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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Leichnam und ließ ihn im Paraklet begraben, um einst an seiner Seite zu ruhen. Die Revolution, welche so manches Monument des Mittelalters zerstört hat, schonte das gemeinschaftliche Grab der berühmten Liebenden. Beider Asche wurde 1808 nach Paris gebracht, aber erst zwanzig Jahre später auf dem Kirchhofe des Père La Chaise feierlich beigesetzt.

Ludwig Börne’s Grab.

Hoch oben auf luftiger Höhe liegt das Grabmal Ludwig Börne’s, des deutschen Ehrenmannes, der fern von der Heimath als ein Verbannter in fremder Erde ruht. Er liebte sein schönes Vaterland mit der ganzen Gluth eines ehrlichen Herzens, und weil er es so ehrlich, liebte, grollte er oft und warf bittere heiße Worte über den Rhein hinüber. Ein kurzer, viereckiger Obelisk von grauem Marmor bezeichnet die Stätte, wo das edle Herz nach manchem heißen Kampfe endlich den Frieden gefunden hat. In einer Nische befindet sich das Portrait des Dahingeschiedenen, darunter in einem Viereck das Bild der Freiheit, welche die vereinigten Hände Deutschlands und Frankreichs an ihr Herz drückt. Hinter diesen Figuren stehen auf einer Votivtafel die Namen: Voltaire, Rousseau, Lamennais und Beranger; Deutschland gegenüber: Lessing, Herder, Schiller und Jean Paul. Das Ganze ist von geschliffenem Marmor, die Bildnisse von Bronze und das Denkmal selbst auf Kosten der Freunde errichtet. Die vielen frischen Immortellenkränze bürgen dafür, daß Börne noch nicht vergessen ist. Entzückend und großartig ist die Aussicht, welche man von hier aus genießt. Aus dem Häusermeer ragt die mächtige Kuppel des Pantheon hervor, ein würdiger Hintergrund zu dem Grabe Börne`s.

Nur noch ein Monument machte einen tiefen, unbeschreiblichen Eindruck auf mich. Es war eine riesengroße Steinpyramide, die an ihrer Spitze statt jeder Inschrift den Namen Gottes von einem Strahlenkranz umgeben in hebräischen Zeichen trug, welche nach uralter Tradition des jüdischen Volkes Niemand aussprechen darf, da das Wort wie die Erscheinung des Höchsten selbst auf der Stelle tödten würde. Ich beugte mich mit ehrfürchtigem Schauder vor dem Unaussprechlichen, der da Herr ist über Leben und Tod. Das erhabene Bild eines alten deutschen Malers vom jüngsten Gerichte schwebte vor meiner Phantasie. Ich glaubte die tröhnende Posaune zu hören und sah im Geiste all’ die Todten sich aus der Gruft erheben und vor ihrem Richter stehen. Eine gewaltige Stimme aber rief über das moderne Babel die Worte des Dichters: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.

Max Ring.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_236.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)