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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Dankbarkeit bezeigte dafür, was sie mittelst ihrer Schriften an seinen Töchtern gethan, und dabei die „Schriftstellerin“ betonte, entgegnete sie mit jener Einfachheit, mit jener ungeheuchelten Bescheidenheit, welche alle ihre Freunde an ihr gekannt haben: „Ich bin keine Schriftstellerin. Ich bin nur eine Hausfrau, welche ihre Erfahrungen als solche und als Mutter auch anderen nutzbar zu machen versuchte, da es mich erbarmte, daß so viele sonst gut angelegte Ehen zu unglücklichen werden nur darum, weil die jungen Frauen, nicht aus üblem Willen, sondern nur aus Unkenntniß und Ungeschicklichkeit ihren Pflichten nicht nachkommen können, wie sie sollten und gewiß gerne wollten.“

Susanne Scherr (Marie Susanne Kübler).

Nur eine Hausfrau! Ja, eine solche, daß ich alle die Jahre lang, welche mit ihr zu verleben mir gegönnt war, gar nicht wußte, was es für kleine und große Haushaltsfragen giebt. Eine solche, daß sie Alles und Jedes bis zu ihrem letzten Tage mit unvergleichlicher Ein- und Umsicht, mit unermüdlicher Arbeitslust, mit tactvollem Ordnungssinn, mit gewissenhafter Sparsamkeit im Gange und Zuge erhalten hat. Und diese eminent praktische Hausfrau war zugleich allem Schönen und Höheren mit offener Seele zugewandt und vollkommen befähigt, die stille Schönheit jener [WS 1] griechischen Statue wie die Erhabenheit eines gothischen Münsters auf sich wirken zu lassen, eine Symphonie von Beethoven, ein Oratorium von Bach oder Händel feinfühlig zu genießen und den ewigen Gehalt von Dichtungen wie Lessing’s „Nathan“ und Goethes „Iphigenie“ verständnißvoll in sich aufzunehmen. Und wie alle guten Menschen verstand und liebte sie innig das Leben der Natur. Die eigentlichen Feier- und Festtage ihres Daseins erlebte sie auf unseren allsommerlich wiederholten Wanderungen durch die Alpenpracht ihres Heimathlandes. Da ging ihr das Herz auf, und von da brachte sie immer wieder jenen tapfern Muth mit heim, welcher in schwersten Prüfungen so groß und schön sich bewährt hat.

Nur eine Hausfrau! Ja, sie lebte der Ueberzeugung, daß das Haus das eigentliche Heim der Frau, die Stätte ihrer Wirksamkeit und ihres Glückes sei. Darum war ihr alles blos auf Aeußerlichkeit Abzielende, alles sich Vordrängende, Aufgespannte, Komödiantische in tiefster Seele zuwider. Gerade so auch die Windbeutelei, welche jetzt so vielfach mit der Frage der „Frauenarbeit“ getrieben wird. „Es hat noch keinem Mädchen und keiner Frau, welche wirklich arbeiten wollten, an Arbeit gefehlt,“ pflegte sie zu sagen. Ihr Gefühl war tief und von edelster Selbstlosigkeit. Ihre Aufopferungswilligkeit kannte keine Grenzen. Ihre höchste Freude war, ihren Lieben Freude zu bereiten. Eine liebevollere Tochter und Schwester hat es nie gegeben. Ein treueres Mutterherz hat nie geschlagen, leider, ach, wohl selten auch ein schmerzenreicheres! Mir war sie die Lebensgefährtin im Hochsinne des Wortes, die Mitstreiterin, und wenn vor Jahren ein wohlwollender Urtheiler mich „einen nie und durch nichts zu irrenden oder zu entmuthigenden Kämpfer“ genannt hat und ich dies annehmen durfte, weil ja „Mensch sein heißt, ein Kämpfer sein“, so bekenne ich heute leidvoll dankbar, daß ich den Ehrennamen nur erwerben[WS 2] konnte, weil mir meine geliebte Frau zur Seite stand und ging als der beste aller „guten Cameraden“, die jemals einem kämpfenden Manne zur Seite gestanden und gegangen „in gleichem Schritt und Tritt“.

Johannes Scherr.






Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: "iener"
  2. Vorlage: erwarten. Berichtigung (Die Gartenlaube 1873/13)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_159.JPG&oldid=- (Version vom 17.7.2021)