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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Blätter und Blüthen.

Spanisches. Espartero wird also seinen Ministerposten aufgeben und in’s Privatleben zurückkehren. Was wird aus Spanien werden, wenn dieser ehrliche Mann nicht mehr an der Spitze der Regierung steht? – Das etwa 140 geographische Meilen lange und 120 breite Land ist in seinem Boden und Klima das herrlichste in ganz Europa, in seiner Geschichte, seinen historischen und Kulturdenkmälern der alten römischen, gothischen, maurischen und romantisch-mittelalterlichen Zeit eins der unerschöpflichsten, in seinen Naturbildungen mit ungeheueren Gebirgszügen gleich nach der Schweiz das erhabenste, mit seinen milden Wäldern von Süd- und gar tropischen Früchten und Blumen, seinen ganzen Gebirgen von Marmor und Alabaster (177 Arten allein in Catalonien), seinem grünen und fleischfarbigen Marmor von Granada, seinen durch Faulheit, Ritterlichkeit und Möncherei verschuldeten Quecksilber-, Röthel-, Silber- und Goldminen, seiner Sonne, welche die feurigsten Weine kocht und Palmen, Aloen, Zuckerrohr und Baumwollenbäume und die balsamischen Fruchtöle ohne des Menschen Zuthun cultivirt und selbst in seiner Luft, welche durch bloßes Einathmen unzählige Leiden der Menschheit heilt, das von Natur himmlische Land. Aber die Inquisition, das Gold, die Ritterlichkeit, die Möncherei, die Ketzerverbrennung, die Bourbonen und die alte englische Politik für dieselben waren zusammen doch stark genug, dieses Paradies Europa’s und dessen alte Kultur materiell und moralisch zu verwüsten und die 40 Millionen Bewohner unter der Römerzeit trotz allen gesegneten Nachwuchses zu 12 Millionen herabzubringen. Und unter diesen 12 Millionen sind gegen 400,000 Mönche und Nonnen, 600,000 Adelige und nur 300,000 Dienstboten, so daß sich mindestens 300,000 Aristokraten ihre Stiefeln, die sie etwa haben, selbst wichsen müssen, wenn sie sich Wichse und Bürsten dazu kaufen können. Manche müssen sich die Rittersporen an den baaren Fuß schnallen und dann fehlt Rocinante immer noch.

Jetzt liegt das halbe Land wüst, und wo nach einer ökonomischen Berechnung 80 Millionen Menschen glücklich leben und reich werden könnten, sind jetzt von 12 Millionen die Hälfte Bettler. Die Oliven Südspaniens sind zweimal so groß, als die, aus welchen das Provenceöl gepreßt wird; die Weine von Alicante, Xeres und Malaga wärmen wie flüssig gewordene Sonnenstrahlen und die in alle Welt versandten Trauben erquicken manches kranke Menschenherz; die spanische Wolle ist durch keine Zucht und Kultur an Zartheit zu erreichen, Wälder von Palmen bieten sich ohne Wüste, Zuckerplantagen ohne schwarze Sklaverei, aber alle diese Segnungen der Natur, des himmlischen Klima’s und der balsamischsten Luft können die Wunden nicht heilen, welche dem durch politische Kunststücke und Gewaltthaten entarteten und entwürdigten Lande und von Natur edeln und würdigen Volke geschlagen wurden. Nur wenn es Espartero gelungen, den englischen Geist der Municipalfreiheit, der Selbstbeherrschung und Selbstverwaltung in das soldatisch und mönchisch verzogene Volk zu pflanzen und zu acclimatisiren, hätte der pyrenäischen Halbinsel noch eine Zukunft in der Kulturgeschichte erblühen können.




Die verkannten Geologen. Der Geolog ist, wenn er draußen in der Natur seinem Berufe nachgeht, nach seinem Tagwerke in der Regel viel zu müde, als daß er sich weiter um die äußere oder innere Erscheinung des Gasthauses kümmern sollte, in welchem er von seinen Anstrengungen ausruht und überdies geräth auch bei dem Herumklettern über Berg und Thal sein äußerer Mensch in einen so unsaubern Zustand, daß ein großes Hotel Bedenken tragen würde, ihn aufzunehmen. Humboldt’s Freund, der geniale und mit Glücksgütern reich gesegnete Leopold von Buch, kehrte einmal auf einem seiner Ausflüge in den schlesischen Gebirgen, nachdem er sich den ganzen Morgen rechtschaffen abgemühet, in einer Dorfschenke ein und verlangte hier Brot, Käse und Bier. Als er fragte, was er zu bezahlen habe, verlangte die Wirthin so wenig, daß er nicht umhin konnte, ihr seine Verwunderung darüber zu erkennen zu geben. „Ja freilich,“ sagte sie, „ein Anderer müßte noch einmal so viel bezahlen, aber Euch sieht man’s an, daß Ihr nichts übrig habt und die Armuth muß man nicht drücken.“

Ein andermal, als er nicht weit von einem Spazierwege an einem Felsen herumhämmerte, blieb eine vorübergehende Dame, welche ihn für einen gewöhnlichen Steinbrecher hielt, bei ihm stehen, ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein und wollte ihn, „weil er so hübsch auf Alles zu antworten wüßte,“ beim Fortgehen einen Silbergroschen schenken. Sie erstaunte natürlich nicht wenig, als sie ihn den nächstfolgenden Tag auf dem nahegelegenen Schlosse des Grafen von H. bei der Mittagstafel traf.

