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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Gentz, in seine Nähe berufen. Er bietet auch Ihnen eine ähnliche Stellung, doch Sie müssen sich bald entschließen. In drei Tagen reise ich ab, bis dahin lassen Sie mich Ihren Entschluß wissen.“

„Die Wahl wird mir um so schwerer, da ich gern dem Vertrauen Ew. Durchlaucht und dem Wohlwollen des berühmten Staatsmannes entsprechen möchte.“

„Ich will jetzt nicht länger in Sie dringen. Ueberlegen Sie reiflich meinen Vorschlag; nur das Eine kann ich Ihnen noch sagen, daß Sie der Sache, die Sie mit so vielem Eifer verfolgen, durch Ihre Wahl nicht untreu werden. Der Beitritt Oesterreichs zu den Verbündeten steht in naher Aussicht. Meine Abreise hängt mit diesem wichtigen Ereignisse eng zusammen. Ich begebe mich auf mein Schloß Ratiborzig, wo sich der Kaiser Alexander, Humboldt. Nesselrode, Hardenberg und Metternich zu einer geheimen Zusammenkunft einfinden wollen, um über die zu treffenden Maßregeln zu berathen. Ich glaube, mich für den Erfolg verbürgen zu können, da ich die Gesinnungen des österreichischen Cabinetes kenne. Eine solche Gelegenheit, den Großen der Erde näher zu treten und die bedeutendsten Ereignisse unmittelbar zu beobachten, wird Ihnen nicht zum zweiten Male geboten werden. Sie können mich begleiten und ich werde Sie selbst Ihrem zukünftigen Berufe unter den glücklichsten Vorzeichen entgegenführen.“

Mit Ihrem bezauberndsten Lächeln wandte sich die Herzogin von dem Dichter zu der übrigen Gesellschaft und ließ ihn in Gedanken versunken zurück. Wohl lockte ihn ihr Anerbieten und die glänzende Aussicht, die sich vor ihm erschloß. Er schwankte, von den verschiedensten Empfindungen hin- und hergetrieben, indem bald sein jugendlicher Ehrgeiz, bald seine patriotische Liebe zu dem Vaterlande die Oberhand gewann. Unentschlossen, wohin er sich wenden sollte, nahm er geräuschlos Abschied von dem auserlesenen Kreise der Herzogin von Kurland. So geheim er auch seinen Rückzug antrat, so wurde er doch von den scharfen, strahlenden Augen der hohen Gönnerin bemerkt.

„Ich rechne,“ flüsterte sie im Vorbeistreifen mit einem viel verheißenden Blicke, „auf Ihre Begleitung nach Ratiborzig.“

Theodor verneigte sich, ohne ihr zu antworten, und stürzte aus dem Salon, dessen schwüle Atmosphäre ihn zu erdrücken drohte. Er befand sich in einer eigenthümlichen Aufregung, in die ihn die Unterhaltung mit der Herzogin versetzt hatte. Eine neue, ihm vollkommen unbekannte Welt hatte sich in verführerischem Lichte vor ihm aufgethan, Schönheit und Ruhm winkten ihm verlockend und füllten seine leicht entzündliche Phantasie mit ihren blendenden Bildern. Er hatte früher nie die Diplomatie und ihre Stellung von dem Standpunkte seiner hohen Freundin angesehen; ihre Ansichten waren so überraschend, ihre Auffassung so originell, daß seine bisherigen Vorurtheile dadurch erschüttert wurden; sie hatte den richtigen Ton angeschlagen, um ihn zu gewinnen, indem sie seine Einbildungskraft in Anspruch nahm, seine Neugierde reizte und den Ehrgeiz, der ihm nicht fehlte, stachelte. Er konnte die ihm gebotenen Vortheile nicht so leicht von der Hand weisen, obgleich eine innere Stimme in seinem Herzen mächtig dagegen sprach und die Erinnerung an seine Waffengefährten ihn wiederum in seinen Entschlüssen irre machte.

Was hätte er jetzt darum gegeben, seinen Vater oder einen Freund, wie Friesen, in der Nähe zu haben, um sich Rath bei ihnen zu erholen, da er sich selber nicht die nöthige Einsicht zutraute!

Von solchen Zweifeln gequält, langte er in seiner Wohnung an, wo ihn seine freundliche Wirthin erwartete. Sie händigte ihm zwei Briefe und ein kleines Paket ein, die so eben mit der Post für ihn angelangt waren, An der Aufschrift erkannte er die Hand seines Vaters und Toni’s Schrift. Schnell erbrach er den Brief der Eltern, von denen er schon längere Zeit ohne Nachricht geblieben war. Das Schreiben war zu seinem Erstaunen aus dem nahen Teplitz adressirt, wohin, wie er erst jetzt erfuhr, sein Vater vor den Nachstellungen der Franzosen geflüchtet war. Man hatte diesem den Eintritt des Sohnes in das preußische Heer und besonders den Anschluß an das Lützow’sche Freicorps zum Verbrechen gemacht, so daß er um seiner Sicherheit willen sich genöthigt sah, das ihm lieb gewordene Dresden heimlich zu verlassen und sein einträgliches Amt aufzugeben. Aus jeder Zeile des Biedermannes sprach sein patriotischer Sinn, sein Eifer für die deutsche Sache, seine Opferfähigkeit und sein Gottvertrauen. Nicht sein Schicksal ging ihm zu Herzen, sondern nur die Noth des Vaterlandes und die Sorge um dessen Befreiung von dem Joche der Unterdrücker. Keine Klage, kein Bedauern seiner Verluste enthielt der Brief; frei von jedem Egoismus freute er sich vielmehr, jetzt ungestört und ungehindert seiner Ueberzeugung leben zu dürfen, nachdem er aus dem ihm unter solchen Verhältnissen zur Last gewordenen sächsischen Staatsdienste geschieden war. Er schloß mit der ernsten Mahnung an den Sohn, bis ans Ende auszuharren und für die Erhebung des Vaterlandes mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft zu wirken. – Die sanfte Mutter hatte eine Einladung beigefügt, worin sie den Wunsch aussprach, ihren Theodor in Teplitz zu sehen und umarmen zu dürfen.

