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und unverantwortlich ist es, ihn, den Bescheidensten der Menschen, als das Prototyp jener selbstgefälligen Gelehrten zu bezeichnen, welche sich so gern die Eigentlichen, die Edlen, die besten Männer nannten.

Als nun der Bundestag wieder auferstand von den Todten und unsere Flotte unter den Hammer brachte, als Dahlmann sein liebes Schleswig-Holsten verrathen und die besten Früchte der deutschen Bewegung im Brühl’schen Palaste zu Dresden als schätzbares Material vermodern sah, da verzweifelte er an der Lebenskraft und Lebenswürdigkeit der Kleinstaaten. „Sollte diese große Bewegung an dem Uebermuthe der Könige von Napoleons Gnaden scheitern und das Heil unseres Volks sich noch einmal zur Nebensache verflüchtigen, so hemmt, wenn es abermals fluthet, kein Damm die wilden Gewässer mehr, und der Wanderer wird die Reste der alten deutschen Monarchie in den Grabgewölben ihrer Dynastieen aufsuchen müssen.“ Um so fester hielt er bis zum Tode den Glauben an den Beruf des deutschen Großstaates. „Uns thut ein Herrscherhaus noth, welches gänzlich sich unserem Deutschland widmet. An den Hohenzollern Preußens können wir ein solches Herrscherhaus nicht nur haben, sondern mit dem schlechtesten und dem besten Willen kann es kein Sterblicher dahin bringen, daß wir es nicht an ihm haben. Es ist für Deutschland gar keine Zukunft möglich ohne Preußen.“

Zu retten, was zu retten war, ging er nach Berlin und stritt in der ersten Kammer für den Ausbau der Verfassung, für das volle Steuerbewilligungsrecht des Unterhauses und für das Fernhalten des Junkerthums aus dem Oberhause. –

Das jüngste Jahrzehnt verbrachte er wieder in Bonn. Der Staat des Herrn von Manteuffel bot seinem öffentlichen Wirken keine Stätte. Noch immer las er vor vollen Bänken in dem großen Saale Nr. XI., der die Ausschau bietet über die Baumgänge des Hofgartens hinweg nach den Gipfeln des Siebengebirges und vor Zeiten wiederhallte von dem festlichen Lärme des geistlichen Hofes von Köln. Ungebeugt, das Haar noch dunkel, die ernsten, ja grimmigen Züge fast bewegungslos, bis dann und wann ein leichtes Heben der Hand, ein Blitzen des Auges die innere Erregung bekundete – so stand er vor uns. Kein falsches Pathos, keine jener kleinen Künste, welche den Hörer mehr reizen als fesseln. Eine ruhige, gleichmäßige Rede, langsam, doch sicher ergreifend durch den Reichthum der Gedanken und die Plastik der Schilderung, nicht mit Stoff überladen, aber ein festes Gefüge der entscheidenden Thatsachen und Gesichtspunkte, das häuslicher Fleiß des Hörers leicht ausfüllen mochte. Und was mehr ist, in jedem Worte Muth und Kraft und Geistesklarheit. Mit bewußter Absicht führte er seine Geschichtsvorträge gern bis in die neueste Zeit herab, um die Jugend zu lehren die Wahrheit zu ertragen. Gar Manchem seiner Schüler wird es noch heute im Herzen nachklingen, wie Dahlmann – im Winter 1852, in den wildesten Tagen der Reaction – seine deutsche Geschichte mir der Schilderung der Dresdner Conferenzen schloß: „Seitdem sind alle Hoffnungen auf eine Einigung Deutschlands gescheitert, und wie der Rechtszustand darniederliegt, davon geben Kurhessen und Schleswig-Holstein ein Zeugniß. Doch genug, übergenug, ich schließe.“ Der regsamere Theil der Studentenschaft brachte ihm noch die alte Liebe entgegen: unsere Burschenschaft ist nie rheinaufwärts zum Commerse gefahren, ohne vor Dahlmann’s Hause die Fahne zu schwenken und ihm ein Hoch zu bringen. Seine letzten Jahre waren sehr trübe, verbittert durch das Elend des Vaterlandes und durch schwere persönliche Erlebnisse. Von den Wenigen, denen er das Glück seiner Freundschaft und den Einblick gönnte in sein reiches Herz, starb ein guter Theil hinweg. Auch Frau und Tochter wurden ihm entrissen; auch Otto Abel starb, der junge, vielverheißende schwäbische Historiker, der in Dahlmann’s Hause fast wie ein Sohn verkehrte; er rieb sich auf, weil sein Traum von der Kaiserherrlichkeit der Hohenzollern nimmer Wahrheit werden wollte. – Am 5. December ist Dahlmann gestorben. Er ruht auf jenem schönen Friedhofe, wo dem Römer Niebuhr sein König ein römisches Denkmal erbaute, wo neben der alten Deutschordenskapelle die Größen des neuen Bonn, die Schlegel, Bunsen, Arndt, die letzte Stätte gefunden.