Professor Sedgwick, ein ebenfalls sehr wohl bekannter Geolog, ward einmal, während er seinem Berufe nachging, für einen entsprungenen Wahnsinnigen gehalten und mit Gewalt bis in die nächste Stadt geschleppt. Ein andermal benutzte er, nachdem er sich mit der Ausbeute einen besonders glücklichen Tages die Taschen gefüllt, zur Heimfahrt einen bereits mit vielen Passagieren besetzten Personenwagen und schlief ermüdet von vielen Strapatzen unterwegs ein. Als er am Ziele der Reise angelangt, aufwachte, fand er zu seinem Entsetzen seine Taschen vollständig ausgeleert. Eine alte Frau nämlich, die neben ihm gesessen und bemerkt, daß er alle Taschen voll Steine gepackt, hatte ihn abermals für einen Wahnsinnigen gehalten, der sich auf diese Weise beschwert, um sich desto sicherer zu ersäufen. Und deshalb hatte sie aus reiner Menschenliebe dem schlafenden Naturforscher einen Stein nach dem andern aus den Taschen stipitzt und hinaus auf die Straße geworfen!




Was der Krieg kostet. Man gebe mir, sagt ein Freund den Friedens, das Geld, welches seit Anbeginn zu Kriegszwecken verwendet worden und ich will damit jeden Fuß breit Land auf dem ganzen Erdball kaufen. Ich kleide dafür jeden Mann, jedes Weib und jedes Kind in ein Gewand, auf welches Könige und Fürsten stolz sein würden. Ich baue dafür eine Schule an jedem Bergesabhange und in jedem Thale auf der ganzen bewohnbaren Erde. Ich baue dafür eine Universität in jeder Stadt und gebe ihr die Mittel zu ihrem Unterhalt. Ich kröne jeden Hügel mit einer Kirche, welche der Ausbreitung des Friedens gewidmet ist, so daß an jedem Sabbathmorgen der Glockenklang auf einem Hügel dem Glockenklang auf dem andern rund um die ganze Erde antworten und Lob, Preis und Dank wie ein allgemeines Brandopfer gen Himmel steigen sollen.




Gedächtnißstärke. In Virginien lebte ein Negersklave, Fuller mit Namen, der es im Rechnen so weit gebracht hatte, daß, als man ihn fragte, wie viel Sekunden in anderthalb Jahren enthalten seien, er nach zwei Minuten antwortete: 47,304,000, auf eine zweite Frage, wie viel Sekunden Jemand gelebt habe, der 70 Jahre, 17 Tage und 12 Stunden alt geworden sei, antwortete er in anderthalb Minuten: 2,210,500,800 und da Jemand, der mit der Feder die Aufgabe nachgerechnet hatte, ihn eines Irrthums beschuldigte, ergab es sich bald, daß der Nachrechner die Schalttage versehen hatte. – Dieser Mann konnte Anfangs nur bis 10 zählen und ließ sich sehr viel bedünken, als er bin 100 zählen konnte. Er zählte die Haare in einem Kuhschwanz, deren er 1872 fand; dann die Körner in einem Scheffel Waizen, und so kam er im Zählen und Rechnen immer weiter.




Literarisches. Die nahende Weihnachtszeit hat zwar viele gar bunt und brillant gebundene Bücher gebracht, literarisch-wichtige Neuigkeiten sind indeß wenig angekommen. Des Grafen Strachwitz Lieder eines Erwachenden sind in fünfter Auflage erschienen, brillant ausgestattet, mit Illustrationen von Koska, die indeß nicht viel sagen wollen. Arnold Schloenbach giebt unter dem Titel: Weltseele eine Sammlung Dichtungen aus dem Naturleben, die er den Naturforschern widmet. Von demselben Autor erschienen zugleich zwei Bände Erzählungen und Novellen. Baron Klesheim, bekannt durch seine Vorträge in österreichisch-tyroler Dialekt, veröffentlicht unter dem Titel Von der Wartburg, eine Taubenpost in Liedern, ein kleines Bändchen Gedichte in österreichischer Mundart und widmet diese dem Großherzog von Weimar mit den Worten:

Und bist Du ihnen gut, wann sie
Sich Dir zu Füß’n legn
Da kann’s ihnen an Glück nit fehln,
Da habn’s den best’n Seegn.

hoffentlich wirft aber diese Zufüßenlegerei keinen Falkenorden ab. Von Gutzkow haben wir in den nächsten Tagen einen einbändigen Roman: Die Diakonissin, zu erwarten und von demselben Autor eine vollständig umgearbeitete zweite Ausgabe seiner Tragödie: Nero.


Als werthvolles Weihnachtsgeschenk

für alle Diejenigen, welche noch Freude an gesunder, kräftiger und wahrer Poesie haben, empfehle ich die

Gedichte
von
Ludwig Storch
brosch. 1 Thlr. 6 Ngr. – prachtvoll gebund. 11/2 Thlr.

In fast allen deutschen Organen, welche eine kritische Stimme haben, sind diese Gedichte mit eben so großer Freude begrüßt wie mit ungetheilter Anerkennung und Achtung besprochen worden. Storch zählt seitdem mit unter die besten Lyriker der Neuzeit. – Die prachtvolle Ausstellung macht das Buch auch äußerlich zu einem sehr werthvollen Geschenk.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_604.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)