkunst, für die er sich begeistert. In ihr seien „alle Künste vereinigt, in dieser Wissenschaft alle Wissenschaften, in dem, der sie zu üben versteht, alle Talente“. Neben vielen baroken Vorschlägen sollen nach dem Urtheil eines sachverständigen Officiers, den Ecker befragte, manche treffliche Gedanken in der Schrift enthalten sein, so z. B. die Einführung eines gezogenen [217] Gewehres und die Verwendung von Luftballons bei Belagerungen betreffend. Im zweiten Theile der Schrift tritt O. für die Neugestaltung des deutschen Reiches mit einem österreichischen Kaiser an der Spitze ein. – Im J. 1816 wurde O. von der Universität Gießen zum Doctor der Philosophie honoris causa ernannt. Im nämlichen Jahre begann derselbe die Herausgabe der Isis, einer großen encyklopädischen Zeitschrift, welche bis zum Jahre 1848 erschien. Die Herausgabe und die Redaction dieser unschätzbar wichtigen Zeitschrift ist eines der größten, vielleicht das größte Verdienst, das sich O. um die Entwickelung der Naturwissenschaften erworben hat. Das Programm war ein sehr weitherziges. Alle Wissenschaften, mit Ausnahme der Jurisprudenz und Theologie sollten in der Isis Aufnahme finden, sei es durch besondere Abhandlungen oder durch Berichte. Jedem sollte die Zeitschrift offen stehen und die wissenschaftlichen Leistungen des Auslandes sollten gebührende Berücksichtigung finden. O. hat denn auch in bewundernswürdiger Weise alles gethan, um dieses Programm durchzuführen, und wie sehr er dabei in der uneigennützigsten Weise zu Werke ging, zeigt die Thatsache, daß er in der Isis Preisfragen stellte, deren Kosten er aus dem Ertrage der Zeitschrift selbst bestritt. Die Isis war in der That Jahre lang ein Centralorgan für viele Zweige der Naturwissenschaften, wie es seither keine Zeitschrift mehr gewesen ist. Als solches übte sie einen außerordentlichen Einfluß auf die Entwickelung der Naturwissenschaften, hauptsächlich auch dadurch, daß entlegenere Untersuchungen zugänglich gemacht wurden, daß ein großer Theil der zerstreuten deutschen Forschungen sich darin ansammelte und von der keimenden und wachsenden deutschen Wissenschaft das beredteste, unmittelbarste, wirksamste Zeugniß ablegte. Dabei hatte O. von Anfang an bei der Herausgabe der Isis mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen, mit Hindernissen, die heute ganz undenkbar wären. Es stellte sich heraus, daß Eichstädt in Jena ein geheimes Privilegium der weimarischen Regierung zur ausschließlichen Herausgabe einer kritischen Litteraturzeitung hatte. Dieses Privilegium wurde gegen die Isis geltend gemacht, während O. energisch remonstrirte, indem er sich auf die durch die weimarische Staatsverfassung garantirte Preßfreiheit berief. Man hinderte ihn schließlich nicht an der Publication der Zeitschrift, in der O. in für die damalige Zeiten unvorsichtiger Weise und mit der ihm eigenen Offenheit und Unabhängigkeit auch seine politischen Ueberzeugungen hie und da vertrat. Er kritisirte die weimarische Landesverfassung und trat energisch gegen die geplante Aufhebung der Universität Freiburg auf. O. war 1811 für eine Professur in Rostock in Frage gekommen. Die medicinische Facultät war aber gegen seine Berufung gewesen, weil sie keinen Naturphilosophen wollte; dafür rächte er sich – was für seine Art und Weise charakteristisch ist – in der Isis, in der er die Namen der Rostocker Professoren mit Abbildungen von Eselsköpfen begleitete. Alle diese Dinge machten O. viele Feinde und wenig Freunde; die weimarische Regierung war mit O. und seiner Isis höchst unzufrieden und machte ihm Vorstellungen, die wohl zum großen Theile durch den Berliner Polizeidirector Kamptz, dem O. ein Dorn im Auge war, veranlaßt worden waren. Schon früher hatte Goethe in einem längern Gutachten an den Großherzog die einfache Unterdrückung der Isis empfohlen. Das Verhältniß zwischen O. und Goethe scheint überhaupt von Anfang an kein freundliches gewesen zu sein. Oken’s selbständiger, fast rücksichtsloser Charakter, der sich nie und vor Niemandem beugte, konnte ihm Goethe nicht befreunden. Und es trug nicht zu einem bessern Verhältniß zwischen ihnen bei, daß O. die Wirbeltheorie des Schädels in Jena aufstellte, zweifellos ganz unabhängig von Goethe, der schon früher auf eine ähnliche Theorie gekommen war, sie aber erst viel später veröffentlichte. Gewiß sind übereifrige Vertreter Goethe’s, die O. des Plagiates beschuldigten und zu [218] einer sich lange hinziehenden Prioritätscontroverse Veranlassung gaben, im Unrecht. Von Goethe sagt O. in einem 1809 an Schelling gerichteten Brief: „Sie wissen, daß Goethe ein eitler Mensch ist, besser als ich. Er verlangt, daß man sich ihm modle, auch wohl, daß man sein Tagelöhner sei.“ – Infolge der erwähnten Verhältnisse, durch den Einfluß der Personen und nicht zum mindesten durch eigene Unvorsichtigkeit war also die Stellung Oken’s und seiner Zeitschrift eine außerordentlich unsichere geworden, als am 18. und 19. October 1817 das bekannte Burschenfest auf der Wartburg abgehalten wurde. O. nahm mit zwei anderen Jenenser Professoren an dem Feste theil, an dem 500 deutsche Studenten in jugendlicher, edler Begeisterung die Befreiung Deutschlands von fremder Unterdrückung feierten und für Deutschlands Größe, Einheit und Unabhängigkeit schwärmten. O. berichtete in der Isis ausführlich über das Fest, das von eifrigen und mächtigen Particularisten rasch zu einer Verschwörung aufgebauscht wurde. Die betreffende Nummer der Isis wurde confiscirt. O. und seine beiden Collegen, welche das Fest besucht hatten, wurden zur Rede gestellt und gerichtlich verhört. Von einem besonderen Gericht verurtheilt, wurde er vom Oberappellationsgericht freigesprochen. Schließlich aber, im Mai 1819, stellte ihn die Regierung vor die Alternative, entweder die Isis aufzugeben, oder seine Professur niederzulegen. O. demissionirte. Der Senat der Universität, der für ihn gewesen, drückte ihm in einer Zuschrift sein Bedauern aus. Trotz der Demission Oken’s verbot die Regierung die Herausgabe der Isis in Jena, deren Druck darauf nach Leipzig verlegt wurde. O. machte sodann eine Reise nach München und Paris, wo er die reichen naturhistorischen Sammlungen studirte und vielleicht das Hauptmaterial für seine große Naturgeschichte sammelte. Im Winter 1821/22 hielt er an der Universität Basel Vorlesungen, siedelte aber dann im Frühjahr, als der Erziehungsrath nicht darauf einging, ihm eine Professur zu übertragen, wieder nach Jena über. Vorher aber nahm er noch an der Jahresversammlung der schweizerischen Naturforscher in Bern Theil, um deren Organisation zu studiren. Schon mehrere Jahre hatte O. in der Isis warm das Beispiel der Schweizer Naturforscher empfohlen, die schon seit 1815 eine allgemeine naturforschende Gesellschaft gegründet und wandernde Jahresversammlungen abgehalten hatten, deren Organisation den spätern Versammlungen der Naturforscher und auch anderer Gelehrter verschiedener Länder zum Vorbilde diente. O. ist der Gründer der Jahresversammlungen der deutschen Naturforscher und Aerzte, deren erste unter sehr schwacher Betheiligung im J. 1822 in Leipzig abgehalten wurde. Hierin liegt ein weiteres großes Verdienst der thätigen fruchtbaren Initiative Oken’s, das sich dem Nutzen der Isis zur Seite gesellt. Die Bedeutung der Naturforscherversammlungen wird vielfach unterschätzt. Sie haben in der That auch heutzutage, wo das Reisen so leicht, bequem und billig ist, wo das Gefühl der Zusammengehörigkeit bei allen deutschen Forschern entwickelt ist, wo die wissenschaftlichen Errungenschaften so schnell und leicht in der ganzen Welt zugänglich werden, nicht mehr denselben Werth, den sie früher hatten. An den Naturforscherversammlungen wurden die deutschen Gelehrten mit einander persönlich bekannt, regten sich gegenseitig an; diese directe Bekanntschaft und Anregung stärkte den Patriotismus in der Wissenschaft und dadurch in nicht geringem Maße den Patriotismus in Deutschland überhaupt. Der Antheil dieser Versammlungen an der Entwicklung des deutschen Einheitsgefühls darf nicht zu niedrig angeschlagen werden.

