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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

bei homöopathischer Behandlung Fieberanfälle mit Geduld ertrugen, werden ungeduldig, wenn nach baldiger Hebung des Fiebers durch allopathische Cur ihre wassersüchtig gedunsenen Beine neben großer Mattigkeit und bleicher, fahler Gesichtsfarbe, bei unnatürlich geschwollener Milz, nicht in Bälde weichen. Kleinköpfe mit wenig Verstandes-Gehirn und deshalb blödsinnig, soll der Arzt zu Genies machen, verfütterte, krummbeinige, bucklige Mädchen soll er zu Grazien umformen, alte runzlige, graue und kahlköpfige Schwächlinge soll er zu strammen Burschen mit schwarzen Lockenköpfen metamorphosiren; kurz, über die Anforderungen, welche an den Arzt gemacht werden, müßte derselbe sich eigentlich theils todtlachen, theils todtärgern, wenn er nicht auch gern lebte. – Sprechen wir nun von unserm Talge.

Von dem großen Heere der Hautkrankheiten, deren verschiedene Formen und Namen den jungen Mediciner fast zur Verzweiflung bringen, die für den alten Praktikus aber meistentheils aus einem scharfen Blute stammende trockene oder nässende Flechten sind, weichen die meisten dem Talge, wenigstens die mit abnormer Schweiß- und Hauttalgabsonderung, sowie die mit krankhaften, zumal verkrustenden Ausscheidungen auf rothem Boden. Versuchen wir’s, eine kurze Beschreibung der Hautübel zu geben, bei denen der Laie frischen Talg mit Erfolg anwenden kann.

Zuvörderst ist die übermäßige, gewöhnlich auf verminderter Absonderung der Talg- und Schweißdrüsen beruhende und in vielen Fällen von vernachlässigter Pflege der Haut (s. Gartenl. 1854. Nr. 46) abhängige Trockenheit der Haut zu erwähnen, welche mit dem unangenehmen Gefühle von Straffheit, Spannung und Sprödigkeit der Haut, sowie nicht selten mit Kältegefühl und feiner Abschilferung der Oberhaut verbunden, auftritt, zumal nach und bei chronischen Hautkrankheiten und nach örtlichen Schweißen. Hier wende man häufig Talgeinreibungen nach öfteren Waschungen mit warmem Seifenwasser an. Damen mit zarter, durch rauhe Luft leicht trocken und rissig werdender Haut, Wäscherinnen und Mägde, die viel mit Lauge und Seife umgehen, überhaupt Personen mit trocknen, rauhen, rissigen Händen müssen ihre Hände Abends tüchtig mit Talg einreiben und dann über Nacht einbinden oder mit weichledernen Handschuhen überziehen. Ebenso verlangt auch die Hauttrockenheit im Gesichte und auf dem Kopfe, wie überhaupt an allen übrigen Stellen des Körpers tüchtige Talgeinreibungen.

Bei übermäßiger Schweißabsonderung, sowohl bei allgemeiner, wie bei örtlicher, nützen ebenfalls Talgeinreibungen. Die erstere wird diesen Einreibungen natürlich nicht weichen können, wenn sie von innern, zumal fieberhaften Leiden veranlaßt wird. Oertliche, oft übelriechende Schweiße, wie der Füße und Achselhöhlen, die nicht selten auch Entzündung, Wundwerden der Haut und nach Eintrocknen des Schweißes Hart-, Spröde- und Rissigwerden derselben nach sich ziehen, werden durch häufige Talgeinreibungen, aber freilich neben gehörigem Reinhalten der schwitzenden Theile, bedeutend gelindert. Zur Mäßigung des üblen Geruches leistet das Auflegen von Leinwand, die mit Thon, oder mit Talg und Thon (zu gleichen Theilen) bestrichen oder mit einer mäßig sauren Weinsäurelösung (etwa 1 Theil Säure auf 10 Theile Wasser) getränkt und dann getrocknet ist, ausgezeichnete Dienste. – Der bisweilen in Begleitung heftiger, säuerlich riechender Schweiße erscheinende Schweiß-Friesel (Krystallfriesel: kleine halbkugelige, einem halben Stecknadelkopf oder Hirsekorn ähnliche, mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllte Bläschen), wenn er auf gerötheter Haut steht und Jucken oder Brennen erzeugt, ist ebenfalls mit Talgeinreibungen zu behandeln.

Wo und wie immer die Haut sich widernatürlich röthet (rosenartig entzündet), in größerer oder geringerer Ausdehnung, aus innern oder äußern Ursachen, da ist frischer Talg als milde Decke heilsam, denn er lindert den Schmerz und die Hitze und verhindert das Wund- und Geschwürigwerden an der entzündlichen Stelle. Aeußere directe Einflüsse, welche rosenartige Hautentzündung veranlassen können, sind: Reibungen benachbarter Hautstellen aneinander (besonders bei beleibten Personen, namentlich im Sommer), anhaltendes Liegen, Reiten und Gehen (Wolf, Aufliegen), Abfluß reizender Flüssigkeit aus den natürlichen Oeffnungen des Körpers, Einwirkung stärkerer Hitze. und Kältegrade, Insectenstiche. – Selbst bei ausgebreiteteren und fieberhaften Hautrosen, sogar beim Scharlach, ist das Auflegen und Aufstreichen kühlen frischen Talges auf die geröthete heiße Haut ein angenehmes Linderungsmittel.

