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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

dressirt werden, daß sie eine wirkliche Person zum Gegner haben, so ist es doch um der nicht zu verkennenden Gefahr und der dabei leicht eintretenden, das Leben des Angegriffenen bedrohenden Umstände halber, sowie auch des nicht zu vermeidenden Kostenpunktes wegen in Norddeutschland mehr Brauch, dem Hunde eine bewegliche Puppe zu bieten.

Hat man sich alte Kleider von einem Trödler verschafft, welche keine Witterung des Hauses in sich tragen, und dieselben durch festes Ausstopfen mit Werg oder Heu zu einer menschenähnlichen Figur geformt, so lehnt und befestigt man dieselbe an eine hohe, starke Brettwand am besten an die Wand eines Schuppens, welche mehrere Löcher hat, die so groß sind, daß ein Fremder bequem durchsehen und die Arme und den Kopf der Puppe bewegen kann. Die Puppe beginnt zu zappeln und zu gesticuliren, der Mann dahinter aber macht durch Geschrei und Spectakel einen derartigen Höllenlärm, daß der aufmerksame Hund sehr bald nach Zureden und Aufmuntern des Herrn der Puppe zu Leibe geht. Der Herr schlägt nach der Puppe und giebt sich auch hier den Schein, als ringe und kämpfe er mit derselben. Der Hund wird immer aufgeregter, besonders wenn er von dem versteckten Manne einige leichte Schläge bekommt. Das Packen, Rütteln, Schütteln und Zerzausen des gereizten Thieres wird zunehmend lebhafter. Der Herr zeigt ihm auch hier den üblichen großen Lederknopf, und der Hund wird sehr bald regelrecht den armseligen Wicht zu seinen Füßen liegen haben.

Ist diese Art zu dressiren auch weniger vollkommen, so ist sie doch gefahrloser und in vielen Fällen sogar sehr spaßig. Ein Hund von guter Befähigung wird bei öfterer Uebung auch nach letzterer Methode sehr gut.

Wenn ich nun hiermit in kurzen Umrissen angegeben habe, in welcher Weise die Dressur eines Hundes auf den Mann zur Ausführung gebracht wird, so verfehle ich nicht, zu gleicher Zeit darauf aufmerksam zu machen, daß je nach Lage der Umstände oder nach Befähigung des betreffenden Exemplares die Praxis oft auf Schwierigkeiten stößt, welche in so kurzem Raume nicht vollständig erwogen und ausreichend beleuchtet werden können. Daß die gesammte Dressur eines Hundes oftmals große Geduldproben und viel Zeitaufwand fordert, ist wohl leicht denkbar; ebenso erklärlich ist es aber auch, daß ein gut dresirter, namentlich ein ferm auf den Mann dressirter Hund, um des gebotenen Schutzes willen, viel, sehr viel Werth hat und fast unbezahlbar ist, daß daher oft Preise, wie es bei Herrn Essig der Fall ist, von fünfundzwanzig Gulden bis eintausend Gulden und darüber gezahlt werden, je nach Alter, Schönheit und Dressur der betreffenden Exemplare. Ebensowenig vergesse ich aber auch hinzuzufügen, wie es jedem Besitzer eines auf den Mann dressirten Hundes Pflicht sein muß, die größte Vorsicht und Ueberwachung seinem Hunde gegenüber stets zu beobachten; die Geschichte hat, und gerade in der jüngsten Zeit, traurige Fälle sorgloser und fahrlässiger Beaufsichtigung genug verzeichnet.

Für gewöhnlichen Hausbedarf oder als Gespiele der Kinder genügt auch vollständig ein Exemplar der Leonberger, welchem das Prädicat „auf den Mann dressirt“ abgeht. Ist wirklich Gefahr da oder wird der ernste Versuch gemacht, den Hund zu hetzen, so habe ich an meinen ganz vorzüglichen Leonbergern die öftere Wahrnehmung gemacht, daß sie recht wohl verstehen, ohne längeren Cursus durchlaufen zu haben, ihren Mann zu stellen. Die Hauptsache ist freilich, sich den Hund als Freund gezogen zu haben und seines unbedingten freudigen Gehorsams versichert zu sein; brutale, rohe Behandlung verfehlt auch hier den Zweck.