Toni’s Brief war, wie sie selber, gut und lieb; in jedem Worte spiegelte sich ihr kindlich frommer Sinn und ihre innige Zärtlichkeit. Aber noch mehr, als durch ihr Schreiben, wurde Theodor von dem Inhalte des Paketes entzückt, das ihr wohlgetroffenes Bild enthielt. Er stellte es vor sich hin und wurde nicht müde, diese sanften, unschuldigen Züge anzusehen, um die der wehmuthsvolle, milde Schmerz der Trennung von dem Geliebten zu schweben schien. Er konnte sich nicht enthalten, das meisterhaft gelungene Portrait zu küssen, es anzureden und all’ seine Gedanken ihm anzuvertrauen, als wenn Toni selbst zugegen gewesen wäre.

All’ sein Schwanken war nun beseitigt; sein Entschluß stand jetzt fest.

Am andern Morgen schrieb er an die Herzogin und lehnte in höflicher Form ihr wohlgemeintes Anerbieten ab. Zugleich nahm er in seinem Briefe von ihr Abschied, da er sich nicht den Muth zu traute, ihrer Ueberredungskraft zu widerstehen. Seine mütterliche Freundin, Elise von der Recke, suchte er dagegen auf, um ihr für die ihm erzeigte Pflege zu danken.

Noch an demselben Tage reiste er nach Teplitz, wo er seine Eltern fand. Dort ruhte er an dem Herzen seiner Mutter, die ihn, vor Freude weinend, in ihre Arme schloß, während der Vater mit Stolz auf den Sohn blickte, der alle seine Hoffnungen nicht nur erfüllt, sondern noch übertroffen hatte.




VII.

Unterdeß hatten die Zeitereignisse eine immer drohendere Gestalt angenommen; die Aussichten auf einen nahen Frieden waren durch die Prager Conferenz nicht verwirklicht worden, indem die angeknüpften Unterhandlungen vollkommen scheiterten, wie sich dies leicht voraussehen ließ.

Metternich war nach Dresden gereist und hatte daselbst seine berühmte Unterredung mit Napoleon gehabt, Der Kaiser empfing den österreichischen Staatsmann in seinem Arbeitscabinete; er bewohnte den Marcolinischen Palast auf der Brühlschen Terrasse in Dresden. Seine Stimmung war im höchsten Grade eine gereizte und er nahm keinen Anstand, dieselbe offen und ohne Schonung zu zeigen, Von seinen Spionen unterrichtet, war ihm die Zusammenkunft auf dem Schlosse Ratiborzig, wo die Herzogin von Sagan als Wirthin ihrer hohen Gäste Alles durch ihre Anmuth bezauberte, nicht verborgen geblieben. Napoleon trat Metternich mit gerunzelter Stirn und düsterer Laune entgegen. Es gehörte mehr als ein gewöhnlicher Muth dazu, den durchbohrenden Blick seiner blitzenden Augen zu ertragen, vor dem seine muthigsten Marschälle zitterten.

„Sie sind nun hier, Metternich,“ so empfing ihn der Kaiser, „sein Sie willkommen! Wenn Sie aber den Frieden wollen, warum kommen Sie so spät? Wir haben schon einen Monat verloren und Ihre Vermittelung wird schon allein dadurch feindselig, daß sie mit Absicht unthätig scheint. Sie lassen mich neuerdings die größten Anstrengungen machen und rechneten ohne Zweifel nicht auf so schnelle Ereignisse. Der Sieg hat diese kühnen Anstrengungen gekrönt. Ich gewinne zwei Schlachten. Meine Feinde stehen auf dem Punkte, von ihren Täuschungen zurückzukommen; auf einmal schlüpfen Sie zwischen uns hinein. Zu mir sprechen Sie von Waffenstillstand, zu jenen von Allianz, und Alles geht in Verwirrung über. Ohne Ihre unglückliche Dazwischenkunft würde jetzt der Friede zwischen mir und den Verbündeten geschlossen sein. Geben Sie nur zu, seit Oesterreich die Rolle des Vermittlers übernommen hat, steht es nicht mehr auf meiner Seite.“

„Die einzige Absicht,“ entgegnete Metternich würdevoll, „welche Seine Majestät der Kaiser, mein allergnädigster Herr, zu erreichen

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