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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der dortigen Malerschule durch die „Blicke“, die er in die Düsseldorfer Kunst- und Künstlerwelt that, – schrieb und veröffentlichte. Dieses für die betreffenden Verhältnisse wichtige und interessante Buch enthält namentlich die dankenswerthesten Mittheilungen über die künstlerische und menschliche Persönlichkeit des jungen Mannes, der hier, an der andern Seite des Tisches sitzend, zu ihm, dem Freunde hinüber blickt, C. F. Lessing’s.

Der große Künstler gehört bekanntlich derselben Familie an, die uns den unsterblichen Gotthold Ephraim Lessing gab. Durch eine außerordentlich späte geistige Entwickelung als Kind fast zu ernster Besorgniß Anlaß gebend, hatte er diese als Jüngling glänzend beschämt und stand mit zwanzig Jahren als ein Meister der Malerei da, dessen Ruhm sein „trauerndes Königspaar“, sein „Klosterhof im Schnee“ und manches andere aus dem tiefen Grund einer mit aller Poesie deutscher Romantik gesäugten, schwermuthvollen, lauteren Jünglingsseele erblühte Werk geschichtlicher und besonders landschaftlicher Kunst weit über des Vaterlandes Grenzen hinausgetragen hatte. Neben der Kunst galt seine Hauptneigung, so schien es, der Jagd, die ihn träumerisch, die Büchse im Arm im Felde und im geliebten grünen Forst „still und wild“ mit kaum geringerer Lust umherschweifen ließ, als die, welche ihm die Befriedigung eines stets regen und mächtigen künstlerischen Schaffensdrangs reichlich gewähren mochte. Die Jagdlust aber prägt entschiedener, als jede andere, ihrer Jünger äußere Erscheinung zu einer bestimmten charakteristischen Form aus, und nicht nur der kurze grüne Jagdrock des Malers, sondern die kühn gebogene echte Jägernase mit dem mächtigen blonden Schnauzbart darunter hätten den Fremden in dieser noch vom Militärdienst her straff gehaltenen soldatischen Gestalt weit eher das „Schooßkind Dianens“ als den Maler der zarten, träumerischen Schwermuth vermuthen lassen, aus welchem sich freilich noch der unvergleichliche Darsteller der großen vaterländischen Helden des freien Geistes und der erhabenen Tragödien der Erlösungskämpfe dieses letzteren entwickeln sollte.

Der Flügel an der Wand steht geöffnet. Vielleicht klingt eben jetzt schon des Capellmeisters Felix Mendelssohn leichter Schritt draußen auf den Kieswegen des Gartens, vielleicht bringt er den Director Wilhelm Schadow, Sohn und Hildebrandt mit von der Stadt heraus, und wenn draußen das Mondlicht auf den schweigenden Büschen liegt, die Blumen stärker duften und die Kerzen den traulichen Raum durchschimmern, tönen noch als Schlußaccord des schönsten Abends unter den beseelten Fingern des hochbegnadigten Tonmeisters jene Tasten im reizenden phantastischen Elfenreigen des Sommernachtstraums, der eben damals in seiner Seele reifte.

Fünf Jahre später (wenn ich diesen Abend in das Jahr 1834 verlege) stand dieser Salon von diesen Bewohnern und diesen Gästen verlassen. Die Freundschaft des Dichters mit der geistvollen Gräfin hatte das gewohnte Ziel jedes derartigen Verhältnisses, das künstlerische Männer für eine Zeitlang an bejahrtere Frauen fesselt, gefunden; die edle Dame hat vielleicht alle Qualen Charlottens von Stein in der eigenen Brust durchzumachen gehabt, sie aber jedenfalls mit besserer Fassung und ruhigerer Würde zu tragen verstanden als die tiefgekränkte Freundin Goethe’s. Immermann hatte sich dem ihr gegebenen Versprechen zum Trotz ohne ihr Wissen verlobt und einem jungen lieben Wesen und, nachdem 1839 die Gräfin ihn und Düsseldorf verlassen, sich in dem Herbst desselben Jahres vermählt: die Natur behauptete ihr unverlierbares Recht, der lange durchgefuhrten Verleugnung derselben und einer raffinirten Vergeistigung gegenüber. Er sollte sein junges Glück nicht lange genießen. Zehn Monate später am Geburtstag Goethe’s trug man den Dichter des Münchhausen zu Grabe! – Gräfin Ahlefeldt lebte inmitten eines geistreichen Kreises von hervorragenden Männern und empfindsamen hochgebildeten Damen bis zu ihrem 1855 erfolgten Tode in Berlin.