Wenn sich bei fieberlosem Zustande auf gerötheter (entzündeter) Haut harte Knötchen (Papeln) oder mit heller Flüssigkeit gefüllte Bläschen und eiterhaltige Pusteln entwickeln, wenn diese Hauterhebungen, welche nicht selten zerplatzen, nebst ihrem Inhalte eintrocknen und schuppen, Grinde (Schorfe) oder Borken bilden, wenn sich unter den Schuppen und Grinden Feuchtigkeit, Eiter oder Jauche, sammelt, dann ist das öftere Bestreichen dieser kranken Hautstellen mit frischem Talge, nachdem sie von den aufsitzenden Schuppen und Grinden vorsichtig befreit und mit lauem Wasser abgetupft sind, heilsamer als alle andern örtlichen Behandlungsweisen. Nochmals sei es aber gesagt: stets müssen die sich bildenden Schuppen und Schorfe sanft abgehoben werden, bevor man den Talg aufstreicht. – Hierher gehören nun vorzugsweise die sogen. flechtenartigen Ausschlagsformen, welche ihren Namen „Flechten“ von der äußern Aehnlichkeit mit manchen Baum- und Steinflechten haben und nach der Beschaffenheit ihres Krankheitsproductes in trockene und nässende (Salzflüsse) geschieden, nach der Verwandlung des (in Knötchen-, Bläschen-, Eiterblasen- oder Knotenform) Abgeschiedenen aber als Kleien-, Schuppen-, Borken- und fressende Flechten bezeichnet werden. Alle diese Ausschläge haben mit einander gemein, daß sie größere, schleichend entzündete, rothe oder braunröthliche, mit Ausschwitzungsproducten, besonders Schuppen oder Borken, bedeckte Hautflecke bilden, die sich an den Rändern allmählich weiter ausbreiten und so gleichsam über die Haut fortkriechen. Die behaarte Haut des Kopfes, sowie das Gesicht wird häufig, zumal bei Kindern (s. Gartenl. 1858. Nr. 41.), der Sitz solcher Ausschläge.

Das Hautjucken, welches äußerst peinigend sein kann, sich entweder nur auf einzelne Stellen (besonders gern auf die Umgebung der natürlichen Oeffnungen des Körpers) beschränkt oder über die ganze Hautoberfläche ausdehnt und bald mit Ausschlägen (Juckknötchen, Flechten), bald ohne solche einhergeht, wird durch den frischen Talg fast stets gemildert und gehoben. Natürlich müßte, wenn das Jucken von Ungeziefer und überhaupt von Unreinlichkeit veranlaßt wurde, zunächst Entfernung und Tödtung des Ungeziefers (durch Quecksilbersalbe, grüne Seife, Anis- und Terpentinöl, Haarabschneiden), sowie Reinigung der Haut durch fleißig wiederholte Waschungen und Bäder (mit Abreibung mit grüner Seife), Dampfbäder mit tüchtigem Einseifen und Abreiben der Haut und reine Bekleidung stattfinden.

Bei den im Gesichte, besonders Erwachsener, vorkommenden Blüthen (Liebesblüthchen, Finnen, Hautfinnen, Mitesser, Talg- oder Schmeerknötchen) ist die Anwendung des frischen Talges ebenfalls von Nutzen. Man streiche denselben Abends ziemlich fett auf und wlsche dann denselben des Morgens mit weicher Leinwand von der Haut ab. Ueberhaupt streiche man des Tages die Gesichtshaut öfters mit einem weichen Leinwandläppchen ab und reinige sie nur durch Abtupfen mit lauem weichem (Regen- oder Fluß-) Wasser, nicht aber durch Abreibungen mit Seife und heißem oder kaltem Wasser.

Bei Verbrennungen der Haut, mögen diese nun oberflächlich sein und nur Entzündung (rothe, heiße, schmerzende Stellen) erzeugt oder tiefer greifend Blasen, Schorfe und wunde Stellen hervorgerufen haben, bei ihnen ist das Auflegen von feinen Leinwandläppchen, die fett mit kühlem frischem Talge bestrichen sind, mehr werth als der Gebrauch von Brandsalben. Vorher kann aber der Schmerz und die Hitze durch Kälte (kaltes Wasser, Schnee, Eis) gemindert werden. – Das Aufspringen erfrorner Glieder kann auch durch den Talg geheilt und verhütet werden, nur muß man denselben recht fleißig und zeitig genug einreiben; am besten ist es, wenn der erfrorene Theil eine Zeit lang durch eine Talgdecke von der Luft und Kälte abgeschlossen wird.

Oberflächliche Eiterungen und Verschwärungen der Haut heilen, bei gehöriger Reinigung durch öfteres Abspülen mit lauem Wasser, sehr gut unter betalgten Leinwandläppchen. Nur müssen auch hier, wie bei den Hautausschlägen mit Schuppen und Grinden, die Schorfe rings um und auf den wunden Stellen fleiß und vorsichtig entfernt werden.

Manche glänzende Cur habe ich nur mit Hülfe des frischen Talges gemacht, aber Anerkennung werden trotzdem diese Curen beim Geheilten ebensowenig finden, wie bei den Lesern der Werth des Talges überhaupt, denn „Talg ist doch ein zu ordinäres Mittel“. Nun, da versetze man ihn mit etwas homöopathischem Hokuspokus oder hole sich denselben aus der Apotheke als Löwen-, Bären-, Dachs-, Hunde- oder vielleicht auch Eselsfett.

Bock.




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