Th. Hering.





Blätter und Blüthen.

Der Tanz der Willis. Wer kennt das reizende Ballet „Gisela oder die Willis“ nicht? Es hat auf allen Bühnen Furore gemacht, doch ist es Niemanden eingefallen, nachzugrübeln, ob das Ganze blos eine poetische Idee, eine Erfindung sei oder eine auf eine Sage gegründete Volkssitte darstelle. Dies letztere ist indes der Fall, denn diese Sitte lebt noch jetzt unter dem Volke und zwar in Ungarn im Gömörer Comitat, unter den sogenannten Galóczen, deren Sprache sich von der anderer Ungarn nur durch die breitere, vollere Betonung der gedehnten Selbstlauter A und E unterscheidet. Die Sage selbst, die der Dichter Alexander Kisfaludy in Verse gebracht hat, ist die folgende: Der Ritter Lóránth zog mit dem Heerbanne Andreas des Zweiten nach Palästina und ließ daheim eine ihn liebende Braut. Als er nach mehreren Jahren aus dem heiligen Lande zurückkehrte, war sie bereits todt: er wanderte zu ihrem Grabe und benetzte mit seinen heißen Thränen die kühlen Matten, welche ihre irdischen Ueberreste deckten. In seinem Leid bemerkte er gar nicht, wie schnell die Stunden verstricken und daß der Mond hoch am Himmel und Mitternacht vorbei war. Mit Einem Male erblickte er die Gestalten mehrerer Mädchen und zwischen ihnen auch die seiner verstorbenen Braut; sie forderten ihn zum Hochzeitsreigen auf, und er mußte mit ihnen so lange tanzen, bis er, vorn Schlag getroffen, todt zu Boden stürzte und somit seiner Geliebten in’s Jenseits folgte. Bis hierher geht die Sage. Die Volkssitte aber besteht darin, daß, wenn eines jungen Mannes Braut stirbt, er von den Freundinnen der Verstorbenen nach dem Gottesacker gerufen wird und hier mit ihnen so lange tanzen muß, bis er wenigstens halb todt vor Erschöpfung zusammensinkt, ja, es geschieht sogar oftmals, daß er nie wieder aus eigenen Kräften aufsteht, sondern, vom Schlag getroffen, dem Beispiel des Ritters Lóránth folgt. Ich selbst war einmal Zeuge eines solchen Tanzes; zwar wohnte ich dem Ende desselben nicht mehr bei, doch erhielt ich vom traurigen Ausgange Kunde.

Es war in den ersten Tagen des Januarmonates, im Jahre 1849, als ich mit Ladislaus von Ujházi nach der unglücklich ausgefallenen Schlacht bei Kaschau in das Gömörer Comitat reiste; seine Gattin und drei seiner Kinder befanden sich dort im Hause seines Schwagers, Samuel von Dráskóczy, zu Harkács; diese wollte er von dort abholen und mit sich nach Debreczin nehmen, wo damals der ungarische Reichstag versammelt war. Bald nach unserer Ankunft kam ein junger Bursche, ein Stallknecht des Hausherrn, aus dessen Zimmer; er war in seinem besten Staat, hatte einen Blumenstrauß auf seinen Hut gesteckt und einen anderen an seine Brust, sah aber sehr traurig aus. Thränen glänzten in seinen Augen, seine Stimme war matt und gebrochen, man sah es ihm an, daß ihm ein großes Leid zugestoßen sei. Er bat seinen Herrn um Erlaubniß, auf die Hochzeit gehen zu dürfen.

