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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

auch dies nur in seinem und seiner Genossen Sinne, lag ihm am Herzen. Auch gegen die Dictatur, welche unsre Classiker ausüben, sträubte er sich; sie war ihm lästig und er glaubte in ihr ein seinen Zwecken feindseliges Element zu erkennen. Ich glaube, daß selbst Körner’s Kriegslieder bei ihm weniger in Gunst standen, als die seiner nächsten Genossen, wie die von Mill und Scholz, die ganz in seinem Ideenkreise befangen waren, und diese Ideen, ohne weitere ästhetische Zuthat „frisch, fröhlich und fromm“ aussprachen. So empfahl er mir auch als „Vorspruch“ (Motto) für meine Sammlung ein paar Strophen, die ihm bei seinem Abgange in Halle ein Commilitone in’s Stammbuch geschrieben hatte, aber in Gedanken wie Ausdruck höchst trivial waren, obschon Jahn selbst darin „Thatengeist“ zu finden vermeinte.

Was das von Jahn erwähnte bairische Bier betrifft, so ist es allerdings richtig, daß Jahn für gewöhnlich kein Bier, aber wohl Wein trank, und diesen mit Vergnügen, es auch recht gern sah, wenn man ihn damit bewirthete. In seiner Abneigung gegen das Bier lag übrigens eine Inconsequenz; denn da die alten Deutschen tüchtige Biertrinker waren und es Jahn daran lag, uns in Urdeutsche zu verwandeln, so hätte er im Grunde für dieses deutsche Nationalgetränk Propaganda machen müssen, denn wer gern Wein trinkt, trinkt auch wohl französische und wälsche Weine, und geräth so auf dem Wege des Stoffwechsels vielleicht auch auf französische und wälsche Ideen. Zudem mußte Jahn durch den Augenschein belehrt sein, daß die am meisten Bier trinkenden Stämme in Deutschland, wie z. B. die Baiern, auch die kräftigsten Körper haben, und diese den Deutschen anzuschaffen war ja Jahn’s höchstes Ziel. Aus diesem Grunde wüthete er in Berlin namentlich auch gegen den Genuß von Kuchen, weshalb auch alle Kuchenfrauen erbarmungslos von den Turnplätzen verjagt wurden, und das Wort „Kuchenbäcker“ als ein arges, in Schimpf und Glimpf zu rügendes Schimpfwort galt. W. Alexis, der selbst unter Jahn Turner gewesen, ohne jedoch zu seinen „Erwählten“ zu gehören, erzählt dies in seinem oben erwähnten Aufsatz, fügt aber weiter hinzu: „Die Einen sagen Jahn nach, daß er es im Altdeutschthum so weit gebracht, Eicheln zu rösten und zu essen, während Andere behaupteten, wenn es ungesehen geschehen könne, verspeise er alle Sorten Kuchen, besonders aber Kirschkuchen, mit ganz besonderem Appetit.“ Zur Erklärung des von Jahn in seinem Briefe gebrauchten Ausdruckes „Schriftscheu“ diene endlich noch, daß dieses Wort eine Verdeutschung des Wortes „Censur“ sein soll; hiernach würde man also statt „Censoren“ fortan, possirlich genug, „Schriftscheue“ zu sagen haben, oder statt Censoramt „Schriftscheuamt“, und statt censiren „schriftscheuen.“

Noch dürfte folgende Stelle aus seinem Briefe anführungswerth sein, weil sie seine Ansichten über die neueren politischen Dichter ausspricht: „Ueber die neuern Dichter, so die vaterländische Harfe stimmen, könnte man leicht versucht werden, hart zu urtheilen. Sie sind ungefüge in der Kraft, frostig, trippelnd wie auf gebohnten Dielen, und scheinen nothreif, von der Zeit aber nicht gezeitiget. Sie kennen nicht den Umkreis der Welt und was sich darin regt. G. Pfizer nehme ich aus. Der hat Wissenschaft und Geschichte. Unwissend darf Keiner weniger sein, als ein Dichter, und die großen sind auch Weise. Weil ihre Dichtungen um die Heimath einen echten Ring, eine wahre Heimskringla ziehen, leben sie aus einer Zeit in die andre, aus einem Volk in das andere, wie die Psalmen, Homer, Sakuntala und Goethe.“

