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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Vornehmsten der beiden Stämme, zum Tode verurtheilt. Ob die Schuld der Scheichs wirklich so groß war, das heißt ob sie die Macht hatten, die Massenmorde zu verhindern, ist übrigens keineswegs constatirt. Es scheint uns, man hätte wenigstens den Retter des Knaben verschonen sollen. Aber er ist gerade der Erste unter den zum Tode Verurtheilten.

Zur selben Zeit, als Palestro fiel, hatte ein anderes kleines Colonistendorf, das ebenfalls einen Schlachtennamen führt, es heißt nämlich Alma, einen blutigen Kampf gegen die Kabylen zu bestehen; Dank rechtzeitiger Truppensendung, wurde Alma gerettet. Aber ein Dutzend zerstreut wohnender Franzosen fiel doch auch hier als Opfer der Eingebornen. Vier derselben, zwei Männer und zwei Frauen, hatten sich einem Scheich ergeben, der sie zu schützen versprach. Dieser Scheich galt für einen Franzosenfreund. Das war das Unglück der Gefangenen, denn, um sich von dem Verdacht zu reinigen, der ihn als einen Parteigänger der Fremdherrschaft bezeichnete, und seine Feindschaft gegen die Franzosen recht offen zu zeigen, brach er sein Wort. Er führte die Gefangenen mitten in’s Lager. Dort fragte er das Volk: „Was soll ich nun mit den Christenhunden machen?“ Man antwortete ihm, man glaube, daß er sie in Sicherheit bringen wolle. Da schulterte er sein Gewehr und rief: „Ihr sollt sehen, wie ich sie in Sicherheit bringen will.“ In dem Augenblicke schoß er auf seine Schützlinge und gab so das Signal zur Metzelei, der sie zum Opfer fielen, nur eine Frau hatte sich gerettet. Ein Kabyle nahm sie gefangen, führte sie in sein Haus, um sie dort – zu ermorden. Auch diese Angelegenheit wurde im Januar 1873 vor den Assisen Algiers verhandelt und endete mit drei Todesurtheilen.

Ein schreckliches Drama ist das, welches sich genau zur selben Zeit in Ued Chaba bei Batna (Provinz Constantine) abspielte. Hier lebten achtzehn Europäer, fern von andern Colonisten, mitten unter Eingebornen in einer Sägemühle. Auch sie hielten ihre Nachbarn für Freunde und diese versicherten sie ihres Schutzes. Als aber der Aufstand ausbrach, wurden auch sie belagert; man legte Holz und Stroh um die Mühle, und bald loderten die Brandfackeln auf und die Belagerten sahen sich genöthigt, ihre Zufluchtsstätte zu verlassen. Kaum hatten sie dies gethan, als sie unter den Streichen der Feinde fielen. Alle kamen um; nur eine einzige Frau, welche gleichfalls als anscheinende Leiche auf dem Platz liegen gelassen worden war, lebte noch. Als sie wieder zu sich kam, sah sie sich, von Wunden bedeckt, aller Kleider beraubt, mitten unter Leichen, ohne Lebensmittel und fern von aller Hülfe. Die nächste Niederlassung war vierzehn Stunden Weges entfernt, dennoch gelang es ihr, sich zu retten. Aber sie brauchte in ihrem erschöpften Zustande und bei der steten Gefahr, die sie zwang, nur Nachts zu gehen, drei Tage, bis sie das nächste Städtchen erreichte. Sie nährte sich von Wurzeln, bedeckte ihre Blöße mit Blättern, und in diesem Zustande kam sie in Batna an. Dieser Criminalproceß endete mit acht Todesurtheilen.

Die Leser der Gartenlaube werden diese Gräuelscenen lebhaft an den in Nr. 6, 7 und 10 dieses Jahrganges geschilderten Indianeraufstand in Minnesota erinnern. In Amerika, wie in Afrika, unter allen sogenannten Naturvölkern dieselbe Grausamkeit und Rohheit, derselbe Blutdurst! Nur daß wir es in Afrika mit einem Volke zu thun haben, das einst civilisirt war und jetzt in einen so tiefen Zustand zurückgesunken ist, daß es den Wilden nahe steht. Natürlich können wir in beiden Fällen nicht unsern europäischen Maßstab anlegen, um den Grad der Schuld zu ermessen.

Hoffen wir aber, daß die Franzosen, nachdem sie die Wildheit der Kabylen wieder einmal zu ihrem eigenen Schaden erfahren haben, in Zukunft dieses ungesittete Element vom europäischen Kriegsschauplatz verbannen werden.




Deutsche Hausindustrie.
1. Die Besenbinder.