Von 1822 bis zum Frühjahr 1827 lebte O. wieder als Privatmann, mit der Herausgabe der Isis beschäftigt, in Jena. Der unwiderstehliche Drang nach akademischer Lehrthätigkeit, in der er die größte Befriedigung fand und in der er sich stark fühlte, führte ihn dann nach München, wo er zunächst ohne [219] Amt Vorlesungen hielt, aber schon am Ende des Jahres (1827) zum ordentlichen Professor der Physiologie an der Universität ernannt wurde. Aber auch in München kam es bald zu Mißhelligkeiten zwischen ihm und der Regierung wegen Versetzungsangelegenheiten, zu Zwistigkeiten wegen der Einrichtung und Benutzung der Sammlungen, zu erbitterten Zeitungsfehden z. Th. den Werth des Unterrichtes der Naturwissenschaften in den Schulen, für den O. eintrat, betreffend. Wenn auch zugestanden werden muß, daß O. in allen diesen Angelegenheiten nur seinen Ueberzeugungen folgte, daß ihn nie der Makel niedriger Gesinnung befleckte, so ist es doch vor allem seinem schroffen, unversöhnlichen, zu wenig rücksichtsvollen Auftreten zuzuschreiben, daß er schon Ende 1832 wieder seine Entlassung geben mußte. Glücklicherweise erhielt er schon in den ersten Tagen des folgenden Jahres einen Ruf als Professor der Naturgeschichte an die neugegründete Universität Zürich, deren erster Rector er wurde und an der er, geachtet, geliebt und anerkannt, bis zu seinem Tode, 11. August 1851 in der fruchtbarsten Weise wirkte. Viele der Zöglinge der Universität aus jenen Jahren hört man noch in beredter Weise von der Lehrthätigkeit Oken’s sprechen, von der Begeisterung für Naturwissenschaften, die er bei allen zu erwecken wußte. In Zürich schrieb er seine große, berühmte Naturgeschichte für alle Stände in 13 Bänden, in welcher er fast all sein Wissen niederlegte und fast alle seine naturphilosophischen Ansichten zusammenfaßte, so daß eine Analyse dieses Werkes zugleich eine Analyse der gesammten naturwissenschaftlichen Leistungen und Thätigkeit Oken’s ist.