Im mündlichen Verkehr vermied übrigens Jahn, von den mitlebenden Dichtern und Schriftstellern viel zu sprechen; er erwähnte selbst jenes Conflicts nicht, den er in Kösen mit einem damals renommirten Mitglied des jungen Deutschlands gehabt hatte. In dem engern Kreise der Bekannten Jahn’s erzählte man sich, mit welch cynischem Witz Jahn diesen Herrn abgetrumpft hatte, von dessen französischer Glasur über der hervorstechenden Unterlage deutscher Burschikosität er unangenehm berührt worden war. Auch in seinen politischen Ansichten zeigte sich Jahn im Ganzen sehr vorsichtig; möglich, daß er gegen seine Erwählten mit der Sprache offener herausgegangen sein mag. Von seinen früheren Excentricitäten war er wohl schon längst zurückgekommen, und gewiß dachte er in seinen späteren Jahren nicht mehr daran, von der Schweiz bis Holland eine 15 Meilen breite Wüste zu ziehen und innerhalb dieses Landgürtels Städte und Dörfer auszurotten, dafür aber Waldbäume und dichtes Gestrüpp und darin einen Park von Raubthieren anzulegen, und das Alles, um damit, wie er meinte, das alte Germanien von Frankreich möglichst abzusperren. Diesen monströsen Plan enthüllte Jahn wenigstens gegen Theodor Amadeus Hoffmann, welcher Referent in der Jahn’schen Sache war. Im Uebrigen darf man nicht glauben, daß es Jahn mit diesem Plane gerade sehr ernstlich gemeint habe; seine Phantasie gefiel sich in solchen Abenteuerlichkeiten und ungeheuerlichen Vorstellungen, und wenn die Ausführung des Plans in seine Macht gegeben worden wäre, würde er sich gewiß hundertmal bedacht haben, ehe er zu seiner Vollziehung geschritten wäre. Jahn war doch zu sehr Geschichtskundiger, um nicht überhaupt von den Entwickelungen der Zeit Lehre anzunehmen und sich gewissen Notwendigkeiten, wenn auch mit Widerstreben, zu beugen. Ein kaiserliches Haupt Deutschlands wäre ihm selbst im Nahmen constitutioneller Einrichtungen recht gewesen, so sehr ihm der moderne Constitutionalismus von Hause aus auch zuwider war. Im Ganzen lebte er zuletzt mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Als ich ihn in Gesellschaft mehrerer Leipziger Freunde eines Tages in Freiburg selbst besuchte, unterhielt er uns vorzüglich mit etymologischen Bemerkungen und historischen Erinnerungen, wozu die Gegend Freiburgs allerdings Stoff genug lieferte. Es ist mir, aufrichtig gesagt, davon nicht viel im Gedächtniß geblieben, eben so wenig von den wunderlichen Mittheilungen über die Einrichtung und besondern Zweckbestimmungen und Eigenschaften seines nach eigenem Plane erbauten Wohnhauses.

Zuletzt sah ich ihn dann noch zur Zeit des Parlaments in Frankfurt, wo er freilich eine etwas antediluvianische, mammuthartige Erscheinung abgab. Er kam zuweilen auf das Bureau der Deutschen Zeitung. Er selbst mochte sich in diesem Wirrwarr, den er allerdings, so viel es auf ihn ankam, noch vermehren half, nicht sehr behaglich fühlen; indeß hielt er es für Pflicht, auf seinem Posten auszuharren, selbst auf die Gefahr hin, von seiner eigenen Brut, den Turnern, wie er sich gegen mich ausdrückte, „gelegentlich gelyncht zu werden.“ Man hat ihm vorgeworfen, in den Septembertagen sich furchtsam versteckt zu haben; in der Paulskirche selbst und in seinem offenen an die Hanauer Turner gerichteten Sendschreiben zeigte er Unerschrockenheit und den Muth seiner Ueberzeugung. Lange wohlgesetzte Reden hielt er in der Paulskirche begreiflicherweise nicht, aber er fuhr zuweilen mit körnigen Schlagsentenzen voll gesunden Mutterwitzes drein. Gegen das Bescholtenheitsgesetz eiferte er, weil ja Alle bescholten seien, unter den Frauen z. B. diejenige, welche das letzte Wort nicht habe. Das Gelächter, welches durch diese Anspielung hervorgerufen wurde, bewies, daß der Stich gesessen hatte. Schon im Februar 1849 erklärte er offen, daß das Parlament überreif, todesmatt und verbraucht sei, daß es das Zutrauen von ganz Deutschland verloren habe und daß es am besten sei, nach Hause zu gehen. Einem Club gehörte er nicht an; er wollte als freier Mann seine Meinung sagen.

Obschon Enthusiast für die Kaiseridee, für deren Ausführung er übrigens wohl keine Hoffnung mehr hatte, stimmte er doch in sehr wesentlichen Punkten mit der Linken, z. B. für das allgemeine Wahlrecht, „weil,“ wie er sich ausdrückte, „es in der Welt dahin kommen müsse, daß Niemand sich scheuen dürfe, mit Ehren arm zu sein.“ Damit hätten sich die süddeutschen Turner begnügen lassen sollen. Was sie wollten, hat Jahn nie gewollt und konnte es nicht wollen; nicht er, sondern sie sind von seinen Grundsätzen abgewichen. Jahn, der eine autokratische Spitze auf demokratischer, volksthümlichen Grundlage wollte, war in seinen politischen Ansichten etwas unklar; aber seine persönlichen Eigenschaften, sein mildthätiger Sinn („wir Armen,“ pflegten die bedürftigen Leute in Freiburg zu sagen, „finden stets Hülfe bei ihm, obwohl er’s selbst braucht“), seine Verdienste um die Turnerei, sein vaterländisches Gemüth, seine Schicksale, seine grauen Haare hätten mehr Pietät verdient, jene Pietät, ohne die sich überhaupt nichts in’s Werk richten und erhalten läßt. Jahn sollte auch noch diese Erfahrung, vielleicht die härteste seines Lebens, machen. Wenn man will, kann man auch hierin eine geschichtliche Nemesis erkennen; denn man spielt eine politische Rolle, wie Jahn sie zu spielen unternahm, selten ungestraft. Jahn endete nicht gewaltsam, wie List, aber obschon er sich ruhig und still in Freiburg auslebte, ist sein Loos doch ein tragisches zu nennen, weil er in einen Kampf mit dämonischen Mächten gerieth, die er selbst heraufbeschworen hatte, und darin unterlag.


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