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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

In der hiesigen Schule erhielt ich vor vierzehn Jahren erbärmlich Ohrfeigen, weil ich regelmäßig eine „Schoppernauer Schulzeitung“ schrieb, die dann zuweilen im halben Dorfe herumkam. Doch auch das hat mich nicht heilen können von meiner „wunderlichen Sucht“, jetzt, nachdem die Blätter für literarische Unterhaltung den Wunsch aussprachen, daß ich auf dem glücklich betrettenen Wege tüchtig vorwärts schreiten … möge, hab ich erst recht zu lernen, zu arbeiten und zu – leben angefangen …

Mit dem Schwarzokaspale hat dieses [das neue] Werk sehr wenig Aehnlichkeit, und doch könnte man es in gewissem Sinn eine Fortsetzung des Ersteren nennen: dort sehen wir einen armen Burschen emporkommen, hier haben wir einen Emporgekommenen, der nun Fortschritt und Freiheit predigt, einen s. g. Freimaurer, der „schlechte Grundsätze aus der bösen Welt hereinbrachte“ und sich nun bei den altgläubigen Aermeren sowohl als bei den besitzstolzen Reichern verfeindet macht.

Die Wege in unser abgeschlossenes Thal werden von Jahr zu Jahr besser; immer näher heran braust das Dampfroß und immer lauter klopft der Zeitgeist an. „Herein!“ rufen einige, „draußen bleiben!“ schreien viele. Der Geist scheint sich denn auf Augenblicke zu entfernen, der alte Friede aber kehrt nicht mehr zurük. Was einmal in der Luft ligt, findet seinen Weg auch über die Berge.

Die Hauptpersonen meiner Erzählung sind keine Dorfgeschichthelden, keine Tolpatsche … sondern es sind ganze Gemüthsmenschen oder kluge Köpfe die mit Gott und der Welt handeln und schachern. Und warum nicht? Der Pfarrer kennt seine Leute und richtet seinen Unterricht für sie zurecht, wobei es ihm denn freilich zuweilen passirt, daß er durch Belzebub den Teufel austreiben will.“

Folgt die ausgesprochene Besorgniß, dort zu Lande einen Verleger zu finden für das Werk, „welches unser Völklein nicht nur im Processionsschmuck, sondern auch in seiner Alltäglichkeit darstellt und errathen läßt, warum der so talentvolle Bregenzerwälder bei Weitem nicht das wird, wozu er das Zeug hätte. Ihre werthe Zusendung hat mir den Muth gegeben, mich vertrauensvoll an Sie zu wenden mit der Bitte: Wenn Sie glauben sollten, daß meine Arbeit es verdient, mir, dem Nahmen und Freundlosen zu rathen und zu helfen. Wohl kenne ich den Nahmen manches tüchtigen Verlegers, aber ich fürchte, daß z. B. Herr … in Leipzig u. A. die Arbeit des Bäuerleins ungeprüft zurükschiken würden. Ich lebe recht glücklich als Bauer, und nur das ärgert mich, daß wenigstens hier herum der Bauer gar keinen Theil haben soll an den Errungenschaften der Civilisation, daß er überall schon zum Voraus abgewiesen wird. Oft hat mich das so geärgert, daß ich selbst kaum begreife, warum die schrundenvolle arbeitsmüde Hand nicht schon längst Buch und Feder wegwarf. Doch das geht mir nicht so leicht als vielen meiner Landsleute! Wem sollte ich hier meine Gedanken mittheilen als meiner lieben Frau und dem Papir.

Welchen Werth mein neues Werk als Dichtung hat, können Andere besser beurtheilen, ich glaube es einen nicht ganz werthlosen Beitrag zur deutschen Völkerkunde nennen zu dürfen. … Eine Antwort von Ihnen würde mich sehr sehr glücklich machen. Auch dann, wenn Sie dem Bäuerlein zurufen sollten: Schuster bleib beim Leisten. Der von Glück und Freunden Umgebene ahnt nicht, wie gern unser Einer die Hand erfaßte, die sich ihm freundschaftlich entgegenstrekt; doch Sie werden meine Kühnheit entschuldigen und werden mir wenigstens rathen, wenn ich Ihre Hülfe nicht verdienen sollte.

Doch ich habe schon zu lange Ihre theure Zeit in Anspruch genommen! Mit den herzlichsten Grüßen an Sie – und – wage ich beizusetzen, an die vielen mir Theuren in Leipzig, die ich aus ihren Schriften kennen und schätzen lernte.