O. hatte sich 1814 mit Louise Stark vermählt. Seine Frau überlebte ihn. Er hatte zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Ersterer starb vor O.

Alexander Ecker, der O. noch persönlich gekannt hat, sagt von seiner äußeren Erscheinung: „Die kleine hagere Gestalt, der auffallend dunkle, südliche Teint, das glänzend schwarze lockige Haar, das große, braune, blitzende Auge machten ganz den Eindruck eines Südländers.“ „Einen semitischen Eindruck machte er nicht.“ Oken’s Bild findet sich in Ecker’s Biographie und im 4. Band seiner großen Naturgeschichte. Ecker rühmt seinen unbeugsamen Willen, seine eiserne Festigkeit, hebt hervor „seine oft bis zur Derbheit sich steigernde Geradheit und Offenheit, seine Menschenliebe, Treue, Anhänglichkeit und Dankbarkeit.“ „Er war eine offene, aller Verstellung abholde und gegen jede Willkür sich aufbäumende Natur.“

Wenn wir nun in Kürze die wissenschaftlichen Arbeiten Oken’s besprechen wollen, so müssen wir vor allem hervorheben, daß O. in erster Linie Philosoph, Naturphilosoph war. Seine erste Schrift enthielt ein fertiges System der Naturphilosophie, das so zu sagen fertig aus seinem Kopfe entsprang. Von seinen obersten philosophischen Principien aus betrachtete er die Erscheinungswelt; so zwar, daß man sehr häufig, ja meist die zwingende Logik in den Deductionen vermißt und auch nicht weiß, wie er zu seinen obersten Principien kommt. O. galt deshalb den Philosophen nie als zünftig. Er hat die willkürliche, jeder streng wissenschaftlichen Begründung entbehrende Reconstruction der Erscheinungen aus allgemeinen wie ein deus ex machina entstandenen Principien unter Anwendung des leeren Gedankenspieles des Setzens auf die Spitze getrieben. Er war ein deductiver Naturphilosoph, zumal ein unlogischer und nur sehr wenig Naturforscher. Die einzige Untersuchung die er angestellt hat, betrifft die Entstehung des Darmes bei Säugethieren außerhalb des Embryo. Die Beobachtungen sind größtentheils richtig, die Deutung derselben vielfach falsch. Er schätzte die Detailuntersuchungen nur, wenn sie in sein System paßten und bestritt rundweg deren Richtigkeit, wenn sie es nicht thaten. „Das kann nicht richtig sein, das [220] versteht kein Mensch“, sagte er bei Besprechung bahnbrechender Untersuchungen, wie der von C. F. Wolff, d’Alton, Döllinger, Pander, Chamisso, auch wenn ihn z. B. d’Alton einlud, sich selbst von der Richtigkeit seiner Beobachtungen zu überzeugen.

In der Philosophie gilt O. als oberstes Princip, als Absolutes das „Nichts“. Durch Selbstponiren, Setzen, Verlangen und andere Operationen leitet er aus diesem Nichts alles ab. Die Mannigfaltigkeit der Dinge ist entstanden durch die Einwirkung auf die Erde von Wasser, Luft und Aether oder Feuer. Dem entsprechend gibt es und kann es nur drei Naturreiche geben. „Entweder tritt nur ein einziges Element an das Erd-Element heran, wie Wasser, Luft oder Feuer, und der Körper besteht aus einer blos zweyfachen Verbindung“ – Mineralien. „Oder es tritt Wasser und Luft zugleich an das Erdige, wodurch eine dreyfache Verbindung entsteht“ – Pflanzen. „Oder endlich es tritt Wasser, Luft und Aether daran und es bildet sich ein Körper von vierfacher Verbindung“ – Thiere. Diese drei Reiche bilden zugleich drei verschiedene Stufen der Entwickelung. O. hat alle drei Reiche bearbeitet und über dieselben philosophirt. Seine große Naturgeschichte ist wohl das letzte Werk, in welchem ein und derselbe Verfasser die ganze Naturgeschichte erschöpfend behandelt. Sie ist eine weitere große Leistung Oken’s; denn wenn man auch zweifelhaft sein kann, ob das darin enthaltene Naturphilosophische anregend und befruchtend gewirkt hat, so ist doch der specielle Theil so reichhaltig und dabei so klar und faßlich behandelt, daß das vielverbreitete Werk oft und gern zu Rathe gezogen, „viel mehr benutzt als citirt wurde“. Von der Naturgeschichte des Mineralreichs stammt nur die allgemeine Einleitung aus Oken’s Feder. O. hatte schon 1809 eine eigene Classification der Mineralien aufgestellt, von der wenigstens die obersten Eintheilungen vielfach angenommen wurden. Die Botanik und Zoologie ist ganz Oken’s eigene Arbeit. Bei beiden geht dem speciellen, ausführlichen Theile eine allgemeine Einleitung voraus, welche vergleichende und descriptive Anatomie, Physiologie, Principien der Classification, geographische Verbreitung, Geschichte u. s. w. enthält. In der Einleitung zur Zoologie findet sich eine überaus klar und verständlich geschriebene, populäre Anatomie des Menschen. Als ein wirkliches Verdienst Oken’s gilt es, daß er vornehmlich in der Classification neben Fremdwörtern deutsche Termini nicht nur für Arten und Gattungen, sondern auch für die höheren Abtheilungen einführte.

