Seite:Die Gartenlaube (1862) 362.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Sie sind ein Preuße?“ redete sie mich plötzlich in deutscher Sprache an.

Ich war so überrascht, von einer Indierin meine Muttersprache zu hören, daß ich kaum eine Antwort zu geben vermochte, doch sie schien meine Gedanken zu errathen und sagte lächelnd:

„Sie wundern sich wahrscheinlich, daß ich mit Ihnen deutsch spreche, aber ich bin nun einmal in Holland erzogen und von den wenigen Sprachen, die ich dort gelernt habe, ist mir stets Ihre edle, kräftige Muttersprache die liebste gewesen, daher erhasche ich auch jede Gelegenheit, die sich mir bietet, mich in deutscher Sprache zu unterhalten.“ Ich war entzückt über diese Worte, und in wenigen Augenblicken waren wir im eifrigsten Gespräch. Die Fürstin sprach sehr schnell, aber jeder Satz, jede Aeußerung bekundete ihre gediegene Bildung, ihren klaren Verstand. Als wir uns dem Ziele näherten und ich mich zu den übrigen Herren begeben wollte, lud sie mich ein, den Sylvester-Abend an ihrem Hofe in Koeningan zuzubringen. Ich versprach es und war im Begriff, mich zurück zu ziehen, als sie mir zurief:

„Wenn Sie kommen, werde ich Ihnen auch meine Bibliothek deutscher Classiker und meinen Lieblingsdichter zeigen.“

Schiller?“ fragte ich entzückt.

„Nein, Goethe,“ gab sie zur Antwort und setzte lächelnd ihr Pferd in Galopp.

Als wir das Ziel erreicht halten, mußte ich staunen über die große Veränderung, die in den wenigen Stunden erfolgt war.

Tausende von Menschen, die aus allen Orten der Umgegend zusammengeströmt waren, lagerten im Kreise um die beiden Hügel, hatten mit geschäftigen Händen das Gebüsch gänzlich gelichtet und eine Tribüne von Bambusrohr erbaut, von der man Alles übersehen konnte, während das Rhinoceros in aller Ruhe an der Quelle der Tji-djollang sein Mittagsschläfchen zu halten schien. Mir fiel sogleich ein etwa zwei Fuß breiter und ein Fuß tiefer Graben auf, der sich um die Hügel hinzog und wohl eine Viertelstunde im Umfange hatte. Hunderte von Eingeborenen waren thätig, denselben stets aufzuschaufeln, und als ich mich nach dem Zwecke desselben erkundigte, erfuhr ich, daß dies die einzige Möglichkeit sei, ein Rhinoceros einzuschließen, denn wenn letzteres an einen solchen frisch aufgeworfenen Graben käme, beschnüffele es denselben, mache kehrt und getraue sich nicht über denselben hinweg zu gehen. Ich bezweifelte anfangs diese Aussage, indem ich sie dem Aberglauben der Javanen zuschrieb, aber merkwürdiger Weise habe ich mich, so unglaublich es erscheinen mag, von der Wahrheit dieser Behauptung zu wiederholten Malen überzeugt.

Nachdem wir die Tribüne bestiegen hatten, wurde das Unthier aus seiner Ruhe aufgeschreckt. Auf den Hügeln nämlich waren einige kolossale Bäume stehen geblieben, in deren Zweigen sich eine inländische Musikbande eingenistet hatte, welche nun Alles aufbot, durch ohrzerreißenden Paukenschlag und Beckengeklirr das Rhinoceros zu ängstigen. Dieser höllische Lärm, von dem Schreien Tausender begleitet, schien wirklich selbst für die Ohren des Thieres zu unbehaglich, denn es sprang empor, schüttelte sich und fing an den großen Kreis zu durchtraben. Als es bei unserer Tribüne vorbei kam, krachte eine Salve, und vierzehn Kugeln drangen in das dicke Fell, ohne daß es sich im Mindesten durch diesen Willkommensgruß beunruhigt gefühlt hätte. Als es zum zweiten Mal bei uns vorüberkam, erhielt es dieselbe Anzahl Schüsse, und dieses Mal schien wirklich ein oder die andere Kugel etwas tiefer in’s Fleisch eingedrungen zu sein, denn es blieb plötzlich stehen, sah sich grimmig nach seinen Feinden um und setzte sich dann in fliehenden Galopp, ohne es zu wagen, den kleinen Graben zu überspringen und sich dadurch die Freiheit zu verschaffen. Nach einigen Minuten erschien es wieder bei uns und erhielt eine dritte Salve, die es so zu entsetzen schien, daß es schleunigst sich umwandte und zur Quelle zwischen den Hügeln eilte, wo es sich niederwarf.

Dies war gerade der Punkt, den wir von der Tribüne aus nicht übersehen konnten, denn der vor uns liegende Hügel beraubte uns gänzlich der ferneren Aussicht.