Fast jeder vielgenannte Mann hat einen Doppelgänger in der öffentlichen Meinung. Unfähig, einen bedeutenden Charakter als Ganzes zu begreifen, haftet die Menge gern an einer auffälligen Aeußerlichkeit; und findet sich gar ein müßiger Kopf, jene wahre oder unwahre Eigenheit mit beißendem Witze zu verspotten, so entsteht ein Zerrbild, das kein Reden mehr aus den Köpfen der Menschen vertreibt. So ist die Meinung entstanden, Dahlmann, der poetische, gemüthvolle Mensch, sei ein trockner Doctrinär gewesen. Und noch häufiger läßt sich die Rede hören, er habe sich überlebt. Und doch sind alle jene Ziele, um welche Dahlmann’s politisches Wirken sich bewegte, für uns noch immer ein Gegenstand nicht des Genusses, sondern der Hoffnung. Er stritt für den Rechtszustand in Hannover – und er selber mußte noch erleben, wie das Spiel von 1837 in häßlicherer Form aber und abermals aufgeführt ward! Vor einem halben Jahrhundert mahnte er an Deutschlands Recht auf Schleswig – und noch heute betritt der Deutsche bei Altona die Fremde! Er stritt für das preußische Kaiserthum – und noch immer schaltet über uns der Bundestag! Aber lauter noch klingt das Lob: er war ein Mann von gutem Gewissen und voll hohen Muthes, wo es Recht und Vaterland galt, Einer der Wenigen, welche der ruhelose Muthwille und der gewaltthätige Uebermuth wirklich fürchtete. Und wehe unserem Volke, wenn wir je der Meinung würden, diese antike Lauterkeit des Charakters könne bei uns veralten!

Wer Dahlmann’s Namen nennt, soll der Worte gedenken, welche er selber einst schrieb, als er seinen rheinischen Landsleuten die traurige Mähre erzählte von dem Tote des letzten aus dem holsteinischen Grafenhause: „Wenn ich den Chor christlicher Tugenden mustere, den man jetzt häufig spazieren führt, sucht mein Blick nach einer unter ihnen, von deren ernster Schönheit, im strengen Ebenmaße der Glieder, alte verschollene vaterländische Kunden reden. Unter ihrem festen Tritte sprießen keine Blumen, aber heilende Kräuter bezeichnen ihre Bahn. Sie muß das Haus hüten, höre ich. Möge sie behüten das Haus der Deutschen, die hohe Gerechtigkeit!“



Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.

Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 2
Die Vögel als Wildpret – Junge Dohlen als Tauben – Der Vogel als Feld und Gartenhüter – Vogelverheerung in Italien – Die Verminderung der Vögel und die fortschreitende Cultur – Schädlichkeit des Storches.

     Meine Herren!

Fast in allen germanischen Ländern hat sich in neuerer Zeit ein wahrer Sturm im Interesse namentlich der kleinen Vögel erhoben, die man vor den Nachstellungen des Menschen schützen will. Eine Menge von Gründen sind herbeigeschleppt worden, um zu beweisen, daß man sich selber den größten Schaden anthue, wenn man Leipziger Lerchen, Schwarzwälder Krammetsvögel oder Ortolane aus der Provence mit Wohlbehagen verzehre. Die Neigung, der gefiederten Bewohner der Lüfte habhaft zu werden und sie als gutes Wildpret zu verspeisen, scheint freilich allen erdbewohnenden Menschen gemeinsam seit uralter Zeit, und es mag nur wenige Vögel geben, die theils aus Volksglauben, theils wegen des widrigen Geschmackes ihres Fleisches überall gleichmäßig geschützt sind. Die Schwalbe, welche in Deutschland und der Schweiz höchstens zu Schießübungen dient, sonst aber gehegt und gepflegt wird als gute Vorbedeuterin und Weissagerin häuslichen Glückes – die Schwalbe findet auf ihrem Wege nach dem Süden in den Umwohnern des Mittelmeeres zahllose Feinde, die mit Schlingen, Angeln und langen Ruthen ihr auflauern, wenn sie ermüdet von der langen Reise über die Bäche und Tümpel streicht, um einige Mücken im Fluge zu erhaschen. Raubvögel, Raben und Dohlen, Sturmvogel und Taucher wird in Deutschland kein Mensch unter die Zähne nehmen, und noch steht mir das lebhafte Entsetzen vor Augen, welches in meiner Vaterstadt Gießen eine fröhliche Gesellschaft erfüllte, die von einem Jagdliebhaber zur Verspeisung eines ganz ungewöhnlichen leckeren Bratens geladen worden war. Der


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_185.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)