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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

letzte Stunde bringen könne. Das eben trieb mich zu dem Verlangen, noch einmal zu Dir von Grund der Seele zu sprechen. Ich wollte Dich erinnern – ich wollte versuchen – –“ sie vollendete nicht. – „Umsonst! umsonst!“ rief sie, und ihr Gesicht in ihren Händen verbergend, verließ sie eiligen Schrittes das Gemach.

Der Graf stampfte unmerklich mit dem Fuße. Er hatte Veronika ungerührt gegenübergestanden, nun sie sich entfernt hatte, begriff er das Elend, das er über sie gebracht, und er beklagte sie, er fühlte sich schuldig. Aber er hatte zu lange aufgehört sie zu lieben, er hing zu fest an Franziska, um an eine Versöhnung, an eine innere Herstellung seiner Ehe zu glauben, und der Gedanke an die Trennung derselben, den Franziska ihm oftmals nahe gelegt, bot sich ihm jetzt zum ersten Male aus eigenem Antrieb dar, weil er durch die Scheidung sich und Veronika die Freiheit und mit dieser sich und ihr den Frieden wiedergeben zu können meinte.

Er wollte zu ihr gehen, in diesem Sinne mit ihr sprechen, als Ulrich ihm angemeldet wurde. Das änderte seinen Entschluß. Es schien ihm gerathen, erst den Eindruck ausklingen zu lassen, welchen die eben erlebte Unterredung auf Veronika gemacht haben mußte, und da die Vorstellung der Scheidung ihn nun plötzlich völlig hinnahm, wollte er lieber erst reiflich darüber nachsinnen, wie er sie seiner Gattin anbieten und annehmbar machen könne. Sein Sinn richtete sich damit thätig in die Zukunft, eröffnete sich einer Hoffnung, und es war ihm nicht anzumerken, was eben zwischen ihm und der Gräfin vorgegangen und womit er selbst beschäftigt war, als sein Neffe bei ihm eintrat und nach des Grafen und der Gräfin Ergehen fragte.

„Veronika bekommt das Heimweh!“ sagte der Graf, dem dieser Einfall wie eine Erleuchtung durch die Seele schoß, „und zwar, wie ich fürchte, das Heimweh im wahren Sinne des Wortes. Sie hatte heute ein Verlangen, die Stadt zu verlassen, in das Freie zu fahren, das wirklich etwas Krankhaftes an sich trug. Du könntest mir einen Dienst leisten, mein Freund, wenn Du sie begleiten wolltest.“

„Und Sie werden nicht von der Partie sein, Onkel?“ fragte der Freiherr.

„Mir fehlt die Ruhe dazu!“ entgegnete der Graf. „Wer hat jetzt auch Zeit, sich wie Veronika des jungen Grüns und der Sonnenstrahlen zu erfreuen!“ Er hatte das in einer Weise gesprochen, die er zu bereuen schien, denn er fügte hinzu: „Man könnte sie um eine Sorglosigkeit beneiden, welche in diesem Augenblicke an sich und an irgend eine Befriedigung für sich zu denken fähig ist.“

Aber die Begütigung, welche er zu machen beabsichtigt hatte, schloß eigentlich nur einen neuen Vorwurf in sich, und Ulrich wußte, was Veronika erduldete, und Ulrich liebte Veronika.

Heißer Zorn röthete seine Wangen, er hielt die Antwort, die sich ihm aufdrängte, jedoch zurück, und sagte ruhig, aber mit unverkennbarer Selbstbeherrschung: „Es ist nicht Sorglosigkeit, mein Onkel, was die Wangen Veronika’s gebleicht hat und ihr ein befreiendes Aufathmen in Gottes Natur zu einem Bedürfniß werden läßt!“

Der Graf war bei der Ankunft seines Neffen auf die Terrasse hinausgegangen, und sie schritten lustwandelnd neben einander her. Bei Ulrich’s Worten wendete er seine Augen nach ihm, aber es paßte ihm nicht, es zu verstehen, was die Mienen des jungen Mannes deutlich aussprachen. „Gewiß nicht!“ entgegnete er deshalb, „aber das Heimweh überwältigt sie, wie es mir scheint.“

Weil er die Wahrheit verbergen wollte, gewann sein Ausdruck etwas Leichtfertiges, das den Freiherrn empörte. Er konnte es nicht ertragen zu schweigen oder sich das Ansehen zu geben, als glaube er dem Wort des Grafen. Und auffahrend in seinem Zorne sagte er: „Es wäre sehr erklärlich, daß die Aermste sich vom Heimweh ergriffen fühlte, da sie hier keine Heimath gefunden hat!“

Der Graf hielt in seinem Gange inne. Fest und stolz, wie er sich in solchen Augenblicken gab, trat er vor seinen Neffen hin und sagte: „Männer hinterhalten nicht, wenn sie Etwas widereinander haben. Was hast Du mir zu sagen, Ulrich! Sprich es aus!“

