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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

angerufen wurde, die öffentliche Aufmerksamkeit auch auf die Privat-Irrenanstalten hinlenke, welche in Deutschland und namentlich am Rheine bestehen, um nach meinem Theile dazu anzuregen, daß auch bei uns im Wege der Gesetzgebung in geeigneter Weise eingeschritten werde; ich erachte es als den heiligsten Beruf der Presse, dem menschlichen Elende, das sich gegen seine Peiniger selbst zu vertheidigen außer Stande ist, Worte zu leihen und die Schmerzen und die Verzweiflung von den Räumen abzuwenden, in welche sterbliche Augen nur sehr spärlich zu dringen vermögen. Die in Europa weitverbreitete Gartenlaube ist ein passendes Organ dazu.

Es ist bereits vor mir in diesen Blättern nachgewiesen worden, wie man in früheren Zeiten Störungen des Geisteslebens als unmittelbar von Gott über den Menschen verhängte Heimsuchungen ansah, und wie die Geisteskranken in unglaublicher Gefühllosigkeit als nichtsnutzige Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, deren sich diese entledigen müsse, je nach den Aeußerungen ihres Uebels entweder hülflos verstoßen oder, in Ketten und Bande geschlagen, Gefangenen und Verbrechern beigesellt wurden.

Diese unbarmherzige Behandlung der Unglücklichen dauerte bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts, wo namentlich Pinel in Paris seine Stimme laut erhob, und trotz der entfesselten Leidenschaften eines dämonischen Geistes der damaligen Zeit unter den Wehen der Geburt der Menschenrechte die Anerkennung jener der Geisteskranken mit Erfolg erkämpfte. Chiarugi in Italien, Crichton in England, Hoffbauer und Reil in Deutschland folgten dem edlen Beispiele, und bald erkannten die Lenker der Staaten die unabweisbare Pflicht, zu Errichtung neuer und zu wesentlicher Verbesserung der vorhandenen Irrenanstalten Fürsorge zu treffen, so daß bei dem hierdurch geweckten Interesse dieser Zweig der ärztlichen Wissenschaft, durch Männer wie Haslam, Pariset, Heinroth, Nasse, Bird und vor Allem durch den vor Kurzem heimgerufenen trefflichen Jacobi mächtig gefördert, mit vollem Rechte den übrigen medicinischen Doctrinen an die Seite zu stellen ist.

Es bedarf nicht erst der Erwähnung, wie wenig der in die geheime Werkstätte der Seelenthätigkeit Uneingeweihte berufen und befähigt sein kann, die Behandlung der Irren im Allgemeinen einer gerechten Beurtheilung zu unterwerfen; vorzugsweise bei Geistesstörungen wird Alter, Stand, Geschlecht und die verlebte Zeit für eine rationelle Behandlung maßgebend, und häufig der Körper der einzige Weg sein, auf welchem Einflüsse auf die Seele zu erreichen sind. Als Nichtarzt bescheide ich mich daher in dieser Beziehung und überlasse das Für und Wider den Männern vom Fache. Ich werde mich vielmehr bei dieser Besprechung darauf beschränken, die bezüglich solcher Anstalten bei uns bestehenden Gesetze in Anknüpfung der oben erwähnten beiden Fälle einer Erörterung zu unterwerfen, um zu dem Schlusse zu gelangen, wie unzureichend dieselben in aller und jeder Beziehung sind.

Wirkliche Seelenkrankheiten, vorübergehende wie dauernde, bedingen die Unfreiheit des Willens, und letztere beschränkt die Zurechnungsfähigkeit oder hebt sie ganz oder zeitweise auf. Es wird deshalb über den Nutzen und über die dringende Nothwendigkeit solcher Anstalten der Pflege füglich keine Frage sein. Ein schrecklicheres Schicksal aber, als entweder völlig geistesgesund in eine solche Anstalt gebracht und als irre behandelt zu werden, oder als wirklich geistesirre hülflos auf dem Schmerzenslager zu sein, abgeschnitten und verlassen von der Außenwelt, wehrlos gegenüber hartherzigen Wächtern, läßt sich überhaupt nicht denken. Inmitten einer christlichen Gemeinschaft und überhaupt in einem gesitteten Lande sollte dies gar nicht vorkommen können; doppelte Liebe und Sorgfalt für diese Unglücklichen müßte als allgemeine Pflicht erkannt und geübt werden. Allein die große Schwierigkeit geeigneter staatlicher Einwirkung zeigt sich erst, wenn auf dem Gebiete der Gesetzgebung, namentlich für Privat-Irrenanstalten, in welche nur Unheilbare aufgenommen werden, Anordnungen der Ueberwachung getroffen werden sollen, und bei der Wahl zweckmäßiger Mittel des Schutzes überhaupt; denn das „Zuviel“ und „Zuwenig“ ist vom Uebel, obschon für die Gesetzgebung bei diesen Privatinstituten der Gesichtspunkt maßgebend sein sollte, daß bei deren Errichtung selten humane Rücksichten, vielmehr weit häufiger der Eigennutz und pecuniäre Vortheile das vorwiegende Motiv abgeben. Ehrenvolle Ausnahmen werden allerdings auch hierbei, wenn auch selten, anzutreffen sein.

