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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Schranken zu setzen. Die größten Seeschiffe können alsdann mit unverminderter Ladung in drei Stunden den Zwischenraum von der Nordsee bis Amsterdam zurücklegen, wozu sie jetzt durch den nordholländischen Canal in der Regel mehrere Tage gebrauchen. Dieser alte Canal ist 79 Kilometer, der neue nur 23 Kilometer lang, eine günstige Differenz also von 56 Kilometer. Die Kosten der Ausführung, wozu ein gewisser J. G. Jäger in Amsterdam (beiläufig bemerkt, ein Deutscher) die Concession erhalten, werden auf 18 Millionen Gulden geschätzt, und die Zeit der Ausführung auf 7 Jahre ununterbrochener Arbeit. –

Wahrlich, wenn man diese Zahlen betrachtet und dabei bedenkt, daß Holland selbst keinen Stein, keine Planke besitzt, sondern nun erst den Rhein hinauf, um Holz, und nach Norwegen, um Granit zu holen, gehen muß – da möchte man wohl vor der Ausführung dieses kühnen Planes zurückschrecken. Nicht so der Holländer. Erfreut, daß nun endlich zur That reifen wird, was Jedermann sehnlichst erwartete, beeilt sich Jeder, nach seinen Kräften die nöthigen Geldmittel zu beschaffen. Die 18 Millionen werden im Nu gezeichnet sein, und ist erst diese Basis gesichert, so braucht man weiter keine Besorgnisse zu hegen. Die Baumeister in Holland verstehen ihr Fach und werden die Fundamente so kolossal massiv in den schlammigen Boden einsenken, werden die Deiche so fest stampfen, binden und kacheln, die Schleußen so bombenfest bauen, daß das Ganze auch nicht um einen Zoll breit dem ungeheueren Drucke des Wassers weichen wird. Man beginnt damit, das Wasser an der Zuidersee abzudämmen. Die Aufführung dieser Deiche ist das Mühsamste, das Auspumpen des Wassers läßt sich nachher vermittelst Maschinen leichter bewerkstelligen. Behufs Anlegung des Deiches werden zunächst drei Reihen starker Pfähle aus skandinavischem Greinenholz hintereinander in den Grund getrieben. Jeder Pfahl ist 35 Fuß lang und 1½ Fuß dick, diese drei Reihen werden durch starke Querbalken verbunden und mit Steinen ausgefüllt. Die äußerste Reihe wird noch gegen den Wellenschlag durch Faschinen und Felsblöcke geschützt. Hinter dieser Brustwehr kommt erst der eigentliche Deich, dessen Fuß wiederum aus Steinen besteht, worauf Lehm, Faschinen, ausgebrannte Coaks und Erde mit einander abwechseln, die zusammengehalten werden durch schwere Steinplatten und Weidengeflecht, das alle 3 bis 4 Jahre erneuert werden muß. Solche Deiche werden den neuen Canal überall umsäumen.

Von der guten Unterhaltung dieser Deiche, die man an den Küsten und mitten im Lande zu Hunderten zählen kann, hängt die Existenz des ganzen Landes, das Leben der Bevölkerung ab; deshalb wacht auch der Waterstaat (die hier für besonders angestellten Beamten) darüber mit der peinlichsten Aufmerksamkeit, die Unterhaltungskosten verschlingen jährlich an sechs Millionen Gulden. Trotzdem bricht das Wasser alljährlich das Joch und verheert ganze Strecken durch Ueberschwemmungen, die aber wenig mehr allgemein bekannt werden, wenn sie nicht eben so riesige Dimensionen annehmen, wie z. B. jene bekannte Ueberschwemmung von 1825. Diese, sowie ähnliche frühere und spätere traurige Episoden, ragen wie Leichensteine hervor aus der holländischen Geschichte, und leider gleicht ihre Chronik nur zu sehr einem Gottesacker.