Wenden wir uns nun zu Oken’s Naturgeschichte, so können wir dieselbe nicht ausführlich und in allen ihren Theilen besprechen, müssen uns vielmehr darauf beschränken, das Allgemeine, und von diesem das Wichtigste und am meisten Charakteristische hervorzuheben.

O. erörtert das Verhältniß der Thierwelt zur Pflanzenwelt und hebt hervor, wie schwer es sei, zwischen den niedersten Thieren und den niedersten Pflanzen eine scharfe Grenze zu ziehen. Pflanzen und Thiere besitzen Leben. Leben „ist wiederholte Bewegung durch wechselseitige Einwirkung aller Elemente in einem individuellen Körper, Organismus, der somit eine Welt im Kleinen ist“. Es gibt keine besondere Lebenskraft. Der pflanzliche Organismus, welcher sich zuerst bildete, „muß überall da entstehen, wo die Atome der drei Elemente sich zu einem galvanischen Proceß innig mit einander mischen“. „Thier ist derjenige abgeschlossene Körper, welcher sich selbst bewegt. Die Pflanze ist daher nur ein halbes Thier, welches in seiner Entwickelung stehen geblieben ist, als die Fortpflanzungstheile fertig waren und die Empfindungs- und Bewegungstheile anfangen wollten, sich zu bilden.“ Diese letztern, welche den „animalen“ Organsystemen angehören, kommen deshalb bei den Thieren noch zu den vegetativen hinzu.

[221] Ueber die Zusammensetzung des thierischen und pflanzlichen Körpers hatte O. Ansichten, die nicht mit Unrecht als erste Anfänge einer Zellentheorie betrachtet werden. Durch mechanische Theilung, durch Aussieden oder durch Fäulniß zerfällt nach ihm jeder organische Theil in unendlich kleine Kügelchen oder Bläschen. „Betrachtet man frische Pflanzentheile durch das Microscop, so zeigen sie sich durch und durch aus sechseckigen Bläschen zusammengesetzt, die man Zellen nennt. Betrachtet man dünne Blättchen von thierischen Häuten, Muskelfasern, Nervenmark, so sieht man ebenfalls nichts als Kügelchen, die dicht aneinander liegen, dort unregelmäßig, hier in Linien geordnet, nur durch die Substanz und Gestalt von den Pflanzenzellen verschieden. Aber auch die Pflanzenzellen waren ursprünglich rund, so lange sie nämlich jung, sehr saftreich waren und nur locker aneinander lagen. Die sechseckige Gestalt bekommen sie erst durch wechselseitigen Druck.“ O. spricht ferner davon, daß die thierischen Substanzen bei ihrer Fäulniß in ihre Formelemente, „Infusorien“, zerfallen. Dies sind die Beobachtungsgrundlagen, auf die sich O. stützt; sie sind spärlich und nur zum Theil richtig. Andere Forscher vor und während seiner Zeit haben selbstständig mehr und besser beobachtet. O. aber hat die Idee der Individualität der Zellen „Bläschen oder Infusorien“, aus denen sich die Organismen zusammensetzen, ausgesprochen und behauptet, daß die Thiere und Pflanzen nur Aggregate, gewissermaßen Colonien solcher Zellen sein. Dies ist der Grundgedanke der heutigen Zellenlehre; wir müssen also O. als Vorläufer derselben anerkennen. Folgender Passus läßt uns darüber nicht im Unklaren: „Die Grundmasse aller Pflanzen und Thiersubstanzen besteht aus weichen Bläschen, dort schleimig, hier mehr gallert- oder eyweißartig. Die niedersten Pflanzen, wie die Pilze, die man Rost nennt, sowie die Wasserfäden oder vielmehr Wassergallerten (Nostoc) sind nichts anders als solche Bläschen, welche bald einzeln bald zusammengewachsen vorkommen. Das Zellgewebe der Pflanzen ist daher nichts anderes, als ein Haufen von Urpflanzen. Dieselbe Bedeutung hat das Zellgewebe des Thieres. Wir finden nämlich, daß die niedersten Infusorien nichts anderes als Gallert- oder Eyweißbläschen sind, von den Pflanzenzellen nur durch einen Mund unterschieden. Das thierische Zellgewebe ist mithin nur ein Haufen Infusorien und die Bedeutung der thierischen Grundmasse ist mithin keine andere, als die Verwachsung von Millionen Infusionsthierchen.“

