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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

von Champagnerpfropfen, und Morton brachte übermüthige Toaste aus, die von den anderen Herren leise beantwortet wurden. Man trank auf guten Erfolg und trennte sich. Kurz nachher erschien der Master in meinem Stateroom, weckte mich, den anscheinend in tiefen Schlaf Versunkenen, und theilte mir mit, daß wir mit Tagesanbruch die Anker lichten würden, der Helsingörer Lootse würde noch in der Nacht an Bord kommen.




Wer kennt nicht die freundliche Stadt Helsingör am Sunde, der vielbelebten Weltstraße, und das durch Hamlet so berühmte alte Schloß Kronenburg, auf dessen äußerster hoher Platform am Flaggenmaste die Dannebrogsfahne weht, an der nach altem Brauch kein Schiff, ohne zu salutiren, vorübersegelt? Dort ankerten wir am 2. November im hellen Sonnenschein, außerhalb des kleinen Nothhafens, auf dessen Steindamme die blaugekleideten Sundlootsen mit ihren Fernrohren nach nahenden Schiffen auslugten. Eine halbe Seemeile von uns ankerte die preußische Corvette Amazone, welche eben im Begriff war, ein Boot auszusetzen. Wir thaten das Gleiche, und ich ging mit Morton an’s Land, wo wir von der Bevölkerung viele Klagen über die Aufhebung des Sundzolles hörten. – Die Schiffe langen hier in der Regel schaarenweise an, wie die Zugfische, was sich dadurch leicht erklären läßt, daß der Wind meistens entweder für die Fahrzeuge, welche aus der baltischen See, oder für die, welche aus dem Kattegat kommen, günstig sein muß. So kommt es denn, daß sich mitunter vor der Nord- oder Südpassage zum Sund Hunderte von Schiffen anhäufen, die dann die erste günstige Brise benutzen, um von einer See in die andere zu kommen. So geschah es auch, daß wir rings von Fahrzeugen umgeben waren, die, wie die Amazone und wir, südliche Winde erwarteten, um nach dem Kattegat zu steuern.

Am Lande angekommen verließ mich Morton, um verschiedene Erkundigungen einzuziehen; ich sah, wie er sich auf dem Hafendamm eifrig mit einem Sundlootsen unterhielt, der hin und wieder nach der Amazone hinzeigte. Ich selbst that einige Fragen über das preußische Kriegsschiff, deren Antwort mich bald belehrte, wie wenig beliebt die schwarz-weiße Flagge hier war.

Die kurze Zeit, welche mir an diesem Tage übrig blieb, benutzte ich noch dazu, Hamlet’s Grabmal zu besuchen, welches sich auf einer Wiese hinter einem kleinen Schlosse befindet. Der königliche Däne mit seiner Ahnung eines großen Verbrechens und seiner Unentschlossenheit schwebte mir vor, es lastete auf mir wie drückende Gewitterschwüle. Als ich, wie es alle Engländer und Amerikaner thun, welche nach Helsingör kommen, jene wunderliche Säule umfaßte und in der Idee schwelgte, daß hier die Manen des unglücklichen Prinzen trauerten, wurde ich plötzlich gewahr, daß sich eine kleine Gesellschaft junger Leute in Seemannstracht näherte. Ich zog mich zurück, um dieselben ungestört beobachten zu können, und sah bald, daß sie zur Mannschaft der preußischen Corvette gehörten. Einer von ihnen trug ein reich gebundenes Buch, aus dem er Stellen zu recitiren schien. Sie umringten die halbverfallene Säule, welche das Grab Hamlet’s schmückt, und horchten auf die Verse, welche der halbwüchsige Midshipman ihnen aus dem Munde des königlichen Dänen vortrug. Einer der Seecadetten, ein schmächtiger junger Mensch, verlangte die Kirchhofsscene, da dieses unstreitig auch der Platz sei, wo Hamlet und Horatio die Todtengräber Ophelia’s Grab hätten machen sehen. Kaum hatte der Lesende die betreffende Stelle aufgeschlagen und die Scene zu recitiren angefangen, als plötzlich zu meinem großen Erstaunen Morton, der unbemerkt hinzugetreten war, ihn unterbrach und ebenfalls Shakespeare citirend (auf Englisch) fortfuhr: „Hier steht das Wasser: gut; hier steht der Mensch: gut. Wenn der Mensch zu diesem Wasser geht und sich selbst ertränkt, so bleibt’s dabei, er mag wollen oder nicht, daß er hingeht. Merkt Euch das! Aber wenn das Wasser zu ihm kommt und ihn ertränkt, so ertränkt er sich nicht selbst. Daher, wer an seinem eignen Tode nicht schuld ist, verkürzt sein eigenes Leben nicht.“