Grabbe hatte, von Krankheit und Unruhe verbittert und umhergetrieben, Düsseldorf 1836 wieder verlassen, um in demselben Jahr in seiner Vaterstadt Detmold das Ziel seines verwüsteten Lebens zu finden. In dem Gedicht, das der tieferschütterte Freiligrath diesem „Titanen der Schwäche“ wie ihn ein bekannter Literarhistoriker scharf, aber richtig würdigend bezeichnet, auf das Grab legte, hat er angesichts dieses Schicksals das berühmt gewordene Wort gefunden: „Das Mal der Dichtung ist ein Kainsstempel“ – eine Ansicht, von der ihn die Erfahrung des eigenen spätern Dichterlebens, dem sich gerade der Dichtung Gabe als das hohe Glück, als die Segen-, Trost- und Freudenquelle so reichlich erwiesen, sicher bekehrt hat. Herr von Uechtritz und Lessing sind allein übrig. Jener dichtete und dieser lebte und malte rüstig weiter bis auf diesen Tag. Unsern Lesern von dem, was er seit jenen Abenden in „Immermann’s Kreis“ geschaffen, erst noch erzählen zu wollen, wäre ein überflüssiges Unternehmen: sein Name und seine Werke leben im Herzen seines Volkes.

L. P.





Pariser Bilder und Geschichten.
Industrielle Ausbeutung der Thierwelt in Paris.
Von Ludwig Kalisch.

Man hat schon so viel über die menschliche Bevölkerung von Paris gesprochen! Ich will es versuchen, von dem Loos der Thiere in der Hauptstadt Frankreichs zu sprechen. Dieses Loos ist für die meisten derselben durchaus kein freundliches. Soll ich mit den Pferden beginnen? Für diese war Paris von jeher eine Hölle und wird gewiß auch künftig eine Hölle bleiben. Es hat sich an ihrem Schicksal nur das geändert, daß jetzt eine gewisse Anzahl von ihnen nach einem mehr oder minder mühseligen Lebenslauf verspeist wird. Sie haben ebenso wenig wie die Menschen durch diese gastronomische Neuerung gewonnen. Seit die Hippophagie ihre eifrigen Anhänger gefunden und sich mehrere Pferdemetzger in der Hauptstadt etablirt haben, schwebt mancher Pariser in steter Angst, den lebensmüden Droschkengaul, der ihn heute nach dem Bastillenplatz schleppt, vielleicht schon morgen im Magen herumschleppen zu müssen. Was treibt der Mensch in Paris nicht Alles, um essen zu können, und was wird in Paris nicht Alles gegessen! Wer übrigens einen Begriff von abgelebten, abgequälten Pferden haben will, der gehe an einem Sonnabend auf den Pariser Pferdemarkt. Es ist nicht selten, dort ein Pferd für zehn Franken verkauft zu sehen, und es ist möglich, daß der Käufer seine Voreiligkeit bereut. Nirgendwo in der Welt wird dem armen Pferde so viel zugemuthet wie in Paris.

Die Esel werden gleichfalls zu Zwecken der Küche verwendet. Aus ihrem Fleisch werden nämlich Würste fabricirt. Besonders lecker soll ihr Gehirn sein, woraus zu ersehen ist, daß in den Eselsköpfen mehr steckt, als sich die Philosophie träumen läßt. Eine bedeutende Rolle spielen in Paris die Eselinnen, deren Milch in gewissen Krankheiten so heilsam wirkt. Jeden Morgen sieht man diese munteren Thiere mit kleinen Glocken am Halse heerdenweise durch die verschiedenen Stadtviertel traben und vor den Häusern halten, wo ihre strotzenden Euter dem Siechen wohlthätigen Trank spenden. Trotzdem, daß die Eselinnen vor den Hausthüren gemolken werden, ist man doch nicht immer sicher, die Milch unverfälscht zu erhalten. Die melkende Person nämlich hat wohl zuweilen eine kleine mit einem Röhrchen versehene Wasserflasche im Aermel versteckt und läßt während des Melkens eine gute Dosis Wasser aus dem Röhrchen in die Milch träufeln.

Nicht blos wegen ihrer kostbaren Milch, sondern auch zum Theil als Zugthiere werden die Ziegen gehalten. In den elysäischen Feldern ziehen sie zu vieren und in glänzendem Geschirr an Kinderkutschen gespannt die frohen Kleinen und werfen bei schönem Wetter den Eigenthümern einen hübschen Gewinn ab, denn der Platz, kostet zehn Sous für eine Fahrt von einigen Minuten. Wie von den Menschen, verlangt man in Paris auch von den Thieren die möglichste Vielseitigkeit. Da ich von den Ziegen spreche, muß ich auch des Ziegenhirten Jacques Simon erwähnen, der seine aus zweiundfünfzig wohlgenährten Individuen bestehende Heerde dicht hinter dem Collège de France im — fünften Stocke weidete. Der Leser lache nicht; was ich behaupte, ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_216.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)