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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Je näher aber der Tag heranrückte, wo der verlängerte Waffenstillstand zu Ende ging und damit auch das beabsichtigte Friedenswerk aufgegeben werden mußte, mit desto ängstlicherer Spannung waren die Augen Aller auf die Maßregeln der österreichischen Regierung und auf den Mann gerichtet, der damals am Ruder des Staatsschiffes stand.

Wird Kaiser Franz seinem Schwiegersohne Napoleon den Krieg erklären und zu den Verbündeten stehen oder gegen diese die Waffen ergreifen, da sich die bisherige neutrale Stellung kaum länger behaupten ließ?

Diese Frage wurde überall und auch in dem Salon der Herzogin von Kurland mit dem lebendigsten Eifer abgehandelt; die entgegengesetzten Ansichten je nach Neigung und Interesse verfochten und angegriffen. Jedermann fühlte, daß von der Beantwortung derselben das Schicksal der Welt abhing. Die hohe Stellung und der mannichfache Einfluß, den die Personen eines derartigen Kreises ausübten, begnügte sich indeß nicht mit der bloßen Rolle interessanter Zuschauer, sondern ging zu selbstthätigem Eingreifen in das rollende Rad des Schicksals über und gerade die zartesten Hände erwiesen sich hier am mächtigsten und kühnsten. – Die reizende Katharina, Herzogin von Sagan, stand zu den bedeutendsten Diplomaten in naher Beziehung und verkehrte fortwährend mit den Leitern der verschiedenen Cabinete. Da sie für Theodor eine fast schwesterliche Freundschaft zeigte, so wurde auch er von ihr fortgezogen und in das Getriebe dieser geheimen diplomatischen Verwickelungen eingeweiht.

Die Herzogin übte eine fast magische Gewalt über jeden Mann, der in ihre Zauberkreise trat; sie war eins jener seltenen Weiber, das den schwärmenden Jüngling wie den erfahrenen Weltmenschen zu fesseln verstand. Groß und bedeutend selbst in ihren Verirrungen, bald weich und hingebend wie ein einfaches liebendes Mädchen, bald stark und energisch wie ein Held, mit warmem Herzen und kaltem Verstande, einer glühenden und mächtigen Phantasie, die jedoch von einer ehernen Willenskraft beherrscht wurde, mußte eine solche Frau gerade einem Dichter, wie Theodor Körner war, mehr als gewöhnliches Interesse auch ohne ihr Zuthun einflößen. Sie imponirte ihm mehr, als er sich es eingestehen wollte. Es war auch nicht Liebe, was er für sie empfand, aber ein Gefühl von höchster Verehrung und Bewunderung. In Toni sah er das holde Mädchen, die Braut seiner Wahl, sein künftiges Weib, während er zu der Herzogin wie zu einer Erscheinung aus einer anderen und höheren Welt emporschaute. Selbst die Rücksichtslosigkeit und der vertrauliche Ton, den sie zuweilen ihm gegenüber anschlug, verletzte ihn nicht. Es lag darin für ihn weit weniger ein Mangel an Weiblichkeit, als ein hoher, vornehmer Sinn, das Bewußtsein der ihr zustehenden Macht und Würde, womit sie sich über all’ die kleinlichen Formen und Beschränkungen des Lebens hinwegsetzte.

Wie Theodor von der aristokratischen Schönheit der Herzogin sich anziehen ließ, so interessirte sich diese für seine jugendliche Unbefangenheit, für die warme Huldigung, die er ihr ohne Rückhalt entgegentrug, und vor Allem für seinen Dichterruhm, welchen sie jedoch mehr nach dem äußeren Erfolge als nach dem inneren Werthe abzumessen sich versucht fand. Wie die meisten Frauen ihrer Art und ihres Standes schmeichelte ihr der Gedanke, den talentvollen Jüngling zu beschützen, zu fördern, ihm eine bestimmte Richtung zu geben und ihn mit sanfter Hand dem von ihr einseitig gesteckten Lebensziele entgegenzuführen. Im Verlaufe ihrer vielfachen Gespräche mit Körner hatte sie halb im Scherz, halb im Ernst, seine bisherige Laufbahn als eine verfehlte bezeichnet und auf eine andere hingewiesen, für die sie ihm ihre Hülfe und Unterstützung zusagte.

„Sie dürfen,“ sagte sie an diesem Abende, „nicht mehr in den Krieg zurückkehren; Sie müssen in unserer Nähe bleiben, wo sich ein angemessener und für Sie weit mehr passender Wirkungskreis eröffnen wird. Ich habe Ihretwegen an Metternich geschrieben und dieser ist gern bereit, Ihnen eine Stelle in seiner Kanzlei zu geben.“

„Ew. Durchlaucht vergessen, daß ich in preußischen Diensten als Soldat stehe. Wenn ich nicht zurückkehre, wird man mich als Deserteur behandeln.“

„Ich werde für Ihre ehrenvolle Entlassung Sorge tragen. Humboldt ist Ihr Freund; Sie können noch heute an ihn schreiben und um Ihren Abschied einkommen, den man Ihnen nicht verweigern wird.“

„Sie wissen, daß ich einen heiligen Schwur geleistet habe, mein Blut und Leben dem Vaterlande zu weihen.“

