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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Excellenz! Ignorire die Hungersnoth im Lande und jage den Geist aus den Schulen – da hast Du gut regieren! … Was freilich kümmern Dich deutscher Geist und deutsches Elend, Du fremder Eindringling –“

Der Kopf des Ministers verschwand, und die Vorhänge fielen wieder dicht zusammen – durch das Vestibule aber scholl eine heftig angezogene Glocke.

Ob die unmittelbar darauf hervorstürzenden Diener Befehl hatten, „den Schreier“ wegzubringen, blieb unentschieden. Der Hüttenmeister hatte bereits seine Arme um die Schultern des Bruders geschlagen und zog ihn fort.… Die hohe, athletische Gestalt des jungen Mannes aber, der noch einmal den Kopf mit der todesstarren Ruhe in den Zügen nach dem Schlosse zurückwandte, war wohl geeignet, Bedientenseelen Respect einzuflößen – die Leute blieben zögernd stehen, während die Brüder den Schloßgarten durchschritten.

Ein leises Abenddämmern webte bereits über der Gegend. Der Sonnenschein, der heute unermüdlich und energisch an die braunharzige Knospenhülle der Bäume, an das Schlafkämmerlein des Samenkorns und an die winterverschlafene Menschenseele geklopft hatte, war verblaßt; nur auf dem Scheitel der Berge, hinter denen er versunken, loderte noch ein orangefarbenes Licht.… Es war plötzlich sehr kühl geworden; über den Treibhausfenstern lagen längst die schützenden Strohmatten und die Schlöte in Neuenfeld dampften weidlich.

Wußte der Hüttenmeister nicht, daß er die entgegengesetzte Richtung einschlug, als er aus dem Gitterthor des weißen Schlosses trat? Dort drüben lag das Hüttenhaus mit seiner gemüthlichen Stube. Sievert schob sicher in diesem Augenblick ein Scheit Holz um das andere in den riesigen Ofen, warf einige kräftig duftende Wachholderbeeren auf die heiße Platte, deckte den Tisch so sorgfältig, wie nur je bei seiner hochadeligen Herrschaft, und zog die Vorhänge zu.… Dort lag das schützende Asyl, das Heim – und dahinaus ging’s in die pfadlose Wildniß.…

Der Student ergriff besorgt die Rechte seines Bruders – ein Blick fiel auf ihn, und seine Hand wurde mit pressendem Drucke festgehalten – jetzt wußte er, daß die Seelenqual den schweigsamen Mann vorwärts trieb. Er schritt wortlos neben ihm her, und weiter ging es über schwimmende Wiesen, deren versumpfter Boden unter jedem Schritt einsank, durch Erlengebüsch, das nebelathmend die Niederung bedeckte, und da, wo der Berg in fast unwegsamer Steilheit seine mit Tannen bestandene Flanke vorstreckte, stiegen die schweigenden Wanderer aufwärts.… Was hilft es dem zu Tode getroffenen Hirsch, daß er sich in die Einöde rettet? Er trägt das mörderische Blei in sich – es läuft mit ihm über Berg und Thal.… Und der Mann, der in athemloser Flucht bergaufwärts klimmte, schleppte die Last seines Elends mit hinauf – er entrann ihm nicht – nichts, gar nichts behielt das dumpfe Thal drunten. In der todesstillen Einsamkeit schrie das Weh, das er hinter den schweigenden Lippen verbiß, lauter auf – wie der Schrei des wilden Vogels verzehnfacht wiederhallt in den schauerlichen Schluchten und Klüften.

Dunkle Wasser flossen über den mit dicken Nadelschichten bedeckten Boden und machten den steilen Weg schlüpfrig und gefahrvoll. Es dämmerte stark unter den Tannen, die ihre noch schneefeuchten Zweige in fast schwarzer Zeichnung vom Himmel abhoben – nur hie und da, wo das Dickicht schützend seine Arme verschränkte, leuchtete noch ein kleiner verschonter Schneestreifen und nahm spukhafte Form und Gestalt an.

