Seite:Die Gartenlaube (1872) 261.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Wellen auf- und niedertauchende Matrose vermochte das Rettungsseil nicht zu fassen, seine Rettung mußte aufgegeben werden.“

So schloß der Bericht des geretteten Steuermanns. – Die fürchterlichen Seestürme hatten aber alle Badegäste so erschreckt, daß mit dem ersten schönen Tag das Dampfschiff mit den letzten Badegästen nach Emden abfuhr, wo uns die freudige Nachricht mitgetheilt wurde, daß von dem holländischen Lootsenkutter der auf dem Mastbaume zurückgelassene Matrose am andern Tage gerettet worden, was bei einer vollkommenen Ausrüstung des deutschen Rettungsbootes am Tage des Schiffbruchs gewiß hätte geschehen können.

Es ist nämlich die gesammte Lootseneinrichtung an der Nordsee von einer Privatgesellschaft gegründet, welche ihren Sitz in Emden hat. Dank dieser Gesellschaft ist auf Borkum eine Rettungsstation eingerichtet, welche das Rettungsboot liefert und einem jeden Schiffer im Rettungsboot zwei Thaler für eine Ausfahrt, und für jeden geretteten Mann fünf Thaler zahlt. Diese jedenfalls sehr gering angesetzte Rettungsprämie genügt, um bei dem innewohnenden edlen Trieb der Insulaner Schiffbrüchige mit Aufopferung ihres eigenen Lebens zu retten; nicht aber entspricht das Rettungsboot selbst den Anforderungen. Zwar ist es leicht und fest gebaut, doch gegen eine überstürzende Welle so wenig geschützt, daß die Einlegung eines doppelten Bodens erforderlich wäre, damit das Boot sich selbst wieder entleeren kann und die Mannschaft nicht gezwungen ist, bei einem solchen Unfall ihre Ruderarbeit für Ausschöpfen des Bootes einzustellen. Mit einer solch bewährten Einrichtung würde die Mannschaft auch kühner vorgehen können.

Ferner möchte es unbedingt nöthig sein, nach einem so gefahrvollen Orte, wie die Insel Borkum mit ihrem gefürchteten Riff ist, während der Aequinoctialstürme bewährte Beamte zu versetzen, damit diese selbstständig handeln können, um bei sehr stürmischer See theils höhere Prämien zu bestimmen, theils auch von der Hauptstation durch den Telegraphen den Abgang eines Dampfbootes zu ermöglichen. Wäre ein solches an den beiden Tagen zur Stelle gewesen und hätte man die bewährten Rettungsraketen zur Hand gehabt, so wären möglicher Weise auch die oben angeführten Opfer nicht zu beklagen gewesen.

Hoffentlich wird diesem Mangel durch eine zweckentsprechende Einrichtung abgeholfen werden; am durchgreifendsten dürfte dieselbe nur dann erzielt werden, wenn das Ganze Staatsinstitut geworden und die deutschen Küsten vom deutschen Reich ihren vollen Schutz genießen.

Curt Walther.




Der Befreier Kinkel’s in Amerika.


Erst einmal seit dem Bestehen des amerikanischen Freistaates war es einem Ausländer gelungen, eine ähnliche Stellung unter den Staatsmännern der jenseitigen Republik einzunehmen, wie sie Karl Schurz, der kühne Befreier Gottfried Kinkel’s aus dem Zuchthause zu Spandau, sich erkämpft hat. Jener war ein Genfer, Albert Gallatin, welcher als neunzehnjähriger Jüngling nach Amerika ging, um an dem Unabhängigkeitskampfe der Colonien gegen das englische Mutterland Theil zu nehmen, und welcher dann unter der Präsidentschaft von Jefferson und jener von Madison mit der Leitung des Finanzministeriums beauftragt war, und zuletzt als einer der Bevollmächtigten seines Adoptivvaterlandes beim Abschluß des Friedensvertrages von Gent mitwirkte. Wir sagen, eine ähnliche Stellung, denn Karl Schurz hat eine höhere Stufe erklommen, die höchste, welche ein Ausländer erreichen kann, indem er Mitglied des Senates geworden ist, einer Körperschaft, welche mit dem Volks-Hause des Congresses die gesetzgebende, und mit dem Präsidenten wichtige Attribute der vollziehenden Gewalt theilt.