Die leitenden Grundsätze über die Irrenanstalten überhaupt finden sich für den preußischen Staat in der Cabinetsordre vom 5. April 1804 ausgesprochen. Es verfügt dieses Gesetz, und zwar 1) daß der Aufnahme in eine Irrenanstalt ein ärztliches Attest über die Geisteskrankheit, sei es Behufs Heilung des Kranken, sei es zur Aufbewahrung des Unheilbaren, vorhergehen muß, und daß von der erfolgten Aufnahme die Staatsbehörde Seitens der Anstalt sofort in Kenntniß zu setzen ist; 2) daß ein sorgfältiges gerichtliches Verfahren, das sogenannte Interdictions-Verfahren, alsbald der Aufnahme folgen soll, wie es nach den Worten der Cabinetsordre „die gesetzliche Sicherheit und Freiheit der Person“ erfordert. Wesentlich zur Ausführung dieser Grundsätze folgten eine Reihe von Anordnungen der verschiedenen Ministerien, namentlich jene vom 25. Nov. 1825 und 26. März 1827, modificirt durch das Ministerial-Rescript vom 13. Decbr. 1827, ferner vom 25. März 1828, 9. April 1838, 6. Juli 1838, 21. Septbr. 1841, 11. Octbr. 1842, sodann der Landtagsabschied vom 27. Decbr. 1845, und die Ministerial-Rescripte vom 29. Octbr. 1847 und 22. Octbr. 1855.

Muß es überhaupt bedenklich erscheinen, daß zuerst ein Staatsangehöriger in eine Irrenanstalt gebracht und hinterher das gerichtliche Verfahren eingeleitet wird, um festzustellen, ob er auch geistesirre sei, so vermögen alle diese Gesetze, welche hauptsächlich das Interdictions-Verfahren regeln, selbst die nächste Gefahr nicht zu beseitigen, daß völlig vernünftige Menschen in eine Irrenanstalt untergebracht und so lange festgehalten werden, bis ein guter Stern oder das Ergebniß des Interdictions-Verfahrens sie erlöst; denn zur Aufnahme ist gesetzlich einzig und allein ein ärztliches Attest, ausgestellt von zwei praktischen Aerzten oder dem Kreisphysikus, ausreichend. Ich will dabei keineswegs die Gewissenlosigkeit oder die grobe Pflichtverletzung eines Arztes bei Ausstellung eines Attestes oder sonstige verwerfliche Motive der Angehörigen annehmen, um sich vermittels der Interdiction der Verwaltung des Vermögens zu bemächtigen; ich unterstelle blos eine irrige Beurtheilung des Arztes, eine Täuschung seiner selbst über die Natur des augenblicklichen Geisteszustandes des Kranken – und wo bleibt in solchen Fällen der Schutz des Gesetzes? Wende man nicht ein, es liege dies außer dem Bereiche der Möglichkeit; die beiden zu meiner Kenntniß gelangten Fälle widersprechen dieser Annahme in sehr bedenklicher Weise.

Ein angesehener Kaufmann der hiesigen Stadt, Franz Heesmann, lebte mit seiner Frau in Unfrieden; die Eifersucht, anscheinend grundlos, führte zu heftigen Auftritten, und er vergaß sich so weit, daß er ihr in Gegenwart der Hausgenossen einen Schlag versetzte. Am andern Tage erschien ein Gensd’arm, und beschied ihn zur Polizeibehörde. Arglos bestieg er mit demselben einen bereit stehenden Wagen, dessen Führer indeß, statt zur Polizei, in den umschlossenen Garten der Privat-Irrenanstalt fuhr, welche auf der Lindenburg in der Nähe Kölns für Unheilbare besteht. Dort wurde er festgehalten, kein Bitten, kein Drohen, keine Betheuerung, er sei nicht geisteskrank, konnte den Vorsteher der Anstalt bewegen, ihn zu entlassen; im Gegentheil wurde Letzteres für das gewöhnliche Anzeichen der Verrücktheit angesehen, und ihm seine Zelle angewiesen.

Sieben volle Wochen brachte er in der entsetzlichen Umgebung wirklich Wahnsinniger zu, unter Seelenleiden, die er, wie er versicherte, nicht zu beschreiben vermöge. Der Verkehr mit den in der Stadt wohnenden Angehörigen war unter strenger Strafe verboten, das Schreiben nicht erlaubt; nur der Zufall fügte es, daß einer derselben Kenntniß von seinem Aufenthalte erhielt, und mir unter der Versicherung Mittheilung machte, daß jener so wenig geistesirre sei, als er selbst. Die hierauf eingeleiteten Schritte führten zu seiner sofortigen Entlassung, wobei es sich ergab, daß bereits für ein Vierteljahr vorausbezahlt war. Der Vorsteher rechtfertigte die Aufnahme in seine Anstalt durch Vorlegung eines ärztlichen Attestes, in welchem derselbe als verrückt und unheilbar erklärt war. Ich meinestheils konnte bei wiederholten Unterredungen mit ihm auch nicht eine Spur von Geistesstörung wahrnehmen; namentlich verbreitete er sich über die Einzelheiten und über die Gründe seines ehelichen Zwistes mit völliger Unbefangenheit und Ruhe. Ein nach Verlauf von mehr als einem Jahre gemachter nochmaliger Versuch, ihn auf Grund des früheren Attestes in einer andern Irrenanstalt einzusperren, wurde, nachdem er, neuerdings festgenommen, zwei Anstalten, in Siegeburg und Endenich, vorgeführt worden, die

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