„Deine Braut ist ja gestorben,“ bemerkte Dráskóczy, „und erst vor Kurzem; Du bist ein leichtsinniger Bursche, daß Du nicht einmal das Ende der Trauerzeit, sechs Wochen, abwartest, sondern jetzt schon eine Andere heirathest. Ihr habt Euch ja so sehr lieb gehabt, daß ich glaubte, Ihr könntet ohne einander nicht leben.“

„So ist es auch, gnädiger Herr,“ entgegnete der Bursche mit von Thränen halberstickter Stimme, „ich kann auch ohne meine Panni nicht mehr leben; eben deshalb will ich heute Abend Hochzeit an ihrem Grabe halten, die Willis werden dort sein, sie erwarten mich.“

„Das ist ein noch größerer Unsinn, und gut, daß Du es mir meldest, denn jetzt laß ich Dich durchaus nicht fort. Ich werde es meinem Beschließer sagen, daß er Dich in’s Loch steckt; dann werden Dir alle diese tollen Gedanken vergehen.“

Dráskóczy ertheilte die nöthigen Befehle, man sollte ein wachsames Auge auf den Burschen haben, und der Beschließer versprach, ihn auf’s Strengste beobachten zu lassen.

„Der Martzi wird dennoch durchgehen,“ sagte der Kutscher dem Sohne Dráskóczy’s und mir, als wir hinabgingen, um die Wagenpferde einiger Herrschaften zu besehen, die soeben als Gäste hierher gekommen waren.

„Glaubst Du?“ fragte der junge Dráskóczy.

„Ich weiß es gewiß; die Dorfmädchen werden ihn in Freiheit setzen; und wenn er unter der Erde verborgen wäre, sie fänden ihn doch auf, und die Bursche und alle Leute werden ihnen dabei helfen, der Herr Beschließer mag thun, was er will.“

„Es wäre vielleicht gut,“ meinte ich, „wenn ihn Dein Vater aus dem Comitate senden würde.“

„Er käme zurück, ohne daß man es ahnete,“ sagte der junge Herr. „Uebrigens, lassen wir den Leuten ihre Sitten, wenn sie sich dabei wohl befinden; es ist doch der poetischste Selbstmord, den der Bursche an sich begehen kann, und nicht bei allen diesen Tänzen folgt nothwendig der Tod. Der Mensch wird so lange tanzen, wie ihn seine Beine tragen; stürzt er einmal zusammen, dann lassen sie ihn liegen. Er schläft seinen Rausch aus, hat der Sitte und seinem Gewissen genug gethan und darf heirathen, denn nur wenn er den Willitanz glücklich überstanden, darf er es thun; eher würde ihm kein Mädchen die Hand am Altar reichen. Wenn Du willst, komm’ mit mir um Mitternachtszeit in den Friedhof, Du kannst diesem Todtenballe beiwohnen; ich selber habe noch keinen solchen gesehen, sondern nur davon gehört. Ich werde Dich abholen.“

„Ich aber werde Alles versuchen, um ihn zu verhindern,“ sagte ich.

Es war nicht möglich etwas dagegen auszurichten; weder der alte Herr von Dráskóczy, noch der Beschließer, noch auch ich konnten den Tanz hindern, die Bauern wären ohne Zweifel zum Aeußersten geschritten, wenn man Gewalt gebraucht hätte.

Gehen elf Uhr nahm mich der junge Dráskóczy bei Seite und fragte mich, ob ich mit ihm auf den Friedhof gehen wolle. Ich hoffte, noch immer den Menschen retten zu können und folgte meinem Freunde. Als wir in die Einzäunung traten, erblickten wir bereits einige Mädchen in weißen Gewändern, mit aufgelösten Haaren und Rosmarinkränzen auf den Häuptern. Wir lehnten uns mit dem Rücken an die Wand der Capelle und warteten hier. Bald kam die Zigeunermusikbande, darauf der Bursche von zwei Willis geführt: offenbar hatte er schon mehrere Glas Wein hinabgestürzt. Die Mädchen sangen, die Musikanten spielten, er begann den bacchantischen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_415.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)