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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

bekanntem Wesen leider zu jener Scene zwischen Beiden, die von den Journalen weidlich genug ausgebeutet wurde, um sie hier noch weiter zu verfolgen. Das Resultat war natürlich der Sieg der Macht. Dawison bekam die Weisung, vorläufig das Theater nicht wieder zu betreten, dessen Vorstand er so scharf verletzt hatte; seine Entlassung aber erhielt er nicht. Das war nun wohl die schrecklichste Lage, in die der gewaltige Wirkungsdrang des Genies gerathen kann. Durch die Gnade des Kaisers aber, gefördert durch den rastlosen Eifer der dresdner Intendanz, durch die Macht der öffentlichen Stimme, durch den feinen künstlerischen Blick des Kaisers auf die Genialität seines Künstlers, wurde derselbe doch schon bald aus jener Lage befreit. Er kam nach Dresden, wo er eine neue Epoche dieses herrlichen Theaters und seines eigenen Lebens begann.

Nach dieser raschen Ueberschau seines Lebens, wollen wir nun noch einen Blick auf das eigentliche Wesen seines Schaffens werfen und darzulegen suchen, worin die seltene Macht desselben besteht. Ein Verzeichniß seiner Hauptrollen mag zuerst den weiten Kreis seines Wirkens bezeichnen: Carlos in „Clavigo,“ Alba in „Egmont,“ Marinelli in „Emilie Galotti,“ Burleigh in „Maria Stuart,“ Hamlet, Marc Anton in „Julius Cäsar,“ Richard III., Franz Moor in „die Räuber;“ von neuen Rollen: Holofernes in Hebbel’s „Judith,“ Mephisto in „Faust,“ Shyllock in „der Kaufmann von Venedig,“ Muley Hassan in „Fiesko,“ Fox in Gottschall’s „Pitt und Fox,“ Benedict in „Viel Lärmen um Nichts;“ in Vorbereitung: Othello. Von Genrebildern: Bonjour in „die Wiener in Paris,“ Spielwaarenhändler, Riccaut in „Minna von Barnhelm,“ Hans Jürge in „die Perlenschnur“ u. a.

Diesen so beschriebenen Kreis beherrscht er nun mit hinreißender Gewalt der höchsten Leidenschaft, mit bannender Macht keuschester und einfachster Natur, Wahrheit und Gesundheit und mit tiefster Erfassung, Durchdringung und Entwickelung des Gegenstandes durch seine große Intelligenz, seinen scharfen, scheidenden Verstand und sein geistreiches, tief psychologisches Eindringen in die innerste Werkstätte, in das feinste Räderwerk der Menschennatur. Jede einzelne dieser großen Gaben hat schon bedeutende Schauspieler gebildet; in Dawison vereinigt, haben sie ihn zum Bedeutendsten gemacht, wenn auch andere große Schauspieler wieder andere Gaben besitzen, die er nicht hat, wenigstens nicht so vollkommen wie jene. – In ihm vereinigt, reißt er uns hin, elektrisch durchzuckt, bis zum heftigsten Sturm und Donner der Leidenschaft, bis zum höchsten, kühnsten Schwung des Ideals; läßt er uns dabei doch stets die Beruhigung maßvoller Beherrschung zurück, läßt er uns stets auf gesundem, concretem Boden der Wahrheit stehen; führt er uns der Menschennatur tiefste und geheimste Laute in allen Tinten und Tönen ihrer ewigen Wechselwirkung vor. Da ist nirgends Willkür, Planlosigkeit, sondern überall tiefste Berechnung bei größter Unmittelbarkeit. Da ist kein Einzelnspiel, kein Kunststückchen, kein effectberechneter „Abgang,“ sondern immer nur ein Ganzes, Volles, Rundes. Da ist kein Machen, sondern ein Werden, ein organisches Wachsthum nach innerster Naturnothwendigkeit.

Das ist das Leben und die Charakteristik des Künstlers Dawison. Der prächtige, frische, kühne Mensch Dawison wird aus Jenem leicht zu erkennen sein. Das Motto zu ihm dürfte heißen: „Wär’ ich bedächtig, hieß ich nicht der Tell!“

A. 




Des Menschen erste Lebenszeit.
Der Säugling.