Ueber dem Berggipfel hing der Himmel, ein stahlblauer Schild, auf den die Verheißung geschrieben hat: „Ruhe und Frieden“.… Für das Menschenherz jedoch, das sich auf die Höhe geflüchtet, war der Himmel eingestürzt in dem Augenblick, wo es verrathen wurde.…

Der Hüttenmeister trat weit vor auf der Plattform des Berges, während der Student sich erschöpft an einen Baum lehnte. Drunten im Grund verwischte das hereinbrechende Dunkel bereits alle Linien; nur den schäumenden Fluß betupften noch einzelne schwache Reflexe – sein Rauschen und Tosen scholl dumpf herauf.… Im Dorfe tauchten die Lichter auf; über der Esse des Hüttenwerks aber schwebte die Gluth und leckte mit feurigen Zungen über den Himmel hin. Und dort lag das vornehme, stolze Quadrat, das weiße Schloß, mit seinen lichtstrahlenden Fensterreihen.… Seine Excellenz rollte wohl bereits der Residenz und dem Hofball zu – Triumph auf dem bleichen Gesicht und unter den schläfrigen Lidern – und im Seezimmer, auf dem schwellenden Ruhebett der Gräfin Völdern, lag vielleicht in diesem Augenblick das Kind der Blinden im schimmernden Seidenkleid, dem Handgeld fürstlicher Huld und Gnade, und träumte – von dem nächsten Hofball, wo mit der strahlend schönen neuen Hofdame ein blendender Stern aufging.… Die lange Ahnengalerie im verlassenen Waldhause – dieser durch den Pinsel festgehaltene vollkommene Typus des Adelstolzes lebte noch einmal auf in dem jüngsten Sproß – der alte Name wurde wieder an den Höfen genannt. In diesem jüngsten Sproß steckte Race, der strenge Geist der Vorfahren.… Das uralte Trauerspiel, zu welchem diese Reihe hochadeliger Jäger genug Acteure geliefert, wurde wieder einmal aufgeführt: der aristokratische Hochmuth verrieth die Liebe.

Der verrathene, plötzlich aus der Bahn ruhigen Denkens geschleuderte Mann wäre vielleicht die ganze Nacht, nach einem inneren Gleichgewicht ringend, über Berg und Thal gewandert, hätte nicht endlich der zu Tode erschöpfte Student seinen Arm erfaßt und ihn bittend dem Rückweg zugewendet. Bis dahin war kein Wort zwischen den zwei Umherirrenden gefallen – sie waren den Berg jenseits hinabgestiegen und hatten ein schmales Thal durchschritten, um abermals an einer Felsenwand emporzuklettern. Jetzt standen sie in einer tiefen Kluft, durch welche der hochangeschwollene Fluß donnernd stürzte.

(Fortsetzung folgt.)


Thier-Charaktere.

Von Brehm.
5. Das Chamäleon.

Alte Erinnerungen wogten in seltener Frische in mir, als ich im Laufe des vergangenen Sommers eine reichhaltige Sendung theilnahmswerther, ja liebenswürdiger Kriechthiere empfing. Vor meinem geistigen Auge baute sich die von mir längere Zeit bewohnte Behausung im arabischen Viertel Alexandriens wieder auf, und ich gedachte jener Stunde, in welcher ich Bekanntschaft machte mit dem „Kleinstädter in Aegypten“, einem der geistreichsten Menschen, welche mir Afrika zugeführt hat, dessen noch fortdauernde Freundschaft ich als ein liebes Erbtheil jener Zeiten betrachte.

Unter Führung meines Lehrers, des Hadj M’sellem Aali, dessen Mund, gleich den Lippen Mirza Schaffy’s, überfloß von morgenländischer Weisheit, durchwandelte ich den Blumengarten der „Tausend und einen Nacht“, als der „Weise des Abendlandes“ in mein einfaches Zimmer trat, um sich Raths zu erholen bezüglich seiner zu unternehmenden Reise im Lande der Pyramiden. Wie eine Stromschnelle des Nil flutheten die Worte des Unerschöpflichen; – da, plötzlich, stockte die Rede, und Widerschein der Verwunderung, wo nicht eines gelinden Schauders, zog über sein Antlitz. Die Genossenschaft meines Zimmers war rege geworden. Hinter der Kiste, welche dem Gaste zum Sessel gedient, stelzten mit Vogelschritten einige von ihm gestörte Springmäuse hervor, und als das Auge, ihnen wohlgefällig folgend, das Zimmer durchblickt, mußte es nothgedrungen noch ganz andere Geschöpfe gewahren. Sandnattern in Kästen, Schleuderschwänze in Käfigen, Chamäleons auf allen Vorsprüngen, Ecken, Erhabenheiten etc.

„Beim Barte des Propheten, den zu verehren ich mich anschicke, welch’ wundersame Genossenschaft theilt mit Ihnen das Zimmer! Es wird Einem schier unheimlich inmitten solchen Gethieres, von welchem man doch nicht wissen kann – –“

„Ob man seines Lebens sicher,“ fiel ich ihm in die Rede;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_132.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2018)