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Thürmen, Wällen und Zugbrücken erhob; jetzt ein öder Trümmerhaufen, aber noch immer die Stätte, welche jedem Deutschen heilig ist und bleibt. Ulrich wurde auf dem Schlosse Steckelberg am 20. April 1488 geboren. Der lebhafte Knabe zeigte gute Anlagen und große Lernbegierde, so daß seine frommen Eltern beschlossen, ihn dem geistlichen Stande zu widmen. Sie brachten den zehnjährigen Knaben nach der einst berühmten Klosterschule Fulda, wo er einen guten Unterricht genoß und bedeutende Fortschritte machte. Aber das ruhige und beschauliche Mönchsleben sagte seiner feurigen und unstäten Natur am wenigsten zu; sein ritterlicher Sinn, der ihm angeboren war, sträubte sich dagegen, und eine Ahnung, daß er zu Höherem geboren sei, als Messe zu lesen und die Hora zu singen, trieb ihn der Freiheit in die Arme. Noch bevor er das für ewig bindende Gelübde abgelegt, entfloh er 1504 nach Erfurt. Hier fand er Gönner, die ihn unterstützten, Freunde, welche ihn in seinen Studien förderten, Lehrer, die seinem aufstrebenden Geiste eine bestimmte Richtung gaben.

Damals ging ihm zuerst das neue Licht des Humanismus auf; der Geist des classischen Alterthums wirkte, wie auf so viele seiner Zeitgenossen, auch auf ihn befruchtend, die Nebel der scholastischen Philosophie verscheuchend und die Bande des religiösen Vorurtheils zersprengend. Es war die schöne Blüthenzeit der wiedererwachten Wissenschaft, das Auferstehungsfest der griechischen und römischen Bildung, welche auf den jungfräulichen Boden deutscher Tiefe und sittlichen Ernstes fiel. Jünglinge und Männer schwelgten an dem Busen der Weisheitsgöttin und badeten in dem Strome der ewigen Schönheit, der aus dem glücklichen Hellas ihnen entgegen floß. Mit gleicher Liebe umfaßten sie den christlichen Himmel und den heidnischen Olymp, Götter und Heilige, Apostel und Philosophen.

In solcher Schule und Umgebung lebte und strebte Hutten auf der Universität zu Erfurt, bis er seinem geliebten Lehrer Rhagius auf die durch den Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg gestiftete neue Hochschule zu Frankfurt an der Oder folgte, wo ihm der edle Ritter Eitelwolf von Stein reichliche Unterstützungen zufließen ließ. Aber auch hier faßte ihn jene unwiderstehliche Wanderlust, die ihn von Ort zu Ort, von Land zu Land ohne Ruh und Rast trieb. Wie die fahrenden Ritter einer früheren Zeit, zog auch er auf Abenteuer aus, lockte es auch ihn, große und rühmliche Thaten zu Ehren seiner Dame zu bestehen, welche die Göttin der Wissenschaft war. Das ritterliche Blut regte sich in ihm und reizte ihn zu Kampf und Streit, bald mit der Lanze und dem Schwert, bald mit der spitzen Feder und der tönenden Lyra. So kam er wandernd und von jener Krankheit gequält, welche als pestartige Seuche damals zuerst in Europa erschienen war und keineswegs, wie heut, für die Folge schimpflicher Ausschweifungen gehalten wurde, nach dem nördlichen Deutschland. In Greifswalde und Rostock fand der junge Gelehrte vielfache Beachtung und gastliche Aufnahme, aber auch mancherlei Unannehmlichkeiten von Seiten einer habsüchtigen Familie, die ihn wegen einer Schuld, welche er nicht sogleich zu bezahlen im Stande war, auf offener Straße von bewaffneten Dienern überfallen und ausplündern ließ. Hutten rächte sich durch ein Gedicht, worin er seine Gegner der Verachtung preisgab. Jene Gewaltthat hatte ihn zum Dichter gemacht, das erlittene Unrecht ihn zum Mann gereift. Von nun an stand sein Geist im Dienste des unterdrückten Rechts gegen die Tyrannei der Mächtigen.

Von Wittenberg, wohin er sich zur Vollendung seiner humanistischen Studien begeben, knüpfte der verlorene Sohn wieder mit der Heimath an, indem er durch Vermittlung eines Freundes seinem Vater schrieb. Dieser erklärte sich bereit, seine Flucht ihm zu verzeihen, wenn Hutten zurückkehren, seine Narrenspossen, worunter die Wissenschaften und die Poesie verstanden wurden, für immer aufgeben und sich den einträglichen Rechtsstudien widmen wollte. Unter diesen Bedingungen verzichtete der praktische Vater auf seinen früheren Lieblingswunsch, den Sohn als Mönch zu sehen.

Kindliche Liebe und augenblickliche Geldnoth ließen ihn die Sache annehmbar finden; er kehrte in die Heimath zurück, wo er sich mit den Eltern aussöhnte; hierauf reiste er nach der berühmten Universitätsstadt Pavia in Italien, um unter Anleitung eines dort angesehenen Verwandten das römische Recht zu studiren. Bald nach seiner Ankunft kam es jedoch zum Kriege zwischen dem Kaiser Max und den Franzosen, welche Pavia besetzt hielten. Die vom Papst herbeigerufenen Schweizer erstürmten die Stadt und nahmen auch Hutten, trotzdem er ein Deutscher war, gefangen. Nur durch Aufopferung seiner ganzen Habe konnte er sich von ihnen loskaufen, so daß ihm nichts übrig blieb, als selbst Kriegsdienste zu nehmen, um nur sein Leben zu fristen.