Aus dem Alter des Neugebornen (s. Gartenlaube Nr. 43, S. 515) tritt der Mensch in das des Säuglings und dieses begreift, mit Ausnahme der frühesten Lebenstage, die ersten 9 bis 12 Monate nach der Geburt in sich, sonach die Zeit, während welcher das Kind von der Mutter gesäugt werden soll. In dieser Lebensepoche, in welcher jedenfalls schon die Erziehung durch richtige Gewöhnung beginnen muß, werden sehr oft so arge Verstöße gegen die Behandlung, zumal gegen die Ernährung des Kindes gemacht, daß dasselbe entweder zeitlebens an den Folgen derselben zu leiden hat oder daran sehr bald zu Grunde geht. – Die wichtigsten Momente im Säuglingsalter sind das allmälige Erwachen der Sinne, dem alsdann die ersten Spuren des Verstandes, der Sprache und willkürlichen Bewegung, das Aufmerken und Lächeln zu verdanken sind, und der Ausbruch der Zähne im 7., 8. oder 9. Monate. Der Körper des Säuglings gewinnt in Folge von Fettablagerung an Rundung, seine Muskulatur (das Fleisch) wird nach und nach kräftiger, die Haut derber, die Knochen härter und die große Neigung zum Schlafen nimmt immer mehr ab. Der weichen Beschaffenheit der Hirnsubstanz wegen ziehen stärkere, besonders krankhafte Reizungen der zum Gehirn leitenden Empfindungsnerven, durch Uebertragung ihrer Reizung auf Bewegungsnerven, sehr leicht widernatürliche Bewegungen nach sich und deshalb werden Säuglinge häufig, auch bei ganz unbedeutenden Krankheitszuständen, von Krämpfen (Convulsionen) befallen, die sonach in diesem Lebensalter weniger gefährliche Erscheinungen als im spätern Leben sind. Am Schädel des Säuglings befindet sich vorn in der Mitte über der Stirn eine dünne, nicht verknöcherte Stelle, die große oder Stirnfontanelle (das Plättchen), welche sich erst im 2. oder 3. Lebensjahre schließen darf, wenn das Verstandesorgan, nämlich das in der Schädelhöhle verborgene Gehirn, nicht in seinem Wachsthume gestört und das Kind schwachsinnig werden soll. – Von Seiten der Aeltern ist bei der Erziehung des Säuglings ebensowohl auf die körperliche wie auch schon auf die geistige Entwickelung große Aufmerksamkeit zu verwenden; in ersterer Hinsicht kommt vorzugsweise die Ernährung und Vermeidung von Krankheiten in Betracht, in letzterer findet das Gesetz der Gewohnheit und Nachahmung seine Anwendung.

Die Nahrung des Säuglings darf nur Milch sein und zwar die der Mutter, wenn nicht gewichtige Gründe derselben das Stillen verbieten. Man sollte aber zur Beurtheilung der Wichtigkeit dieser Gründe stets den Arzt zu Rathe ziehen, da in jedem einzelnen Falle die ernstlichste Erwägung nöthig ist. Im Allgemeinen läßt sich nur sagen, daß es weder für die Mutter noch für das Kind von Vortheil, aber wohl von Nachtheil ist, wenn kraftlose, blutarme, kurzathmige und hustende, überhaupt an irgend einem chronischen Uebel leidende Frauen stillen. Ebenso sollten auch die Mütter, welche schon mehrere Kinder verloren haben, die sie selbst stillten, ferner die, welche während des Stillens bleich (blutarm), mager, kraftlos und sehr reizbar werden, sodann diejenigen, denen das Saugen des Kindes heftige Schmerzen verursacht, die von der Brust zum Rücken und Kopfe ziehen, alle diese sollten, zumal wenn sie nicht bei gutem Appetite sind, vom Stillen ablassen. Stillt nun aber eine Mutter, dann hat sie auch die Verpflichtung Alles zu vermeiden, was ihrem eigenen Körper und dadurch auch dem des Säuglings schaden könnte (wie Erkältungen, Gemüthsbewegungen, Diätfehler, Mangel an Schlaf, starke Anstrengungen u. dgl.), dagegen Alles zu thun, was ihrem Kinde nützt. Zu Letzterem gehört ganz besonders die Wahl passender, nahrhafter und leicht verdaulicher, aus thierischen und pflanzlichen Nahrungsstoffen zusammengesetzter Speisen, d. h. solcher, welche eine gute, die richtige Menge an Käsestoff, Butter, Zucker und Salzen enthaltende Milch zu erzeugen im Stande sind, wie: Milch und Fleisch (mit dem gehörigen Fette), Ei (Eiweiß und Dotter), Hülsenfrüchte (Erbsen, Linsen, Bohnen) und Nahrungsmittel aus den verschiedenen Getreidearten (aus Weizen, Roggen, Mais, Reis, Hirse etc.). Neben dem Essen muß aber auch auf reichliches Trinken nicht erhitzender Getränke (von Wasser, Milch oder leichtem Biere) gehalten werden, damit das Blut und die Milch der Mutter stets den gehörigen Flüssigkeitsgrad erhalte. Es versteht sich übrigens ganz von selbst, daß ebensowohl im Essen wie im Trinken gehörig Maaß zu halten ist, um die Verdauung nicht zu stören. – Zur richtigen Diät einer Stillenden gehört nun außer der passenden Kost, auch noch das Einathmen einer reinen Luft, mäßige Bewegung, hinreichender Schlaf und Gemütsruhe. Nach Gemüthsbewegungen (Aerger, Schreck, großer Freude) ist es gut, das Kind nicht sogleich anzulegen, wohl aber die Milch abzuziehen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_595.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)