O. unterscheidet sogar schon verschiedene Arten von Geweben, entsprechend den Modificationen, welche Form und Inhalt der Zellen erleiden, verirrt sich aber dabei immer mehr in phantastische unbegründete Unterscheidungen und einmal von der Wichtigkeit der bläschenförmigen Urform überzeugt, findet er sie überall wieder. „Die ursprüngliche Bläschenbildung kehrt nun bei allen Entwicklungen der thierischen Organe wieder und es gibt keinen ganzen Theil des Körpers oder kein vollständiges System und Organ, welches nicht im großen wieder eine Blase darstellte; so die Haut, der Darm, die Gefäße, die Knochen, selbst das Muskel- und Nervensystem.“

Ueber die Zeugung hat O. seine eigenen Ansichten. Die Einschachtelungstheorie verwirft er. Seine eigene Theorie sei eine Art Epigenesis – oder Nachbildungstheorie. Ihr zu Folge entwickelt sich das Nervensystem aus dem Milch (Samenflüssigkeit) und das fruchtbare Ei ist eine Vereinigung von Ei und Milch, wovon jenes die Grundlage zum ganzen vegetativen Leib, dieses zum ganzen animalen in sich trägt. Er ist ein Anhänger der Urzeugung: „Ursprünglich müssen die Thiere oder wenigstens die thierische Masse entstanden sein ohne Eier und zwar nothwendig aus unorganischen Substanzen.“ Die Urzeugung geschehe möglicherweise noch heutzutage.