„Das sind überspannte Schwärmereien. Sie sind ein geborener Sachse, so wie ich eine gehorene Russin bin, die in Preußen ihre Güter hat und in Oesterreich wohnt. Wo ist denn dieses so oft genannte Vaterland des Deutschen? Ich denke, nur da, wo er seine Wirksamkeit und sein Talent am besten entfalten kann.“

„Es gibt aber noch ein deutsches Volk.“

„O ja!“ spottete die Herzogin. „Eine Nation, von den verschiedensten Interessen und kleinlichsten Bestrebungen zerrissen. Ich kenne Würtemberger, Baiern, Hessen und Rheinländer, die es mit Napoleon halten, Sachsen, welche mit eifersüchtigen Augen auf Preußen sehen und es anfeinden. Das heilige römisch-deutsche Reich ist eine Chimäre, das Phantasiegemälde einiger jugendlicher Phantasten. In der Wirklichkeit existirt es nirgends.“

„Es wird aus diesem Kampfe wie der Phönix aus seiner Asche auferstehen.“

„Ich will Ihnen diesen Glauben nicht nehmen, auch wenn ich ihn nicht theilen kann. Aber selbst vorausgesetzt, daß Sie Recht behalten, wer hindert Sie, dieser Idee in anderer Weise zu dienen, als mit den Waffen in der Hand? Jeder ungebildete Rekrut kann Ihre Stelle auf dem Schlachtfelde ausfüllen, Geister, wie der Ihrige, haben einen höheren Beruf, als mit der Faust darein zu schlagen. Ich will Ihnen eine würdigere Laufbahn eröffnen, wo Sie all’ Ihre schönen Gaben entfalten können. Nicht die Hand, sondern der Kopf regiert die Welt. Ich werde Sie in die Geheimnisse der Staatskunst einweihen und Ihnen die Augen öffnen. Sie sollen das innere Getriebe, die verborgenen Räder und Kräfte der Welt kennen lernen. Dazu scheinen Sie mir geboren, nicht zu dem Handwerk der Waffen, wozu nach meiner Ansicht der Dichter am wenigsten greifen sollte.“

„Und glauben Sie, daß der Dichter einen guten Diplomaten abgeben würde?“

„Warum nicht? Sie sehen noch die Diplomatie mit den Augen und dem Vorurtheile der Menge an. Lernen Sie erst die geheimnisvolle Kunst genauer kennen, beschäftigen Sie sich ernstlich mit ihr und Sie werden mehr Poesie daran finden, als Sie glauben. Ist es denn kein hoher Genuß, das Geschick der Völker zu leiten, große und unerwartete Ereignisse mit Bedacht und kluger Einsicht herbeizuführen, hoch über dem Troß zu stehen und von dieser Höhe herab die streitenden Kräfte mit scharfen Augen zu beobachten? Da gilt es, mit Feinheit den gordischen Knoten zu entwirren, den das gewaltsame Schwert des Kriegers nur zu durchhauen versteht, jeden Vortheil wahrzunehmen, die Schwächen des Gegners zu erspähen und zu benutzen, mit den kleinsten Mitteln oft die größten Erfolge herbeizuführen, durch Ueberredung zu siegen, durch den Geist zu triumphiren. Vor dem gewandten Odysseus und seinem Verstande muß der tapfere Achill verschwinden, der zwar zu kämpfen, aber nicht zu siegen wußte. Troja wäre nicht erobert worden und stände heute noch, wenn das hölzerne Pferd des Ulysses nicht gewesen wäre.“

„Ich fürchte, daß Ew. Durchlaucht eine zu günstige Meinung von meinem Talente haben,“ entgegnete Theodor, mehr geblendet von dem Geiste der Herzogen, als überzeugt.

„Gerade weil Sie ein Dichter sind, eignen Sie sich für diese Laufbahn. Die Zeit ist vorbei, wo blos trockene Geschäftsmänner und ergraute Actenmenschen im alten Schlendrian die Welt regieren können, die aus ihren Fugen zu weichen droht. Wir bedürfen jetzt der jugendlichen Kraft, selbst des Enthusiasmus, um das schwankende Gebäude zu stützen und das Gefallene wieder aufzurichten. Die alten Formen sind zerbrochen und eine neue Ordnung der Dinge bereitet sich vor. So sehr ich auch die französische Revolution hasse, so sehr ich in Napoleon auch nur den tyrannischen Emporkömmling verabscheue, so kann ich Beiden meine Bewunderung nicht versagen. Sie haben Großes gethan und das alternde Europa aus dem Todesschlafe geweckt. Die Völker sind erwacht und in den Adern des Staatslebens kreist ein neues, frisches Blut. Es ist mit uns eine Art von Verjüngungsproceß vorgegangen. Für solche Zeiten der allgemeinen Gährung taugen die alten Schläuche nichts mehr, wir müssen uns nach jüngeren Kräften umsehen, nach Elementen, die, dem Geiste der Zeit verwandt, ihn auch besser kennen und begreifen, als die verschimmelten Perrücken der alten Diplomatie. Das hat Metternich erkannt und darum einige hervorragende Schriftsteller, wie Adam Müller und den genialen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_550.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)