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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

zu thun ist, der möge auf die betreffenden biographischen Schriften Jahn’s und Pröhle’s hiermit verwiesen sein, wie auf die Nachträge zu dem Pröhle’schen Buche, welche Wilibald Alexis in Nr. 12. und ich selbst in Nr. 14. der Blätter für literarische Unterhaltung für 1857 geliefert hat. Hier kann es sich nur um meine persönlichen Berührungen mit beiden Männern handeln.

Meine Erinnerungen an den alten Jahn fallen schon in meine Knabenzeit, als Jahn von Berlin aus auf einer Turnerfahrt auch meine Vaterstadt besuchte und auf dem Turnplatze des Züllichauer Gymnasiums ein solennes Schauturnen veranstaltete. Jahn war damals, wo die Turnerei in höchster Blüthe stand, einer der populärsten Männer in Preußen und erregte mit seinem langen Barte und der Gefolgschaft der Berliner Turner, welche sich den Spaß machten, in ihrem Gasthause zwei Stock hoch herabzuklettern, begreiflicherweise in Züllichau das größte Aufsehen. Die Kleinbürger oder Philister wußten freilich nicht recht, ob sie in der Jahn’schen Turnerschaft eine Genossenschaft von jungen Recken oder eine Art Seiltänzerbande erkennen sollten. Um so mehr wurden sie von den Lehrern und Schülern des Gymnasiums gefeiert, mit denen Jahn dann nach Kai herauszog, dem Schlachtfelde des siebenjährigen Krieges, auf dem der mit dictatorischer Vollmacht ausgerüstete, aber unbesonnene General von Wedell geschlagen wurde, als er einen Angriff auf die Russen unter Soltikow machte, um ihre Vereinigung mit den Oesterreichern unter Laudon zu hindern. Das Mißlingen des Wedell’schen Angriffs hatte dann die für Friedrich den Großen so unglückliche Schlacht von Kunersdorf zur Folge. Jahn hielt auf dem Schlachtfelde eine feurige Ansprache an die Turner, gewürzt mit historischen Erinnerungen aller Art, namentlich an die noch so frisch im Andenken haftenden Feldzüge gegen die Heerschaaren Napoleons.

Ein paar Jahre später wurde mir Jahn in mehr trauriger Weise wieder in Erinnerung gebracht. Die sogenannte Demagogenverfolgung war in vollem Gange. Das sonst sehr harmlose Züllichauer Wochenblatt brachte Auszüge aus den Untersuchungsacten, darunter feurige Lieder, deren Inhalt sogar jetzt ihren Wiederabdruck vielleicht mißlich machen würde. Es war darin viel von „Volksschmerz“, „Freiheitsblut“, „Teufelsmolchen“, „Freiheitsdolchen“, „Kronen und Bändern“, „Opfergewändern“ u. s. w. die Rede. Diese Gedichte machten auf mich, den damals etwa elf- oder zwölfjährigen Knaben, einen ganz andern Eindruck, als durch ihren Abdruck etwa beabsichtigt sein mochte. Ich lernte sie auswendig und könnte sie heute noch Wort für Wort recitiren. Nur eins derselben will ich hierher setzen; das Lied ist ja doch nur eine historische Reliquie und seine Mittheilung gewiß eine unverfängliche. Es lautete:

Wie nach dem Himmelreich,
So nach dem deutschen Reich
Trachtet, Brüder!
Und mit der achtunddreißig Tracht nieder!

Ja, es summen die Jungen
Frisch, fröhlich und frei,
Die muthigen Söhne
Der Turnerei.

Sternaugen funkeln,
Die Schwerter sind bloß!
So klingt der Freiheit
Drommetenstoß!
 u. s. w., u. s. w.

Jahn spielte in diesen Mittheilungen begreiflicherweise eine Hauptrolle, und ich erinnere mich, daß ich mich der verfolgten und auf verschiedene Festungen des Landes gebrachten Anhänger der Jahn’schen Reichstheorie mit großem Eifer gegen einen alten Onkel annahm, der mich mit den Worten niederzudonnern suchte: „Dummer Junge, was verstehst Du denn davon!“ Ich schwieg, rechnete mir aber diesen „dummen Jungen“ aus so reaktionärem Munde zur Ehre an. Man kann sich denken, mit welcher Teilnahme ich den Erzählungen eines älteren, nun verstorbenen Bruders lauschte, welcher in dem in Küstrin garnisonirenden achten oder Leibinfanterieregiment als Freiwilliger gestanden und mehrmals vor der Kasematte, in welcher Jahn, und zwar in Ketten[WS 1], saß, Wachtdienst gehabt und mit angesehen hatte, wie Jahn in der Freistunde, die ihm für den Genuß der frischen Luft gestattet war, sich auf dem Walle zur nöthigen Leibesbewegung hin- und herwälzte und an den dort liegenden Kanonenkugeln athletische Uebungen anstellte. Auch hatte er die dienstthuenden Unterofficiere, welche Jahn’s Kleider täglich nach irgend etwas darunter Verborgenem zu untersuchen hatten, mehrmals in die Kasematte Jahn’s begleiten müssen, was seine loyale Gesinnung zu verstärken nicht eben sehr geeignet war. Nebenbei gesagt, war ich damals sehr stolz auf diesen Bruder, weil er in einem Regiments gedient, welches außer dem Garderegiment allein das Vorrecht hatte, auf den Czako’s einen Federstutz zu tragen. Wie glücklich war ich, diesen Czako über meinen Kopf zu stülpen; er fiel mir aber immer über’s Gesicht. Es verhielt sich damit, wie mit meiner damaligen politischen Gesinnung, die für meinen kleinen Kopf auch zu umfangreich war.