[222] O. war ein eifriger Bekämpfer der künstlichen, ein warmer Vertheidiger der natürlichen Systeme der Organismen und er rechnet es sich als großes Verdienst an, das natürliche System von Jussieu in der Botanik eingebürgert zu haben. Die künstlichen Systeme vergleicht er Wörterbüchern, die natürlichen den Grammatiken und er sagt dann: „es gibt aber noch eine höhere Grammatik, welche man die philosophische nennt und die den eigentlichen Sinn der Wörter, ihre Abstammung und demnach ihren inneren Zusammenhang, ihren Rang und ihre Gliederung zu bestimmen sucht. Diese ist das Entwickelungs- oder das genetische System, welches auch in der Naturgeschichte befolgt werden muß.“ Was O. unter dieser Methode versteht, werden wir nachher sehen. Wenn er von Abstammung spricht, so versteht er damit unter keinen Umständen eine wirkliche Abstammung der Arten im heutigen Sinne. O. hält im Gegentheil starr an der Constanz der Art fest und es ist leicht möglich, daß er Lamarck kannte und an ihn dachte, als er die entgegengesetzte Ansicht bekämpfte. Im Anschluß an seine Theorie von der Zusammensetzung der Organismen aus Bläschen, sagt er: „Man muß diese Sache jedoch nicht so maschinenmäßig nehmen, als wenn die Pflanzen vorher wirklich Rost oder Wasserfäden und die Thiere wahre, für sich herumschwimmende Infusionsthiere gewesen wären, die sich später aneinander gesetzt hätten, um einen gemeinschaftlichen Leib zu bilden. Die Urbläschen des Zellgewebes sind sogleich in ihrem Keime verbunden gewesen oder vielmehr aus der Flüssigkeit, in der sie chemisch aufgelöst waren, als Punkte angeschossen … Ebenso sind z. B. Blutgefäße nicht vorher ein wirkliches Zellgewebe oder eine Haut gewesen, mit einer schon eigenthümlichen Verrichtung, sondern die körnige Masse hat sich sogleich in Gefäße verwandelt. Auf dieselbe Weise kann man sagen, der Mensch sei nur ein höher ausgebildeter Affe und dennoch wird niemand es so nehmen, als wenn er vorher ein ausgewachsener Affe gewesen wäre und sich dann erst durch günstige Umstände in einen Menschen verwandelt hätte, etwa wie ein Schmetterling aus der Puppe gebildet wird. Wer solche grobe Ansichten oder vielmehr solche Mißverständnisse in die Lehre von der Bedeutung der Theile mitbringt, mit demselben kann keine Verständigung stattfinden.“ Und anderswo: „Was einmal zu einer besonderen Pflanzen- und Thiergattung sich verbunden hat, ändert sich nicht mehr in eine andere um, sofern sich die Stoffe nicht wieder auflösen und nach anderen Verwandtschaften und Richtungen sich verbinden“. „Als gewiß muß man aber annehmen, daß keine Gattung von selbst durch den Verlauf der Zeit sich in eine andere umbildet und daß die ganze Mannigfaltigkeit der Pflanzenwelt sich aus wenig ursprünglich erschaffenen Gattungen entwickelt habe durch Wechsel des Ortes, der Feuchtigkeit, des Lichtes, der Wärme u. desgl. oder auch durch wechselseitige Bestäubung“. O. weist darauf hin, daß die Pflanzen aus den ägyptischen Gräbern ganz den gegenwärtigen gleichen. Er glaubt, daß jede Art für sich entstanden sei oder noch entstehe, durch Zusammentritt der Elemente unter günstigen Verhältnissen. Wenn O. die genetische Methode als einzig sichere für die Erkenntniß des natürlichen Systems darstellt, so geht er dabei von einem Lieblingsgedanken aus, der sich durch seine ganze Naturgeschichte hindurchzieht, von der Idee, daß jeder Organismus in seiner Entwicklung die tieferstehenden Classen stufenweise durchläuft. Wir haben hiermit den Grundgedanken des von Fritz Müller und Haeckel auf Grund der Descendenz- und Selectionstheorie neu begründeten, in der Zoologie fast allgemein anerkannten „biogenetischen Grundgesetzes“. Ob O. selbständig darauf gekommen, läßt sich schwer entscheiden, jedenfalls haben andere, so z. B. Tiedemann, schon vor ihm den Gedanken ausgesprochen und Tiedemann hat sogar schon im J. 1808 an O. selbst geschrieben: „Vor einigen Wochen habe ich die Metamorphose der Frösche beobachtet und [223] eine Menge dieser Frösche zergliedert, wobei ich auf folgenden Satz gestoßen bin: die Frösche durchlaufen während ihrer Metamorphose die Organisation der Anneliden, der Mollusken, der Fische und erst zuletzt werden sie Amphibien“. Niemand aber hat diese Idee mehr gepflegt und weiter ausgedehnt als O. Er sagt: „Ich bin durch meine physiologischen Studien schon vor einer Reihe von Jahren auf die Ansicht gekommen, daß die Entwickelungszustände des Küchelchens im Ei Aehnlichkeit haben mit den verschiedenen Thierclassen, so daß es anfangs gleichsam nur die Organe der Infusorien besitze, dann allmählich die der Polypen, Quallen, Muscheln, Schnecken u. s. w. erhalte. Umgekehrt mußte ich dann auch die Thierclassen als Entwickelungsstufen betrachten, welche denen der Küchelchen parallel gingen“. O. findet besonders auch in der Entwickelung der Insecten seine Ansicht bestätigt. Die Raupen der Insecten entsprechen den Würmern (– O. findet sogar einen auffallenden Parallelismus zwischen den verschiedenen Gattungen und Familien der Würmer und Insectenclassen –) die Puppen entsprechen den Krebsen, die jungen Frösche besitzen Kiemen, wie erwachsene Kiemenlurche, ja sogar die Vogelembryone haben Kiemenspalten. Nach dem Gesagten wird sofort klar, weshalb O. der genetischen Methode eine so hohe Bedeutung für die Erkenntniß des natürlichen Systems beilegt. In ganz ähnlicher Weise erkennen die heutigen Zoologen, gestützt auf das „biogenetische Grundgesetz“ in der Erforschung der individuellen Entwickelungsgeschichte (Ontogenie) eines der wichtigsten Mittel zur Erkenntniß der Stammesgeschichte (Phylogenie). Da O. aber keine wahre Stammesgeschichte anerkennt, so frägt es sich, welche Bedeutung er dem Durchlaufen der Thierclassen in der Entwickelung eines Thieres beilegt. Darüber drückt er sich in sehr bestimmter Weise aus: „Wir müssen demnach das gesammte Thierreich betrachten als einen auseinandergelegten thierischen Leib, dessen Organe bald mehr, bald weniger vollständig, ein eigenes Leben führen und für sich herumschwimmen oder herumkriechen, herumlaufen, herumfliegen u. s. w., so daß das eine Thier z. B. nichts anderes wäre als ein Darm, wie die Polypen, ein anderes noch die Leber hinzubrächte, wie die Muscheln, ein anderes noch die Speicheldrüsen, wie die Schnecken, ein anderes gegliederte Füße, wie die Krebse, ein anderes Knochen, wie die Fische u. s. w.