Hochachtungsvoll ergebenst               
Ihr um Antwort bittender          
Franz M. Felder
     in Schoppernau, Post Bezau, Vorarlberg.“

Ich denke, der Leser wird es nach allem Vorigen nicht unbegreiflich finden, wenn ich sage, daß mir der Brief ein Herzensfest war, wie nur einer eins erleben kann. Aber auch das war klar: dem Bäuerlein mußte Hülfe werden um jeden Preis. Alle meine Freunde und Bekannten, denen ich den Brief vorlas, bestätigten mich in meiner Empfindung, und auch die nächste Hülfe war rasch gefunden. Tags darauf konnte ich nach Schoppernau schreiben, daß der erste Verleger, zu dem ich begreiflicher Weise ging, Hr. Dr. S. Hirzel, zum Verlag sich von freien Stücken erbot, nur bewogen durch das Vorlesen des Briefes. So kommt es, daß Felders „Sonderlinge“, so heißt das neue Buch, von Leipzig aus in die deutsche Welt gehen, eine Erzählung eines unbekannten süddeutschen Bauers aus einem norddeutschen Verlag, der hauptsächlich nur der strengen Wissenschaft dient. Nur der Krieg hat den Druck um ein halbes Jahr verzögert.

Aber die Hauptfrage des Lesers ist noch übrig: wie konnte denn ein solcher Bauer in einem solchen Orte solche Bildung erwerben? Darauf giebt Felders zweiter Brief an mich einige Auskunft, den ich gleichfalls, doch mit größeren Lücken, dem Leser nicht vorenthalten darf; er zeigt den Dichter überraschend noch von einer ganz andern Seite. Er schrieb am 22. März 1866:

„Der 18. März, der Tag an dem ich Ihren so erfreulichen Brief erhielt, ist einer der schönsten meines ganzen Lebens! … Leichter jedenfalls wird mir nun Alles werden, nachdem Sie mir so freundschaftlich die Hand reichten. … Glauben Sie mir: Jubelnd reichen mit mir noch viele Vorarlberger Ihnen im Norden die Hand über alle Schlagbäume hinüber. Schon bevor das Banknotenunwesen unser Völklein, das mit dem „Ausland“ (Deutschland) lebhafter verkehrt als mit dem Kaiserstaat, arm und mißtrauisch machte, hieng der Bregenzerwälder mit Leib und Seele an Deutschland und es ist ihm fast unmöglich, gewisse Heldenthaten unserer Nachbarn der Tiroler, zu denen man uns so gerne zählt, zu begreifen.

Meine Freude über Ihren Brief haben die Meinen und einige Freunde, biedere herzgute Bregenzerwäldler Bauern und Handwerker, mit mir getheilt. Gelehrte und studirte Freunde hab ich nicht auser einem Bruder meiner Frau, einem Beamten den ich vor 5 Jahren kennen lernte. Sonst hat sich niemand um mich gekümmert als meine Gegner; niemand hat mich geleitet, nachdem ich einmal den Pfarrer auslachte, als der mich vor der Luft aus Norden warnte, „von der man so leicht den Schnupfen bekomme.“ Ich soll eben bei der Mistgabel bleiben, darüber sind unsere Studirten eins geworden. …

Ja das ist eben unser Elend, daß sie alle von Gottes und des apostolischen Stuhles Gnaden uns von einander reißen, und diese auf künstliche Weise großgezogene Selbstsucht … ists eben, was ich in den Sonderlingen darzustellen suche. Der Schauplatz meiner Darstellung ist ein ungemein enger, der Grundgedanke des Werkchens aber ein deutscher. …… Ein Einzelner kann dagegen nichts ausrichten [gegen die bevormundende Trennung von oben], vor allem muß im Bauer der Geist der Gemeinsamkeit, des deutschen Genossenschaftswesens gewekt werden. Ich darf sagen daß ich da für unser Ländchen schon manches gethan habe, was auch anerkannt wird und nicht ganz fruchtlos bleiben zu sollen scheint. Obwohl ich mich hauptsächlich mit der s. g. schönen Literatur beschäftige, so bin ich doch überzeugt, daß es in Vorarlberg wenige gibt, die die Schriften der Schulzeschen und Lassaleschen Richtung, die von Liebig, Carey so fleißig lesen als ich. Auch ist meine kleine Bibliothek von einigen hundert Bänden Gemeingut der ganzen Gegend …

Sie wünschen etwas von meinem Lebens und Bildungsgang zu erfahren. …

Das Glück und der Friede meiner ersten Lebensjahre wurde sogar dadurch nicht gestört, daß ein Artzt mich in betrunkenem Zustand um das eine Auge brachte. Da kam das Jahr 48. Ich war damals 9 Jahre alt und hörte das erste Mal von Mord und Krieg erzählen. Selbst mein Vater, ein ächter Bauer, las jetzt eine Zeitung und mir wurde bald der wöchentlich einmal kommende Bothe [der aus Bezau von der Post Briefe und Zeitungen holt] wichtiger als die Oebstlerin.[1] Der Lärm verging bald – aber ich und der Vater waren nicht mehr die Alten. Wir hatten nun erfahren, daß hinterm Berge auch Leute wären. Halbe Nächte lasen wir um die Wette. Unsere Hausbibliothek enthielt eine 300jährige Legende, Leben und Thaten Schinderhannes, Genofeva und alte Kalender, wir entlehnten daher Altes und Neues, was wir nur auftreiben konnten.


  1. Es wächst gar kein Obst im Thale, auch gar kein Getreide, nur Heu und Holz; Aepfelbäume fand ich zwar in den Gärten beim Hause, aber auf Befragen ward mir die Antwort, man ziehe sie nur der Blüthe wegen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_236.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)