Um so mehr muß man es anerkennen, daß das Volk im Kampfe mit dem mächtigen Feinde nicht erlahmt, beständig angreifend und vorrückend bleibt, immer zur Abwehr eines Ueberfalles gerüstet. Als man vor zwölf Jahren das Haarlemer Meer trocken legtem, tauchten schon Stimmen auf, die dasselbe mit dem Y vorgenommen wissen wollten. Jetzt geht man hieran, und schon richten sich Aller Augen unwillkürlich auf die Zuidersee. Sollte die wirklich zu groß sein? Ah bah! Probiren wir unsere Kraft erst einmal am Y, nachher wollen wir weiter sehen! Und die Geschichte wird es sehen, daß mit der Zeit auch dieser gefräßige Währwolf ausgetrieben wird, und dann geht’s zuletzt noch an die Arrondirung jener Inselkette mit dem festen Gestade.

Das ist nun wohl jetzt noch ein kühner Gedanke, und bis er zur That reift, darüber können noch Generationen hinsterben. Aber wir glauben doch, damit den heimlichen Gedanken manches Holländers auf den Kopf getroffen zu haben, ein Gedanke, der sich offen in der Devise ihres Landeswappens (ein schwimmender Löwe) ausspricht, womit wir in würdiger Weise diese Zeilen schließen wollen: Luctor et emergo! (ich ringe und bleibe oben!)

O. M.


Eine Reliquie von Theodor Körner. Eine solche befand sich auf dem alten Universitäts-Carcer in Leipzig, derjenigen alten Baulichkeit, welche bis 1834 die Stelle, wo jetzt das Augusteum (neue Universitätsgebäude) steht, bestens mit verunzieren half, andererseits jedoch für die ab und zu dort „eingesponnenen“ Musensöhne ein viel amüsanteres Receptaculum war als die jetzigen auf den innern Hofraum des Augusteums ausmündenden Carcer. Denn in den alten Nestern, deren Gitterfenster auf den freien Platz vor dem Grimmaischen Thore hinaus sahen, hatten die dort sitzenden Studios doch den Ausblick in’s Freie und die Erquickung des lieben Sonnenscheins, nicht zu gedenken der mannigfachen anderen tröstlichen Correspondenz in der Dämmerungsstunde, gepflogen mit theilnehmend nach dem Befinden und auch dem Bedürfniß (an Bier, Tabak, Wurst, Lectüre etc. etc.) dort oben sich erkundigenden Brüdern, Schwestern oder gar Freundinnen. Ueberhaupt waren die alten Carcer viel romantischer und gemüthlicher, schon durch ihr Alter und die sich daran knüpfenden Erinnerungen. Wer hatte hier nicht schon alles „gesessen“ in früherer Zeit, was theilweise noch die vielen, Jahrzehnte alten Inschriften und Gedenkverse an den Wänden und unter den in einsiedlerischer Muße mit Bleistift, Feder oder auch einfach durch in’s Tintenfaß eingestippte Zeigefinger ausgeführten Wandgemälde bezeugten. Traf es sich doch nicht selten, daß der „sitzende“ Sohn plötzlich ein solches Erinnerungszeichen von seinem einst hier ebenfalls seßhaft gewesenen Vater vorfand. Und nun erst jene Wandgemälde selbst, humoristischen, grotesken, tragikomischen Inhalts, zum Theil sogar kunstgerecht in Wasserfarben al fresco ausgeführt, wie das famose „Marius auf den Trümmern von Carthago“, in Schlafrock, Unterhosen, Cerevis, mit langer Quastenpfeife und leerem Bierglas in der Rechten, dies wehmüthig anschauend, darunter die Worte:

„Die Liebe ist der Güter höchstes nicht –
Der Uebel größtes aber ist – der Durst.“