Der Graf mußte sehr aufgeregt sein, um so gewaltsam einer Erklärung entgegen zu gehen, das stand für Ulrich fest, aber er war selbst zu erregt, um den Anlaß, der sich ihm darbot, nicht zu benutzen; und eben so entschieden, wie die Frage an ihn gerichtet war, antwortete er: „Sie haben der Marquise von Vieillemarin das Leben eines Mannes geopfert, und ich war Zeuge davon. Lassen Sie mich nicht Zeuge davon werden, Onkel, daß Sie der Marquise auch die edelste der Frauen opfern!“

„Ulrich!“ rief der Graf im Jähzorn auflodernd, „Du vergissest, zu wem Du sprichst!“

„O, daß ich es vergessen könnte!“ rief der Freiherr. „Daß ich es vergessen könnte, wie Sie sie mir geraubt, und wie ich geschwiegen, in dem Glauben, dem bessern Manne zu weichen. Daß ich sie vergessen könnte, die brennende Eifersucht, mit welcher ich Veronika zuerst an Ihrer Seite wiedersah! Ich floh meine Tante, die ich liebte, ich floh meinen Onkel, den ich verehrte, weil das Herz meiner Mutter an dem Bruder hing; ich verließ Alles, ich opferte Alles, die Nähe der Mutter, die Heimath, das Vaterland. Ich verbannte mich, ich begehrte Nichts, Nichts als ihr Glück. Kein Gedanke, der sie begehrte, sollte in ihrer Nähe sich regen! Ich hätte damit sie zu entweihen, ihr Glück zu entheiligen gefürchtet, das ich so wohl geborgen wähnte an der Seite ihres Gatten. Da kamen Sie nach Paris.“ – –

Ulrich verstummte, auch der Graf war stumm. Der Freiherr warf sich auf einen der Gartensessel nieder und stützte den Kopf in seine Hände, der Graf stand wie angewurzelt an dem Flecke und starrte den Boden an, als habe sich vor ihm die entsetzliche Tiefe eines grausen Abgrundes eröffnete. Endlich raffte er sich empor, ging eine Strecke mehrmals langsam auf und nieder und blieb vor Ulrich stehen, ihn gedankenvoll betrachtend. Dann, als dieser sich mit plötzlichem Entschlusse aufrichtete, sagte der Graf: „Was wir einander noch zu sagen haben, Ulrich, wird kurz sein, und wir werden uns für immer trennen. Uns als Feinde zu begegnen, hindert uns die Liebe für Deine Mutter, die zwischen uns steht; uns jetzt zu verständigen, hindert uns Veronika, die ebenfalls zwischen uns steht. So laß uns denn scheiden, und –“

„Und Veronika?“ rief Ulrich bleich und regungslos.

Der Graf war ebenso blaß geworden. „Vertraue sie mir!“ sprach er mit einer Erschütterung, wie er sie nie zuvor empfunden hatte. „Vertraue sie mir! jetzt kannst Du sie mir anvertrauen.“

Er reichte seinem Neffen die Hand, Ulrich konnte sich nicht überwinden, sie anzunehmen.

„Ich will versuchen, Ihnen zu vertrauen!“ sagte er gepreßt.

Dann entfernte er sich, und der Graf blieb allein zurück, sich selbst und seinen Gedanken und Vorsätzen überlassen.

(Fortsetzung folgt.)



Kleiner Briefkasten.

K. in Dr. Sie irren sich nicht, die Verlagshandluug der Gartenlaube sah sich durch die massenhaften Nachbestellungen genöthigt, die Auflage seit Neujahr vier Mal zu erhöhen, und läßt augenblicklich 135,000 Exempl. abziehen. Ob diese Anzahl lange ausreichen wird, kann im Voraus nicht bestimmt werden. Daß aber auch Sie als Geschäftskundiger über die Herstellungskosten eines solchen Unternehmens so vollständig im Dunkeln tappen, hat uns fast ein Lächeln abgenöthigt. In Ihren Ausstellungen fehlen mindestens 10–12 Posten, welche viele Tausende repräsentiren und von einzelnen Beträgen scheinen Sie gar keine Ahnung zu haben. So erfordert jede Nummer bei der jetzigen Auflage allein 10 Ries sogenannte „Abgänge“, d. h. schlechte, beim Druck verdorbene Bogen, welche in den meisten Fällen nicht einmal als Maculatur benutzt werden können. Diese Abgänge, wovon ein großer Theil sofort wieder in die Papiermühle wandert, kosten der Verlagshandlung jährlich allein die Kleinigkeit von 3560 Thaler.

S. K. in N. Der „deutsche Volksfrühling“ ist bereits mehrere Male componirt.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_160.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)