Endlich gelang es ihm, wieder in die Heimath, wenn auch krank und elend, zurückzukehren. Leider entsprach der ihm zu Theil gewordene Empfang im elterlichen Hause nicht seinen Erwartungen. Der Vater war besonders unzufrieden, daß der Sohn ohne den gehofften Titel eines Doctor juris von der Universität gekommen war; seine begründeten Entschuldigungen wurden nicht gehört, und er selbst für einen ausgemachten Thunichtgut erklärt. Besser wußte sein alter Gönner, der Ritter Eitelwolf von Stein, das Talent und die Kenntnisse des jungen Gelehrten zu würdigen; er empfahl ihn nach Mainz dem neu erwählten Erzbischof Albrecht von Brandenburg, welcher ebenfalls daselbst eine Hochschule zu stiften beabsichtigte und zu diesem Behufe viele tüchtige Männer an sich zog. Auf den Rath seines Beschützers richtete Hutten zur Feier des Regierungsantritts ein Gelegenheitsgedicht an den Erzbischof, wofür ihm dieser zweihundert Goldgulden auszahlen ließ und das Versprechen gab, ihn nach vollendeten Studien an seinem Hofe anzustellen. In Mainz war es auch, wo Hutten die Bekanntschaft des berühmten Erasmus machte, für den er als das eigentliche Haupt der humanistischen Richtung eine fast religiöse Verehrung empfand. Leider starb bald darauf der gute Eitelwolf, mit ihm sanken auch Hutten’s Aussichten in das Grab.

Seine fortwährende Kränklichkeit zwang ihn, das Bad Ems zu besuchen; hier erhielt er die Nachricht von der grausamen Ermordung seines Vetters Hans von Hutten durch den Herzog Ulrich von Würtemberg, dessen Freund und Stallmeister jener war. Der Grund dieser furchtbaren That, die selbst in jener gewaltthätigen Zeit das größte Aufsehen erregte, war die Liebe des Fürsten zu der schönen Ursula, der Gattin seines Dieners. Weil dieser, um die Ehre seiner Frau besorgt auf den Rath seiner deshalb befragten Verwandten den Hof verlassen wollte, überfiel der jähzornige Herr auf der Jagd seinen früheren Günstling, indem er den Arglosen niederstach. Dem Morde fügte der Herzog noch eine Schmach hinzu; er schlang dem Leichnam einen Gürtel um den Hals und befestigte ihn an den zu Häupten des Todten in die Erde gestoßenen Degen, als hätte er nur ein gerechtes und ihm zustehendes Gericht an einem überwiesenen Verbrecher vollstreckt.

Die hinterlistige That schrie um Rache, die ganze Familie der Edlen von Hutten war beschimpft und tief verletzt; der alte Groll zwischen Fürsten und Adel, die sich gegenseitig mit eifersüchtigen Augen bewachten, loderte von Neuem hoch empor. Auch Ulrich fühlte die den Seinigen zugefügte Schmach und vergaß darüber die ihm oft zu Theil gewordene Geringschätzung seiner eigenen Verwandten. Während diese sich zum Kampfe gegen den Herzog rüsteten, griff er zu der Feder und schlug dem Mörder durch seine an die Öffentlichkeit gerichtete Anklage die tiefsten Wunden. Ohne Scheu und Menschenfurcht brandmarkte er die Stirn des fürstlichen Verbrechers in einer Reihe von Schriften, welche gelesen, bewundert und durch ganz Deutschland verbreitet wurden, so daß Kaiser und Reich sich bewogen fanden, den Herzog zur Verantwortung zu ziehen.

Nachdem Hutten so der Familienehre Genüge gethan und dadurch wieder in der Achtung seines unzufriedenen Vaters gestiegen war, wartete er nicht die ferneren Folgen seines kühnen Schrittes ab, indem ihm vor allen Dingen seine weitere humanistische Bildung am Herzen lag, die er in Italien zu erlangen hoffte. Diesmal war sein Vater um so mehr mit der Reise einverstanden, da er ganz gewiß hoffte, den Sohn mit dem juristischen Doctorhut bei seiner Rückkehr zu begrüßen. Hutten selbst hegte jedoch über das damals allgemein verbreitete römische Recht, dessen Lehrer und Kenner mit den höchsten Würden und Reichthümern überschüttet wurden, ganz abweichende Ansichten. Er erkannte zeitig genug die damit verbundenen Uebelstände. „Als hätte es nicht besser um Deutschland gestanden, ehe diese Menschen (Juristen) aufkamen mit ihren vielen Bücherbänden; dazumal, als hier nach Tacitus gute Sitten noch mehr galten als anderswo geschriebene Gesetze! Oder als ob noch jetzt nicht jedes Gemeinwesen um so besser verwaltet wäre, je weiter diese Glossatoren davon entfernt sind! Da sehe nur Einer jene Sachsen am baltischen Meere, wie sie ohne Aufschub und ohne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_582.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)