Die durch diese Unterbrechung unangenehm berührten Seecadetten sahen Morton unwillig und erstaunt an, und einer schickte sich an, ihn zurecht zu weisen, als er von einem andern darauf aufmerksam gemacht wurde, daß man in Helsingör sei und sich dort nicht herausnehmen könne, was man etwa in Danzig oder Berlin einem Civilisten bieten dürfte. Morton lüftete höhnisch seinen Hut, nahm mich unter den Arm und schritt mit mir über die Wiese der Stadt zu. Unterwegs sagte er:

„Bemerkten Sie wohl, Charley, was für eine Sorte grüne Jungens diese Preußen sind? Werden im Leben keine Seeleute, so lange sie gedrillt werden, wie die Soldaten auf dem Paradeplatze. Einer von diesen jungen Hunden (puppy’s) wollte mich sogar anfahren, weil ich mir den Scherz erlaubte, sie in ihrer eingebildeten Empfindelei zu stören. Da sind unsere Jungens von Annapolis bessere Leute, sie verstehen einen praktischen Spaß; aber sie machen sich auch nichts daraus, in Sturm und Wetter die große Bramstenge ebenso unbesorgt zu umhalsen, als wie diese unreifen Knaben Hamlet’s verfallene Denksäule. Kommen Sie, Charley, lassen Sie uns erst auf dem Hafendamm ein wenig nach dem Wetter ausschauen und dann gemüthlich ein Glas Irisch Whiskypunsch auf glückliche Fahrt ausleeren. Schauen Sie sich Helsingör und das alte Schloß noch einmal recht ordentlich an, Sie möchten so leicht nicht wieder in diese Gegend kommen.“ –

Es war am Morgen des 3. November, als die den dicken Nebel verscheuchende Sonne die Rhede von Helsingör mit ihrem Glanze überstrahlte. Der Wind hatte sich des Nachts günstig gestaltet, und es wehte aus Südost gen Süd eine frische Brise. Die vielen Schiffe, welche auf günstiges Wetter gewartet hatten, um aus dem Sunde in das Kattegat zu kommen, benutzten diese Gelegenheit und spannten alle Segel auf. Morton, der schon bei Tagesanbruch auf dem Deck erschienen war, sah fleißig nach dem Wetterglase und meinte, die gute Witterung würde nicht lange anhalten. „Der Preuße dort,“ fuhr er fort, indem er auf die hohen Masten der Amazone zeigte, „muß es aber besser wissen, denn er macht wahrhaftig alle Anstalten, um in See zu stechen. Wenn der es mit seinem alten Waschtubben wagt, braucht sich unser Klipper nicht zu scheuen. Also alle Hände auf’s Deck! Mr. Whitman, lassen Sie die Anker lichten, schnell! was zögern Sie? steckt Ihnen Hamlet noch im Sinn? Setzen Sie nicht zu viel Segel auf, denn wir wollen in des Preußen Fahrwasser bleiben; Sie sehen ja, er ist langsam wie eine deutsche Postkutsche.“

(Schluß folgt.)




Schweizer Alpen-Bilder.

Nr. 4.   Die Pässe und Säumerpfade der Schweizeralpen.

Kennst Du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Fluth.
 Goethe.

Was sind Säumerstraßen? Ursprünglich verdienten sie wohl diesen Namen nicht, und vor zwanzig Jahrhunderten mögen diese schlangenartig über die in die Wolken ragende Grenzscheide zwischen dem Norden und dem Süden sich hinwindenden Pulsadern des Verkehrs wohl nichts weiter gewesen sein, als die Fußspuren der Menschen und Saumthiere, die um des Gewinns willen den Schrecknissen der schaurigen Gebirgswildniß Trotz geboten und die Producte des Nordens nach dem sonnigen Süden, oder umgekehrt die duftenden Erzeugnisse der wärmeren Zone dem nebeligen Norden zugeführt hatten – kaum bemerkbare Indianerpfade, deren Schrecknisse aber immerhin größer waren, als diejenigen, welche der Tomahawk und das Scalpirmesser der Araucaner oder der Comantschen in der Urwaldswildniß bieten mögen. Da lauerte auf der einen Seite der gähnende Abgrund, ein zu lauter Ruf konnte auf der andern die schlafende Lauine wecken, daß sie mit Donnergebrüll niederstürzte vom schwindelnden Hange und in ihrem rasenden Anpralle Roß und Reiter mit sich durch die Luft wirbelte, als wären es bloße Spielzeuge von Thonerde, die ein übelgelauntes Kind zerschmetternd gegen die Wand wirft;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_420.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)