“ Auf der höchsten Stufe der Vervollkommnung und Complicirtheit steht der Mensch und das Thierreich ist O. deshalb der auseinandergelegte Mensch. Die ganze organische Welt bildet eine einzige zusammenhängende Stufenleiter. Bei der Entstehung des Menschen mußten die Bedingungen, unter denen sich überhaupt Organismen bilden, in der vollkommensten Weise vorhanden sein, fehlten wichtige Elemente, so entstanden tiefer stehende Thiere oder sogar nur Pflanzen. Die Bildung eines jeglichen Organismus ist deshalb nach O. gewissermaßen die beginnende Bildung eines Menschen, die je nach den Verhältnissen weiter oder weniger weit gedieh, immer aber und nothwendig nach derselben Richtung erfolgte. Der erste Zustand sind die Pflanzen, innerhalb deren selbst wieder eine continuirliche Stufenfolge von den einfachsten zu den höchsten herrscht. Auf dem niedrigsten Zustand der Thiere befinden sich die Infusorien. Eine zweite Stufe bilden die Thiere, die weiter nichts sind als ein aus Bläschen (Infusorien) zusammengesetzter Darm. „Nach und nach aber verhärtet die äußere Oberfläche durch die Oxydation, während die innere, blos von Wasser umspült und wärmer gehalten, weich bleibt“. Auf diesem Zustand besteht das Thier aus zwei ineinandergeschachtelten Blasen, Haut und Darm. – (Man könnte hierin beinahe die Anfänge der Gasträatheorie erkennen, doch nur in gezwungener Weise.) Dann treten successive neue Organe zu den schon bestehenden hinzu. Die Sinnesorgane sind unter allen Organen die höchsten; nach ihnen müssen die Hauptstufen des Thierreichs bestimmt werden. Die Sinnesorgane stehen selbst [224] aber wieder verschieden hoch; zu oberst das Auge, dann kommt das Ohr, der Geruch, der Geschmack und zuletzt das allgemeine, allen Thieren zukommende Gefühl. O. unterscheidet dem entsprechend fünf Hauptstufen: 1. die Gefühlsthiere (alle niederen Thiere, wie Polypen, Schnecken und Insecten); 2. Zungenthiere (Fische); 3. Nasenthiere (Amphibien); 4. Ohrenthiere (Vögel); 5. Augenthiere (Säugethiere oder Haarthiere). In jeder Abtheilung sei das betreffende Organ am höchsten entwickelt. Bei den Säugethieren kommen die Sinnesorgane vereinigt in hoher Ausbildung vor, man kann sie deshalb auch als Sinnenthiere den Zungen-, Nasen- und Ohrenthieren als Fleischthieren gegenüberstellen. – Der Gefühlssinn gehört dem ganzen Körper an, die vier höheren Sinne dem Kopf; daraus ergibt sich eine neue Eintheilung der Thiere in Rumpfthiere (= Gefühlsthiere, fleischlose, wirbellose oder auch einhöhlige) und Kopfthiere (Wirbelthiere, zweihöhlige). Die Rumpfthiere kann man eintheilen in Gallertthiere, Schalthiere und Ringelthiere. O. findet überall und immer in den Abtheilungen der höheren Thiere einen Parallelismus mit den Abtheilungen der niederen, dies führt ihn zu der anderen Lieblingsidee vom Parallelismus in der ganzen Natur, die ihn zu den größten Absurditäten verleitet. In den vier hohen Classen wiederholt sich die ganze Stufenfolge im Thierreich, die Fische entsprechen den Gallertthieren, die Amphibien den Schalthieren, die Vögel den Ringelthieren, die Säugethiere den Fleischthieren. Derselbe Parallelismus wiederholt sich überall in allen Ordnungen, Familien, Gattungen. Unter den Insekten gibt es gallertthierartige (Mücken, Immen, Schmetterlinge), schalthierartige (Wanzen, Heuschrecken, Wasserjungfern), ringelthierartige (Käfer). Bei den Säugethieren wiederholen sich alle Stufen aller niederen Thiere, so gibt es polypenartige, schneckenartige, insectenartige Säugethiere. Ja die Abtheilungen des Pflanzenreichs sind den Abtheilungen des Thierreichs bis in die kleinsten Kategorien parallel und O. verfertigt eine große Tabelle des Parallelismus der Pflanzenclassen unter sich und mit den Thieren. Zu welchen Ungeheuerlichkeiten ihn dieser Schematismus führt, zeigen folgende Sätze: „Auf diesem Parallelismus der Pflanzen mit den thierischen Organen und den Thierclassen beruht die materia medica, indem die entsprechenden Pflanzen oder ihre Stoffe, specifisch darauf wirken werden. So die Pilze auf den Dotter, die Moose oder Tange auf das Eiweiß, die Farren etwa auf die Hüllen u. s. w.“. „In geistiger Hinsicht scheinen bei den Säugethieren alle Arten von Charakteren und Leidenschaften vorzukommen; die Vögel aber sind fröhlich, leichtsinnig, neugierig, frech und furchtsam; die Amphibien träg und falsch; die Fische sind gleichgültig oder phlegmatisch; die Insecten wiederholen auch in ihrem Thun und Handeln die Vögel; die Schnecken und Muscheln in der Trägheit und Falschheit die Amphibien; die Quallen, Polypen und Infusorien endlich die Fische, nur alle auf einer tieferen Stufe“. So wird schließlich bei O. die ganze Natur zu einem Schrank, in welchem die Naturobjecte nach einer Idee gruppirt sind, die sich für jeden Schubkasten, jede Schachtel und jedes Schächtelchen wiederholt. Das Schächtelchen Nr. 3 der Schachtel Nr. 5 des Schubkasten 9 entspricht dem Schächtelchen Nr. 3 etc. etc., nur ist die darin enthaltene Waare etwa von geringerer Qualität. So ließe sich eigentlich nach der genauen Kenntniß einer kleinen Abtheilung die ganze Natur construiren, denn es gibt nach O. auch bestimmte Zahlengesetze, die überall dieselben sind. Es macht O. keine allzugroßen Schwierigkeiten, die Zahl der Thier- und Pflanzengattungen, ja der Individuen zu bestimmen. Hören wir ihn: „Da in meinem System jede Classe aus 16 Organen, mithin so viel Zünften besteht, so gibt es deren für das ganze Reich 16 × 16 = 256. Es ist höchst wahrscheinlich, daß jede Zunft wieder aus 16 Geschlechtern besteht, wodurch die wissenschaftliche Zahl auf 16 × 256 [225] = 4096 käme. Nimmt man nun an, daß jedes Geschlecht wieder in 16 Gattungen (Arten im neuen Sinne) zerfalle, so bestände das ganze Pflanzenreich aus 16 × 4096 = 65 536.“ Wie O. die Zahl der Thiergattungen, die Zahl der Menschen u. s. w. zu bestimmen sucht, dies zu erörtern, wollen wir unterlassen. Die Zahl 5 scheint ihm von der höchsten Bedeutung zu sein. Für die Kiemen sei diese Zahl sehr charakteristisch. Man könne aber den Grund der Fünfzahl schon in den Blumen suchen; noch weiter zurück führe die Bedeutung der Blumen zur Entwickelung aus den gefiederten Blättern, welche wegen der unpaaren Endblätter nichts anderes als eine ungerade Zahl, 3 oder 5 geben können. Den eigentlichen Grund aber könne man erst höher finden. Er scheine in den fünf Sinnesorganen zu liegen, zu welchen also schon in den Kiemen, in den Blumen und selbst in den Blättern die Anstalten getroffen seien. Es gebe 5 Finger und es gebe 5 Zahnarten, welche den 5 Fingern parallel gehen. Der Eckzahn entspreche dem Daumen, die 2–3 Stock- oder Lückenzähne dem Zeigefinger etc. Es erscheint wahrscheinlich, daß O. durch ähnliche Spielereien auf seine berühmte Wirbeltheorie des Schädels gekommen ist, welche folgendermaßen lautet: Die Wirbelsäule besteht aus 7 Sätzen zu 5 Wirbeln. „Die Gesetzmäßigkeit geht mithin durch die ganze Wirbelsäule und es schwebt hier eine Harmonie über der andern, welche das menschliche Skelet als das schönste und bewunderungswürdigste Gebäude in der Natur darstellen“. Auch der Kopf ist nach O. nichts anderes als eine Wirbelsäule; er besteht aus 4 Wirbeln, weil er 4 Sinnesorgane enthält oder nichts anderes als diese Sinnesorgane ist. Diese 4 Wirbel sind 1. Nasenwirbel (alle Nasenbeine); 2. Augenwirbel (erstes Keilbein und Stirnbeine); 3. Zungenwirbel (zweites Keilbein und Scheitelbeine); 4. Ohrwirbel (Hinterhauptbeine). Daran schließt sich an die übrige Wirbelsäule als 5. Hautwirbel; sie zerfällt in Serien von 5 Kiemen-, Arm-, Lungen-, Darm-, Fuß-, Geschlechts- und Afterwirbeln.