Karl Schurz war, wie Albert Gallatin, noch sehr jung, als er 1852 nach den Vereinigten Staaten kam, etwa dreiundzwanzig[WS 1] Jahre. Gallatin hatte der Freiheitsdrang getrieben; er wollte einem um seine Unabhängigkeit ringenden Volke Hülfe leisten; Karl Schurz hatte für die Freiheit und Einheit des eigenen Vaterlandes gekämpft und sein Lohn war Verbannung. Doch das Loos seines Freundes und Lehrers, des deutschen Dichters Gottfried Kinkel, war ein noch viel grausameres. Ihn umschlossen die düsteren Kerkermauern. In der Zuchthausjacke büßte der deutsche Dichter am Spinnrocken in einsamer Zelle zu Spandau das Verbrechen, sein Vaterland geliebt zu haben. Der Heimath Lebewohl zu sagen, in welcher der Freund und Kampfgenosse unwürdige Behandlung erduldete, dies vermochte Karl Schurz nicht; selbst durch eine kühne Flucht aus Rastatt den Standrechtskugeln entronnen, entwarf er den noch viel kühneren Plan zur Befreiung Kinkel’s und mit eigener Gefahr für Leben und Freiheit rettete er sich den Freund, der Welt den Sänger. Und als der Mann mit dem festen Charakter und der männlichen Entschlossenheit, mit den markirten Zügen, den klug blitzenden braunen Augen und dem dunkelblonden Haar, wie ihn Moritz Wiggers in der „Gartenlaube“ von 1863 (Nr. 7) gezeichnet hat, glücklich vollbracht, was zu vollbringen er sich vorgesetzt, schied er, bitteres Wehe im Herzen, von dem heimischen Boden, um sich nach kurzem Aufenthalt in London jenseits des Meeres ein neues Vaterland zu suchen.

Karl Schurz widmete die ersten Jahre seines Aufenthaltes in Amerika ernsten Studien. In einem kleinen Städtchen Wisconsin’s lebte er zurückgezogen. Dort machte er sich mit der Sprache, den Gesetzen und der Geschichte des Landes vertraut. Der im Jahre 1854 durch die Douglas’sche Truglehre von der Volkssouveränetät, vermittelst welcher die Negersclaverei in die noch nicht unter die Staaten aufgenommenen Gebietstheile eingeschmuggelt werden sollte, neu entzündete Kampf der freien Staaten des Nordens gegen die Negersclaverei rief Karl Schurz zum ersten Male auf die politische Bühne. Mit Erstaunen und Begeisterung berichteten anglo-amerikanische Blätter von einem jungen Deutschen, der in herrlicher Rede, in schönem und classischem Englisch die Sache der Freiheit zu vertheidigen gekommen sei. Der Name Karl Schurz flog zuerst im Nordwesten von Mund zu Munde, er sollte sich bald über alle Theile des Landes verbreiten, gefeiert werden unter den Republikanern, gefürchtet von den Demokraten, die bis dahin gewohnt waren, auf die Stimmen der eingewanderten Deutschen zu rechnen. Stephen Douglas, der berühmte Senator von Illinois, der Führer des nördlichen Flügels der Demokraten, fand in dem kühnen Fremdlinge einen ebenbürtigen – einen überlegenen Gegner. Schurz’ „Anklageact“, wie er seine Hauptrede gegen Douglas nannte, trug nicht wenig dazu bei, die Deutschen massenhaft aus dem demokratischen sclavereifreundlich gesinnten Lager in das freiheitliche der Republikaner zu führen und die Präsidentenwahl im Jahre 1860 zu Gunsten der Letzteren zu entscheiden.

Abraham Lincoln belohnte die Dienste, welche der deutsche Demosthenes der Sache der Freiheit geleistet, mit dem Gesandtschaftsposten in Spanien. Allein kaum war Karl Schurz an dem Hofe der tugendsamen Isabella erschienen, als auch schon die Kriegstrompete in den Vereinigten Staaten erschallte. Konnte er, während die von ihm mit den Waffen des Verstandes und aus vollem Herzen vertheidigte Sache die Bluttaufe erhielt, müßig an dem Hofe der steifen Etiquette in dem Dufte der Unschuldsrose rasten? Wer hätte dies von Karl Schurz denken dürfen? Er trat als Brigadegeneral in die Armee, wurde bald zum Generalmajor befördert und befehligte in der unglücklichen Schlacht von Chancellorsville eine aus lauter deutschen Regimentern bestehende Division des elften Armeecorps. Dem Ungestüm, der überlegenen Strategie Stonewall Jackson’s, der mit Uebermacht aus schützendem Walde hervorbrach, konnte er nicht Stand halten.

Nach beendigtem Kriege finden wir Karl Schurz als Redacteur einer in englischer Sprache gedruckten republikanischen Zeitung in Detroit, im Staate Michigan; allein die journalistische Laufbahn konnte ihn nicht befriedigen, und – offen gestanden, die Journalistik war auch kein Feld für ihn, außer zur Vorbereitung für die Carriere des Staatsmannes, in welcher Alle, die ihn mit Aufmerksamkeit und mit mehr als oberflächlichem Blicke beobachtet hatten, seinen wahren Beruf erkannten.

Aber in Amerika genügt Talent und staatsmännische Befähigung

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dreiunddreißig, siehe Berichtigung in Heft 18
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_261.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)