Die Fürstin, glaubend, daß das Ende des Schauspiels da sei, war untröstlich das Unthier nicht vor ihren Augen verenden zu sehen; doch kaum gab sie diesen Wunsch zu erkennen, so sprangen wir Alle auch hinunter und eilten den Hügel hinan, hoffend, daß es uns gelingen würde, das Unthier noch einmal aufscheuchen zu können. Der Fürst nur und der Resident blieben zurück. Als wir die Kuppe des Hügels erreichten, bot sich ein interessantes Schauspiel unsern Augen dar. Das Rhinoceros lag noch immer unbeweglich an der Quelle, während zwei tollkühne Javanen sich auf seinen Rücken geschwungen hatten und damit beschäftigt waren, die Schlinge eines langen Rotangtaues (frisches Rohr) um seinen Hals zu befestigen. Nachdem ihnen dies gelungen war, versuchten Hunderte von Menschen, die den andern Hügel erstiegen hatten, das riesige Thier mit Gewalt emporzuziehen; aber plötzlich sprang es schnaubend auf, die beiden Tollkühnen weit von sich schleudernd, und mit einem einzigen Ruck des Kopfes riß es das Tau in Stücke, so daß Alle, die daran zogen, rücklings zu Boden schlugen; dann drehte es sich plötzlich um, sah uns und stürzte in rasender Wuth auf uns zu. Wir stoben fliehend aus einander, denn in jenem Augenblicke war Jeder nur auf seine eigene Rettung bedacht. Auf unsern Freund W. war es abgesehen.

Beinahe rasend vor Wuth verfolgte das Thier ihn mit ungestümer Hast, und so dauerte diese Jagd einige Minuten, für uns eine Ewigkeit der Angst und des Schreckens, denn nur ein Wunder konnte unsern Freund retten; wir sagten uns, daß er verloren sei, ohne daß es mit dem besten Willen uns möglich gewesen wäre, zu seiner Rettung etwas beitragen zu können.

Plötzlich stieß W. einen herzzerreißenden Schrei aus, das Thier hatte ihn beinahe erreicht! Dann wandte er sich plötzlich um und hielt dem Andringling sein Gewehr entgegen. Aber in diesem Augenblick stand unversehens der Fürst mit blitzenden Augen, die tödtlich vergiftete Lanze zum Stoße erhoben, ihm zur Seite. Der Schuß krachte; W. selbst stürzte zu Boden, das Unthier aber, durch eine Schrotladung plötzlich in’s Gesicht getroffen, sprang erschrocken hoch empor, dann aber, heulend vor Wuth, war es im Begriff seine Gegner zu zermalmen, als es mit einem Male still stehen blieb, heftig am ganzen Körper zitterte und keuchend zu Boden donnerte. Die Lanze des Fürsten hatte das Thier berührt, der riesige Urwaldbewohner lag todt und starr zu Füßen des indischen Herrschers. Wir stürzten hinzu und hoben unsern Freund auf; er war glücklicher Weise nur ohnmächtig und erholte sich bald. Wir athmeten auf. Nachdem wir den Koloß genugsam betrachtet und das große, werthvolle Horn abgelöst hatten, traten wir gegen Abend den Heimritt an. In Deutschland habe ich das schöne Weihnachtsfest inniger und gemüthlicher gefeiert – interessanter niemals!




Ein glücklich durchgeführtes deutsches National-Unternehmen.

Sieht man ein großes Werk an seinem Abschlusse angelangt, so wirft man wohl gern noch einmal einen prüfenden Blick auf Veranlassung, Fortgang und Ausführung desselben. Dies dürfte vorzugsweise der Fall sein bei einem Unternehmen, welches Schiller’s, des hochgefeierten Dichters deutscher Nation, Namen an seiner Spitze trägt und dessen Gelingen bei seinem Beginn so vielfach angezweifelt ward. Wir meinen die „Allgemeine deutsche Nationallotterie“, sogenannte Schillerlotterie, welche auf Anlaß von Schiller’s hundertjähriger Geburtsfeier zum Besten der Schiller- und der Tiedgestiftung gegründet worden, deren beider Zweck ist: würdige, aber hilfsbedürftige Dichter, Schriftsteller und Künstler (im Gebiete der Malerei, Musik-, Kupferstecher-, Bildhauer-Kunst und Architektur), sowie deren hinterlassene Wittwen und Waisen rechtzeitig, d. h. noch bei Lebzeiten, durch angemessene Unterstützungen zu ehren.

Ein hochherziger, für alles Schöne und Edle begeisterter Mann, der Major Serre auf Maxen, faßte die glückliche Idee, durch Begründung der Schillerlotterie dem Andenken Schiller’s ein Monument dauernder als Erz zu errichten, indem er die schönen Zwecke der Schiller- und der Tiedgestiftung in einer Weise und mit einem Male so förderte, wie es den betreffenden Vereinen, wenn überhaupt, doch kaum selbst in einem sehr langen Zeitraum möglich gewesen sein würde.

Zur Erreichung dieses hohen Zweckes bedurfte es der Betheiligung

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_362.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2020)