Wir haben nun O. in mehreren seiner Hauptdoctrinen von gesunden, fruchtbaren Gedanken aus bis zu ganz haltlosen, zuweilen höchstens geistreich klingenden Gedankenspielen in möglichst objectiver Weise verfolgt. Es fällt nicht schwer, zu erkennen, daß eine unbeschränkte Phantasie und der vollständige Mangel an objectiver Kritik seine Naturphilosophie auszeichnen und es ist nicht zu verwundern, daß viele, ja die meisten Naturforscher durch sie von einer philosophischen Naturbetrachtung abgeschreckt wurden. Und wie unvortheilhaft sticht nicht Oken’s Naturphilosophie von der viel tiefern und gesündern Naturphilosophie eines Lamarck, eines Geoffroy St. Hilaire ab, die sich doch auch keine allgemeinere Anerkennung zu schaffen vermochten!

Die speciellen Theile der Oken’schen Naturgeschichte enthalten zwar wenig oder kein neues Material und wenig neue Gedanken; doch sind sie in klarer Sprache geschrieben und enthalten eine fleißige Sammlung der damals bekannten Beobachtungen. Wir glauben nicht weit fehl zu gehen, wenn wir uns so zusammenfassen, daß Oken’s Thätigkeit als Lehrer, als Gründer der deutschen Naturforscherversammlungen, als Herausgeber der Isis und Verfasser seiner großen Naturgeschichte ganz besonders dadurch, daß er die Liebe zu den Naturwissenschaften verbreitete, eine eminent fruchtbare gewesen ist. Die Zügellosigkeit seines Naturphilosophirens aber trug zum großen Theile dazu bei, daß allgemeinere Betrachtungsweisen in Mißcredit kamen, und sich die Botaniker und Zoologen bis in die fünfziger Jahre hinein fast ausschließlich sogenannten exacten Detailuntersuchungen widmeten.

Die Hauptwerke Oken’s sind: „Lehrbuch des Systems der Naturphilosophie“. 1. Aufl. Jena 1809–1811, 3 Bde. 2. Aufl. Jena 1831. 3. Aufl. u. d. T. „Lehrbuch der Naturphilosophie“ Zürich 1843, 1 Bd. – „Lehrbuch der Naturgeschichte“. [226] 1. Bd.: Mineralogie. Leipzig 1812. 2. Bd. (in 2 Theilen): Naturgeschichte der Pflanzen. Jena 1825–1826. 3. Bd. (in 2 Theilen): Lehrbuch der Zoologie. Jena 1816. – „Allgemeine Naturgeschichte für alle Stände.“ 13 Bde. Stuttgart 1833–1841. Dazu ein Atlas.

Ein vollständiges Verzeichniß der Schriften Oken’s und seine ausführliche Lebensbeschreibung findet sich in: Lorenz Oken. Eine biographische Skizze. Gedächtnißrede zu dessen hundertjähriger Geburtstagfeier von Alexander Ecker. Durch erläuternde Zusätze und Mittheilungen aus Oken’s Briefwechsel vermehrt. Stuttgart 1880.