Es ist ein längst allgemein anerkannter Satz, daß das deutsche Haus eine Hauptstätte heutiger Industrie ist und daß die Producte, welche in dem engen Stübchen des Dörflers oder der kleinen Mansarde des Städters das Licht der Welt erblicken, in vielen Fällen mit den glänzenderen Erzeugnissen stolzer Fabriken den Vergleich wagen dürfen. Um nun die Bekanntschaft mit diesen Producten der deutschen Hausindustrie größeren Kreisen zu vermitteln, eröffnet die Gartenlaube mit dem nachfolgenden Artikel eine Serie von Aufsätzen aus diesem Bereiche menschlicher Thätigkeit. In der Absicht vom Kleinen zum Größeren aufzusteigen, stellt sie gerade den allerunscheinbarsten Zweig der deutschen Hausindustrie an die Spitze dieser Serie – die Besenbinderei.


Unsere Vorfahren verbanden mit dem Worte Besen zweierlei Begriffe. Einmal war er ein Strafwerkzeug gleich unserer „Ruthe“, hieß als solcher auch besonders Staupbesen. Diesen meint das Sprüchwort: „Wer den Besen scheut, versäumt den Sohn.“ Besenmarkt hieß in alter Zeit der Platz, auf welchem die Verbrecher öffentlich gestäupt wurden. Anderntheils wurde mit dem Worte Besen dasselbe angedeutet, was wir noch heutigen Tages darunter verstehen. Er ist das Werkzeug der Reinlichkeit. Von ihm spricht in diesem Sinne das alte Wort: „Neue Besen kehren gut, aber die alten fegen das Haus rein.“

Da er meist in den Händen des weiblichen Geschlechtes, dem die Reinhaltung des Hauses obliegt, zu finden ist, ward er mit der Zeit als das Attribut der Weiblichkeit angesehen, ja sein Name wurde zuletzt dem weiblichen Wesen selbst beigelegt. Besonders verschmolz das Wort Besen und Frauenzimmer in der Studentensprache zu einem Begriffe. Ja der Bursch kommt gar nicht in Zweifel, wenn es heißt: „das ist ein flotter, ein strammer Besen.“ Er weiß, daß damit ein Mädchen, nicht aber ein wirklicher Besen gemeint ist.

Selbst unser großer Goethe eignete sich diesen Begriff in seinem Faust an, denn er läßt den Mephistopheles sprechen: „O weh mir! Welch ein dürrer Besen!“ Auch sonst hat er sich des Ausdrucks häufig bedient. Bekannt ist ja sein Zauberlehrling, in welchem der Besen eine so große Rolle spielt. Ebenso der Vers: „Die Hand, die Samstags ihren Besen führt, wird Sonntags dich am besten caressiren.“

Vom Volke wird der Besen freilich mehr den älteren Repräsentantinnen des weiblichen Geschlechts beigelegt, ist sogar der fast unzertrennliche Begleiter der Hexen, welche bekanntlich auch darauf nach dem Blocksberge reiten. Ja, es gilt der Glaube, daß über einen in den Weg gelegten Besen alle Diejenigen, welche Hexen sind, springen müssen. Nur Eine, welche keine Hexe ist, kann ihn aufheben.

Da der Besen in keinem geordneten Hauswesen fehlen darf und bei täglichem Gebrauche eine öftere Erneuerung nothwendig macht, so ist es begreiflich, daß dieses Werkzeug in großen Mengen geschaffen werden muß. Wenn wir uns nun hier mit den Verfertigern desselben beschäftigen, so sehen wir ab von Denen, welche die sogenannten Borstbesen mittelst Schweinsborsten herstellen. Wir haben nur die Besenbinder im Auge, welche ihre Materialien aus der Pflanzenwelt beziehen.

Die Besenbinderei ist in manchen Orten Thüringens ein Hauptindustriezweig, hauptsächlich zur Winterszeit, wo andere Erwerbsmittel fehlen. Es wird dieselbe besonders da betrieben, wo keine andere Industrie vorhanden ist und auch der Ackerbau wegen ungünstiger klimatischer Verhältnisse nicht genug abwirft, um die Einwohner zu ernähren.

Das Material, aus welchem in diesen thüringischen Ortschaften Besen gebunden werden, ist zum kleinen Theile Ginster und die daraus gefertigten Besen haben eine schöne grüne Farbe, zum größten Theile aber wird Birkenreis dazu verwendet. Da diese Pflanzen auf der Höhe des Thüringer Waldes nicht gedeihen, ist die Besenbinderei mehr in den niedriger gelegenen Ortschaften zu Hause; auf dem hohen Walde wird statt derselben die Schachtelmacherei betrieben, von der wir einmal später sprechen werden. Die Birkenreiser müssen im Spätherbst oder im Winter geschnitten werden, wo die Blätter abgefallen sind und die Saftcirculation, welche bei der Birke im Frühjahr und Sommer sehr stark ist, stockt. In früheren Zeiten wurden die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_196.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)