Wie gesagt, wer hatte nicht in längstvergangenen Tagen auf diesen selben Holzstühlen schon gesessen, vielleicht gar Lessing, Goethe, als Leipziger Studenten, wo nicht Leibnitz selbst, hier zuerst über seiner Monadenlehre brütend! Einen nachweisbar historisch merkwürdigen Stuhl der Art aber gab es dort wirklich noch zu meiner Zeit, und dieser eben ist die Reliquie, welche ich meine. Es war ein Stuhl, auf welchen Theodor Körner seinen Namen eingeschnitten, da er hier einst wegen eines als Corpsbursch der Saxonia in Connewitz ausgefochtenen Duells hatte „brummen“ müssen. Dieser Stuhl nun war von seinen nachfolgenden Besitzern so mit deren Namen bedeckt worden, daß für den meinigen, als ich 1831 dort auch einmal in silentiis kneipen mußte, kaum noch Platz war. Dennoch bin ich, gleich allen meinen Vorgängern, stolz, auch auf diesem Stuhl einst gesessen zu haben, und lasse hier deshalb die öffentliche Frage ergehen: wo in dieser Körner’sche Stuhl hingekommen? Liegt er zwischen anderem Gerümpel vielleicht mit auf einem der Böden des Paulinums? – Es wäre wenn wir „alten Burschen“ uns zur Octoberfeier dieses Jahres in Leipzig zusammenfinden, doch sicher eine Freude mehr, diesen für uns vorzugsweise historisch merkwürdigen Schemel als eine cara memoria dann bei der Festtafel mit eingereiht zu finden. Und ein würdigster Inhaber, vielleicht gar noch ein ehemaliger Studiengenosse Körner’s und selbst ein Lützower, der auf ihm Platz nähme, fände sich auch wohl dafür heraus unter den Festgenossen. Der könnte dann, doppelt berechtigt, als unser „Vorsitzender“ fungiren.

Dr. Wilhelm Schröder,
Verfasser des patriotischen Schauspiels
Studenten und Lützower (aus 1813).


Zur Eisen-Liqueur-Frage. Aus mir zugekommenen Zuschriften geht hervor, daß man diesen Liqueur zu den Charlatanerien rechnet. Allein er ist kein Geheimmittel, welches für unnatürlich hohen Preis verkauft wird und gegen alle nur möglichen Uebel helfen soll, sondern es ist ein Surrogat eines Nahrungsmittels, welches dann Vortheil schafft, wenn dem Körper eine Nahrung geboten wird, die zu wenig Eisen in sich enthält, wenn überhaupt dem Blute die gehörige Menge von diesem zum Leben ganz unentbehrlichen Stoffe fehlt.

Leben und Gesundheit können nämlich nur dann bestehen, wenn unserm Körper (Blute) diejenigen Stoffe in der gehörigen Menge fortwährend zugeführt werben, aus denen er aufgebaut ist und die durch Abnützung der Organe in Folge der verschiedenen Lebensthätigkeiten immerfort theilweise wieder verloren gehen. Zu diesem Material, welches unsern Körper aufbaut, gehört nun aber neben Wasser, Eiweißsubstanzen, Fetten, Salzen etc. auch das Eisen, und wer dasselbe nicht in der erforderlichen Menge durch die Nahrung (besonders bluthaltige, thierische Nahrungsmittel) in seinen Körper einführt, wird krank. Ebenso würde aber auch derjenige krank, welcher zu wenig von Eiweißstoff, Fett, Salzen etc. genösse. Diese Thatsache, welche ich zu wiederholten Malen in meinen Aufsätzen erwähnt und zur Aufstellung diätetischer (Speise-) Regeln benutzt habe, hat Dr. Freigang in Leipzig ebenfalls aufgegriffen und einen Liqueur bereitet, der Solchen, die zu wenig Eisen im Blute haben, sicherlich ebensoviel Nutzen bringen wird, als eine eisenhaltige Arznei aus der Apotheke.

Dr. Bock


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