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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Art von Spaltung eingetreten; Garibaldi hatte sich, berauscht von dem Gedanken der Befreiung Venedigs, an die Spitze der Freiwilligen gestellt und in der Eile vergessen, die Regierung, ehe er seinen Posten annahm, durch Bedingungen zu binden, welche sie ihm in diesem Augenblicke, wo die ganze begeisterte Bevölkerung dringend nach ihm als ihrem Retter verlangte, unmöglich abschlagen konnte, Bedingungen, die so nothwendig gewesen wären, da die Erfahrungen von Sarnico und Aspromonte hinlänglich bewiesen hatten, wie der Herrscher, der Garibaldi die Krone der beiden Sicilien verdankte, gegen ihn gesinnt war. Ein Theil der republikanischen Partei, vertreten von den Leitern des Journals „L'Unitá Italiana“, rieth unter diesen Umständen von der Theilnahme am Kriege ab, da es zu nichts Gutem führen könne, unter monarchischer Fahne zu kämpfen; ein anderer Theil, der an dem Journal „Il Dovere“ seinen Ausdruck fand, behauptete dagegen, Mazzini’s Einfluß folgend, die Vaterlandsliebe müsse hier die erste Norm sein und für Venedig müßten alle Italiener aufstehen; später folgten dieser Meinung auch die meisten derjenigen, die sie zuerst bekämpft hatten, hingerissen von dem unwiderstehlichen Zauber des Befreiungskrieges.

Mazzini tadelte Garibaldi, daß er keine Bedingungen gemacht, ehe er den Oberbefehl annahm, um so mehr, da er doch selbst wisse, was er von der Regierung zu erwarten habe, und sogar gegen seine Vertrauten in Caprera die Aeußerung gethan: „Ich zweifle nicht, daß man uns verrathen und eine Falle stellen will, daß wir Alle aufgeopfert werden!“

„Das ist ein unrichtiger Edelmuth,“ bemerkte Mazzini, „um so mehr, da es sich nicht um ihn allein handelt, sondern um alle die Seinen.“

Wie sehr Mazzini hierin Recht hatte, bewies die Folge, wo Garibaldi mit den Seinen in Tirol allem möglichen Elend ausgesetzt war und dann, dem Befehl der Regierung gehorchend, sich zurückziehen mußte, die arme italienische Bevölkerung dort, die ihn jubelnd als Befreier begrüßt hatte, auf’s Neue der österreichischen Herrschaft überlassend!

Ich fragte Mazzini, ob die ganze republikanische Partei mit Garibaldi gehen werde?

„Ja,“ erwiderte er, „sie müssen es Alle thun. Ich habe es ihnen gerathen. Je größer die Stärke der Freiwilligen sein wird, je größer wird auch ihre Macht. Ich arbeite in dieser Richtung so viel ich kann; kenne ich sie doch Alle, Alle, diese muthigen jungen Leute! Es sind deren eine so große Anzahl, daß, wenn ich an sie Alle denke, mir beinahe der Kopf schwindelt. Viele haben bei mir angefragt, ob sie auch unter der gegenwärtigen Fahne mitgehen sollen? Ich sage: Ja, um für Venedig zu streiten! Es ist etwas ganz Anderes, ein Abgeordneter zu sein, der seinen Eid leistet, um Gesetze zu machen, wobei man sich für die Monarchie entscheiden muß oder nicht, oder ein Soldat, der für das Vaterland kämpft. Und dann, wenn irgend ein Zwischenfall eintritt, wie im Kriege von 1859 der Vertrag von Villafranca war, so sind sie ja ohnehin ihres Eides entbunden. Viele Dinge sind möglich. wenn wir in Venedig siegen, so muß die Freiwilligenschaar sogleich mit Nachdruck verlangen, nach Rom zu gehen, mit der Regierung, oder ohne sie. Unterliegen wir hingegen – und dies ist sehr möglich, wenn sie das Festungsviereck angreifen; ich weiß, daß sie Verona bestürmen wollen – dann wäre der Augenblick gekommen, die Geister zu entflammen und eine bessere Fahne aufzupflanzen. Eine Niederlage kann ich nicht wünschen,“ sagte er mit ernster, bewegter Stimme, „weil eine solche traurig und furchtbar wäre, aber wenn sie dennoch stattfände, könnten vielleicht andere glückliche Ereignisse für uns eintreten.“

Hierbei leuchteten seine Augen in jugendlicher Gluth und edelster Begeisterung.

Wir sprachen hierauf noch Vieles, das erst in späterer Zeit mitzutheilen sein wird. Von seinem Vaterlande sprach er mit großer Liebe; er rühmte lebhaft Sicilien und setzte hinzu, sein größtes Vertrauen setze er in die Lombarden, in ihre Thätigkeit und Kraft. Später wandte sich das Gesprach auf Deutschland, für das er großes Interesse hegt. Wir beriethen zusammen über die Mittel, die sich zu einer engeren Vereinigung und besseren Kenntniß zwischen dem deutschen und italienischen Volke darbieten. Freiligrath, den er zwar in dem weitläufigen Londoner Leben äußerst selten sah, schätzte er sehr und nannte ihn eine echt poetische Natur. Er erzählte, daß ihn vor einiger Zeit Lassalle besuchte, der einen bedeutenden, aber irregeleiteten Geist besäße. Auf das Liebenswürdigste versprach er, mich mit seinen Freunden bekannt zu machen. Sogar für meinen italienischen Diener sorgte er, daß dieser sich nicht in der fremden Stadt zu einsam fühle, und gab ihm eine Empfehlung an in London wohnende Landsleute.

