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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 45. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Die Stedinger.
Historische Erzählung von Arnold Schloenbach.[1]


Motto:     „Wären sie glücklich gewesen, so würde die Welt die Namen ihrer Anführer
kennen, wie sie die Namen der Schweizer Edlen, Walther Fürst, Werner von
Stauffache
und Arnold von Melchthal kennt. Laßt uns wenigstens gerecht  
sein und unsre wackern Landsleute, die freien Bauern Bolko von Barden- 
fleth, Thanno von Huntorp, Detmar von Dieke
und Andere, die Heerführer  
der Stedinger, und diese selbst, der Vergessenheit entreißen. 
Ant. v. Halem: Geschichte des Herzogthums Oldenburg.
I.
Der Stedinger Land und Leute.

Zwischen dem Jadebusen, der Weser und der Hunte, im jetzigen Großherzogthum Oldenburg, lag das Stedinger Land, auf Mooren und Geersten, zwischen gewaltigen Dämmen; abgetrotzt dem Meere und Flusse mit starker Hand und eisernem Willen, mit kluger Vorsicht und sicherem Auge; dennoch seit Jahrhunderten bedräuet von den tückischen Elementen und oft noch umarmt bis zum grausen Tode, wenn die Elemente ihre Fesseln sprengten und ihr donnerndes Rauschen über die Trümmern der Menschenwerke, wie ein dämonischer Spott, aus der Tiefe erscholl. Aber immer auch wieder erhoben sich aus Fluthen und Trümmern neues Land, neue Dörfer, neue Dämme, und immer blühender, schöner und fester. – Es mußte ein gewaltiger Menschenschlag sein, der das vermochte. Und wahrlich, er war es auch. Die kühnsten Holländer, die stärksten Friesen, auch wohl Normannen dazu, hatten nach und nach sich hier angebaut, die Plätze der Ertrunkenen und Verschütteten einnehmend, und Derer, die dann geflohen in Todesangst und gebrochenem Muthe.

Sie vermischten sich mit den stark und muthig heimisch Gebliebenen und so mußte das nun ein Geschlecht werden von besonderer Art; der Stamm, der in freudigstem Lebensmuthe fast täglich um dieses Leben kämpfen konnte; Männer, hoch wie ihr Korn, breit wie ihre Dämme, hart von Sinn und Knochen wie ihre Pflugschaaren; den Wolken, Wogen und Wettern ihre Listen ablauschend, klug wie die Füchse, ehrlich und treu wie die Natur, gesund an Herz und Gedanken wie die frisch aufgerissene Scholle ihrer schwarzen Erde, dabei reich wie ihre Felder. Vor Allem aber: es waren freie Männer. Ein Jeder erbgesessener König auf seinem Grunde, nur Unterthan dem Gesetze, das sie selbst sich gegeben hatten, von eigens erkührten Richtern bestellen ließen und sich ihm beugten, als hielte es der König der Könige vor ihren Augen in seiner Hand.

Nur dem deutschen Kaiser hatten sie Zuzug zu halten mit Mann und Schwert, d. h. wenn er darthat, daß er im Rechte war gegen seinen Feind. Nur dem Erzbischof in Bremen gaben sie Zehnten an Vieh und Frucht, als dem Vertreter des Papstes, dem Schutzherrn ihres christlichen Glaubens; doch wählten sie selbst ihre Priester, bauten selbst ihre Kirchen und Schulen, und keines Gewaltigen Macht durfte sich einmischen in der freien Bauern Rathen und Thaten, Gut und Blut. Schon Kaiser Karl der Große hatte solch hohe Gerechtsame den Stedingern gegeben und jeder ihm folgende Kaiser sie feierlich bestätigt. Zuletzt noch erweiterte und befestigte sie der deutsche Kaiser mit dem rothen Bart und die weisen Erzbischöfe von Bremen hatten immerdar des Papstes heiliges Siegel darauf gedrückt.

Aber der Bauern Freiheit sollte ihr Verderben werden. Der wachsenden Macht der oldenburgischen Grafen war sie ein Dorn im Auge, der sollte herausgerissen werden, wenn auch das Auge mit heraus müßte; so hatten sie beschlossen.

Hart an den Grenzen des Stedinger Landes erbaueten sie Lienen und Lichtenberg und setzten darauf Voigte, die immer weiter eingriffen in der Bauern Thun und Lassen, Hab und Gut; ja die oft der Bauern Weiber und Töchter auf sonntäglichen Kirchwegen überfielen, auf die Burgen schleppten und verunehrten. – Und im Bunde mit den oldenburger Grafen gingen die Erzbischöfe von Bremen: der eiserne Hartwich und der übermüthige Gerhardt.


  1. Es war im schönen Wein- und Friedensjahr 1842, als wir im Rheinischen Dichter-Verein, „der Maikäfer“, Gottfried Kinkel’s ersten dramatischen Versuch: „Die Stedinger“, mit vertheilten Rollen lasen. Die hohe Dichterkraft darin empfanden wir Alle; ebenso, daß Stoff und Stück nicht eigentlich dramatisch seien. Ein Epos oder eine Erzählung schien uns damals schon als dem Stoffe angemessener. Nach Jahren führte mich mein Weg nach Oldenburg; das Manuskript des Kinkel’schen Werkes noch in Händen, studirte ich an gründlichster und nächster Quelle die Geschichte des Großherzogthums und damit die Geschichte der Stedinger. Dann besuchte ich die Schauplätze der Begebenheit im Stedinger Lande selbst, und meine Erzählung wurde dort schon fertig bis auf’s Niederschreiben, was jetzt erst geschah. So verdanke ich sie eigentlich Kinkel und seinem ersten Drama was zu bekennen mir als schöne Pflicht erscheint.
    Der Verfasser. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_533.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)