Diesen Mann, über den ich in der Kindheit so viel gehört, sollte ich nun Ende der dreißiger Jahre in Leipzig persönlich kennen lernen, und zwar zuerst durch Eduard Burckhardt, welcher nebst mir (wie auch Pröhle in seinem Buche anführt) wohl der einzige unter den Leipziger Schriftstellern war, mit welchen Jahn in jener Zeit intime Beziehungen unterhielt. Er unterließ niemals, wenn er später von Freiburg nach Leipzig kam, mich auf meinem Zimmer zu besuchen, machte dann auch in der Regel Anstalten, einen oder den andern Brief zu schreiben, wozu es aber niemals kam, da er von Schreiben kein Freund, der Drang, zu sprechen, aber in ihm um so stärker war. Jahn, über dessen allbekannte äußere Erscheinung ich hier nicht weiter sprechen will, war eine grundgute Natur, und so hatte ich den alten Mann trotz seiner Ecken und Sonderbarkeiten sehr lieb, am liebsten, wenn er mit gespreizten Beinen, in der Luft hin- und herfahrenden Armen und seltsamem Pathos Lieder aus der Kriegszeit recitirte, die von früheren Kampfgenossen gedichtet waren. Ich gab Anfangs der vierziger Jahre eine Sammlung politischer Gedichte seit Klopstock heraus und Jahn hatte mir zu diesem Zwecke reichliche Beiträge versprochen, was er mir aber später lieferte, bestand nur in einem, allerdings schönen und kräftigen Kriegsliede von einem gewissen Mill, das ich auch in meine Sammlung aufgenommen habe, und in Bruchstücken eines Gedichtes von Scholz aus dem Jahre 1798. Mill war 1813 als Feldprediger mit in den Krieg gezogen und Scholz, einer seiner Universitätsgenossen, später auch Kampfgenosse gewesen, übrigens einer der feurigsten Sprecher, wie Wachler von ihm sagt. Obgleich ich den für Jahn und seine Universitätszeit charakteristischen Brief, womit er seine leider nur spärlichen Beiträge begleitete, bereits in der Einleitung zu meiner Sammlung politischer Gedichte mitgetheilt habe, scheint es mir doch nicht überflüssig, hier einige der bezeichnendsten Stellen mitzutheilen. Die eine bezieht sich auf seine Studienzeit. „Bescheiden,“ schreibt Jahn, „waren wir Alle, das gehörte mit zur Zeit. Die Lebensfrische von Goethe, Schiller, F. Richter, Herder u. s. w. duftete mit warmem Odem. Da gingen in den Herzen die Saiten auf. Es keimte und wallte in den Gemüthern. Es war eine allgemeine Abkunft, die sich von selbst verstand und im Allgemeinen feststand, bei Einigen noch überflüssig mit Hand und Wort gelübdet. Jeder solle streben, nach seinen verliehenen Anlagen etwas Tüchtiges zu leisten; es müsse anders werden, und dazu müsse Jeder helfen. Unsere Baumschule war nicht schlecht. Ader wir kannten noch nicht bairisches Bier und die Kunst, mit Redensarten aus allen Wissenschaften Kartenhäuser zu bauen. Ein Theil von uns lag in furchtbarem Kampf mit den Todeskämpfen der nachmittelalterlichen Hochschüler. Darauf die Anspielung (Einleitung zum „deutschen Volksthum“): „Als Jüngling verfocht ich jede Sache, so mir die rechte schien, und die staatsgesetzliche Freiheit und Selbstständigkeit der akademischen Bürger.“ Mehr darüber zu sagen litt die Schriftscheu nicht. Auf dem Fechtboden Derer, die eine Gesammtheit wollten, war unser bester Schläger der jetzige Justizminister Mühler. Damals habe ich von der Hagen mit eingeschlagen. Wir trieben viel Deutsch miteinander.“

Wenn Jahn in seinem Schreiben, welches bei seiner Länge ihm, dem Schreibeunlustigen, viel Ueberwindung gekostet haben mag, und „Weihnachten 1842“ datirt ist, sich auch auf unsere Classiker beruft und auch weiterhin Goethe’s auf’s Ehrenvollste gedenkt, so glaube ich doch nicht, daß seine Sympathie für sie eine sehr bedeutende gewesen. Ja der mündlichen Unterhaltung kam er fast nie auf sie zu sprechen. Poesie und Alles, was Kunst heißt, ließen ihn kalt, waren ihm im äußersten Grade gleichgültig, erschienen ihm vielleicht sogar schädlich. Das vaterländische Interesse allein, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_198.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)