Ueber eine Stunde war in lebhaftestem Gespräch rasch vergangen; ich sah ihm an, daß er litt. Er klagte über die Schmerzen, die so oft wiederkehrten, wenn er angeregt gesprochen. Ich sagte ihm, ich mache mir Vorwürfe, so lange geblieben zu sein. Er wies dies zurück, indem er mir in einer ganz besonderen eigenthümlichen und liebevollen Weise die Hand schüttelte. Als ich ihn verließ, begleitete er mich bis an die Thür und blickte mir freundlich nach, während ich die Treppe hinunter ging.

Der Eindruck, den ich von ihm empfangen, war mächtig. Die beiden Eigenschaften, die in seiner Persönlichkeit vorherrschen und Einem auf den ersten Blick entgegentreten, sind Charaktergröße und Güte; und beide besitzt er in gleich hohem Grade. Nichts von dem Fanatismus, den so viele meiner Landsleute in ihm voraussetzen. Wer Mazzini sieht, kann nicht zweifeln, daß er ein Mann ist, der in der höchsten und edelsten Sphäre, in einer Welt des Geistes, der Gedanken, der Ideen lebt, beschäftigt mit den wichtigsten Fragen der Menschheit, erhaben über alles Kleine, über alle Schwächen, daß sein ganzes Wesen aus Tugenden und schönen Leidenschaften besteht. Sein ganzes Leben, eine Kette von großartigster Aufopferung und bitteren Leiden, hat er seinem Ideal, dem Fortschritt der Menschheit, gewidmet, und diesem Ideal zu Liebe auf alles persönliche Glück verzichtet.

In seiner Erscheinung und in seinem Benehmen ist eine natürliche angeborene Hoheit und Würde; ruhig und ernst, besonnen, heiter und gefaßt ist er in seinen Aeußerungen, doch bemerkt man die innere Gluth, sowie das Gespräch einen höheren Flug nimmt. Seine Gestalt ist von mittlerer Größe und außerordentlich harmonisch gebildet, der Kopf sehr schön auf die Schultern angesetzt, die Bewegungen frei und edel, die Züge fein und charaktervoll zugleich und von größter geistiger Beweglichkeit. Die Stirn ist hoch und gewölbt, sein Lächeln bezaubernd und herzgewinnend, die Stimme wohllautend, voll Kraft und Ausdruck und läßt in nichts sein Alter errathen. Das Wort Alter hat überhaupt seinen Sinn und seine Bedeutung verloren, wenn man es auf Mazzini anwenden will. Als ich ihn sah, war er einundsechszig Jahre. Wer aber könnte wagen, diesen Mann alt zu nennen? Wohl sind seine Züge schmerzdurchfurcht und tragen die tiefen, unwiderleglichen Spuren physischer und geistiger Leiden, wohl sind seine Haare und besonders der Bart ergraut, aber aus seinen wunderschönen Augen, die siegreich strahlen wie die Sonne Italiens, leuchten Jugendmuth und Jugendanmuth.

Denker, Gesetzgeber, Prophet, Menschenfreund und Mann der That, blickt er trotz seiner ungeheuren Ueberlegenheit mit Milde und Verständniß auf die Uebrigen; er versteht Alle, während er von so Vielen nicht begriffen wird.

Seine Wohnung ist klein, einfach und bescheiden, die eines Apostels. Ich sah mich in seiner engen Stube um; die Fenster, von denen grüne Vorhänge herabhängen, gehen auf grüne Bäume hinaus; zwitschernde Canarienvögel fliegen frei im Zimmer umher; überall lagen Bücher, Schriften, Pakete aufgehäuft; keine Unordnung, sondern jene willkürlich zusammengesetzte Ordnung, wie sie eine rastlose und unermüdliche Thätigkeit bedingt. Ein Stehpult, Bücherrepositorien, ein Gewirre von Zeitungen überall; eine Chaiselongue mit grauseidenem Kissen, die sein gewöhnlicher Platz beim Arbeiten ist; seit die niedergebeugte Stellung beim Schreiben ihm Schmerzen verursacht, schreibt er auf den Knieen wie Alexander von Humboldt.

Ich wollte den folgenden Morgen auf ein paar Tage eine Freundin in Bath besuchen; er hatte aber mit mir verabredet, daß ich unmittelbar nach meiner Rückkunft wieder zu ihm käme. Als ich am 30. Morgens wieder in London anlangte, fand ich ein Billet von ihm und eilte unmittelbar zu ihm. Ich fand ihn auf das Lebhafteste mit den italienischen Angelegenheiten beschäftigt. Er erwartete mit Ungeduld den Krieg. Er beklagte wieder, daß Garibaldi, der Einzige, der habe Bedingungen stellen können, dies versäumt. Mazzini hatte soeben an ihn geschrieben. Befürchtungen, Hoffnungen, Möglichkeiten erörterte er in bewegter Rede; der

Angriff auf die Festungen, auf Verona, den man beabsichtige, habe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_651.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2022)